Abscheulich, dieses Land. Abgreifen ohne Bestrafung. Zugreifen ohne Reue. Proteste statt Waffen. Gut, dass es „The Voice of Germany” gibt. Das Kuschel-Casting zum Anfassen. Im Feuilleton spricht man von einer neuen Casting-Kultur. Weil barmherzige Bullenschau, joviale Besamungsstimmung, Waschlappen-Jury und ferngesteuertes Studiopublikum. Bei so vielen Streicheleinheiten würgen sogar die Bulimiekids. Aus und mit freien Stücken. Was ist los mit der selbsternannten wie seriösen Kultur-Presse? Alle beim Nord-Süd-Dialog abgesoffen?
Noch vor ein paar Monaten hätte man „The Voice of Germany” in der Luft zerrissen. Das hätte ich erwartet. Mal offen zu fragen, wer The BossHoss sind. Die beiden Jurymitglieder mit Feinrippshirt und Cowboyhut. Wo deren Beitrag zur Musikkultur in Deutschland und der Welt liegt. Warum die Gesangstalente begutachten dürfen, obwohl die eigenen Möglichkeiten – sagen wir mal, um den Frohsinn nicht zu zerstören – limitiert sind? Oder man hätte ruhig mal laut nachhaken dürfen, wer auf den Irrsinn kam, Rea Garvey als Jurymitglied zu verpflichten?
Mit seinem Rasenmäher-Deutsch („un-fucking-glaublich und un-fucking-fassbar“) spielt er doch unseren PISA-Kids Schantall-Lindsay und Tim-Erkan voll in die Karten: „Musste du nix könne, nur sein wie du sein.“ Hat Rea Garvey eigentlich den Integrationskurs absolviert? Kann er ein Deutschzertifikat vorweisen? Wo ist Herr Friedrich, wenn man ihn braucht? Und dann Nena, die alte Glucke. Die Mutter Beimer der Popmusik. Seit der ersten Sendung im Prosecco-Modus: „Ey du, ich fands ja total scheiße wie du gesungen hast, aber irgendwie hab ich gleich gemerkt, dass da – und das meine ich jetzt total ernst – zwischen uns was ist, vielleicht jetzt echt keine Verbindung oder so, aber so was wie ne total abgefahrene gedankliche Verständigung, die uns verbindet und das find ich echt total cool, von mir aus kannste immer weiter singen.“ Hä?
Seit wann lässt sich das Feuilleton so etwas bieten? Wo sind die Macheten, die Kreuze, die Nägel und Schürhaken? Und warum rasiert niemand dieses – mit Verlaub – völlig verblödete Studiopublikum. Da werden Teilnehmer einer Prozac-Langzeitstudie in einen geschlossenen (!) Raum gekarrt, kurzzeitig aus ihren Westen geschnürt, weswegen sie – gut konditioniert – beim ersten Ton eines Kandidaten aufspringen und nichtsnutzig jubeln. Die Entehrung der „standing ovations“ quasi. Schon mal festgestellt, dass es nie Nahaufnahmen des Publikums gibt? Sonst würde man den Geifer vor der Schnute, den Schlabber aus der Nase und das Weiße in den Augen sehen. Denn vor Betreten des Saals werden sie noch schön kopfüber durch die Warmwasserlauge gezogen und mit einem Stromstößchen für die Dauer der Sendung narkotisiert. So, liebes Feuilleton. Jetzt mal raus aus der Verleger-Hacienda auf Malle und rein in die Regionalredaktion. Es gibt was zu tun. Irgendwer sucht nämlich irgendwen für Baku. Nicht, dass euch Thomas D. auch noch durch die Lappen geht.