Ein Musikliebhaber, der vor Jahren nach Dresden kam, wurde gefragt, ob er nun regelmäßig die Philharmoniekonzerte im Kulturpalast besuchen werde. Er winkte ab und verwies auf die miese Akustik. Dann gehe er wohl zur Staatskapelle in die Semperoper? Nein, auch nicht. Keine Konzertakustik im Opernhaus. Tja, könne er denn irgendwas Gutes an Dresden finden?! Ja, natürlich, in einer guten Stunde sei man im Gewandhaus zu Leipzig.
Wenn es nach der "Initiative Konzerthaus Dresden“ ginge, könnte sich der Zugezogene, falls er denn so lange noch an der Elbe auszuhalten bereit ist, diesen Weg bald sparen und würde am 12. Dezember 2012 ein spektakulärer Neubau als Spielstätte von Dresdner Philharmonie und Sächsischer Staatskapelle eröffnet. Das Projekt sollte sich architektonisch wie eine Perle in die Kette von Japanischem Palais, Hotel Bellevue, Blockhaus und Finanzministerium einreihen und zudem endlich eine angemessene Bleibe für die Dresdner Musikfestspiele bieten. Zweistöckige Tiefgarage, Gastronomie nebst großzügiger Terrasse und der einzigartige Blick über die Elbe auf die Altstadtkulisse mit dem Postkartenpanorama von Brühlscher Terrasse, Stadtschloss und Frauenkirche kämen hinzu.
Wer sich das heftige Schelten, das Ende Januar an Dresdens Kommunalpolitiker adressiert wurde, angehört hat, mag an das mythische Datum 12.12.12 freilich kaum mehr glauben. Denn bereits Mitte 2008 fasste der Stadtrat der sächsischen Landeshauptstadt den Beschluss, dem innerstädtischen Kulturpalast, der 1969 eröffnet wurde, einen akustisch akzeptablen Konzertsaal zu verpassen. Damit wäre der momentan voll funktionstüchtige Multifunktionssaal, der für ein vielfältig buntes Veranstaltungsprogramm gut 2.400 Plätze bietet, zerstört. Kostenpunkt dafür voraussichtlich 65 Millionen Euro. Eventuelle Preissteigerungen nicht inkludiert.
Diesem Vorhaben hält die Initiative „Neues Konzerthaus Dresden“ erneut ihr Projekt eines Neubaus als gemeinsamer Spielstätte für Philharmonie und Sächsische Staatskapelle entgegen. Unter reger Anteilnahme eines pensionsträchtigen Auditoriums wurde sehr heftig dafür plädiert, diese Umbaupläne zu revidieren und eine kommunale Fehlentscheidung möglichst nicht zu realisieren.
Als Gegenmodell präsentierte Architekt Manfred Zumpe den visuellen Entwurf einer „Machbarkeitsstudie“, die einen spektakulären Neubau vorsieht, der sich als glanzvolles Solitär mitten im Stadtzentrum und direkt am Flussufer aufstellen ließe. Das derzeit noch vage Projekt, dem eine internationale Ausschreibung folgen müsste, böte sowohl für die beiden Spitzenorchester ideale Arbeitsbedingungen in einem großen, circa 1.400 Plätze fassenden Saal und würde der Stadt endlich auch einen für etwa 450 Gäste geeigneten Kammermusiksaal bescheren. Vehement bis ortsüblich verbiestert propagierten die Ideengeber um Zumpe – Mitglieder der Ärztekammer sowie ein früherer Baubürgermeister – für einen „Leitbau“, der an dieser Stelle zu errichten sei. Dies trüge dem Anspruch Dresdens als Kulturstadt selbstbewusst Rechnung, stünde insbesondere der traditionsreichen Musikmetropole gut zu Gesicht und würde darüber hinaus, nachdem die touristischen Spektakel um Frauenkirche und Grünes Gewölbe allmählich abklingen, einen langfristig wirkenden Anziehungspunkt für interessierte Musikliebhaber und renommierte Gastorchester aus aller Welt schaffen.
Der oben erwähnte Musikliebhaber hat bis heute im Elbtal ausgehalten und könnte sich nun über die geradezu visionären Vorhaben freuen. Zu lang hat er die akustischen und auch die olfaktorischen (in Konzertpausen gibt es Rotkäppchen-Sekt und Wiener Würstchen!) Überlagerungen im Kulturpalast hingenommen und erduldet. Doch er musste erleben, dass die Wetterer wider „manipulative Argumente aus dem Stadtrat“ nicht minder rechthaberisch agieren wie, zum Beispiel, Befürworter und Gegner der seit Jahren inbrünstig umstrittenen Waldschlösschenbrücke. Soll denn in Dresden wirklich keinerlei Änderung möglich sein?!
Offenbar wurden Notwendigkeiten und Kosten für eine Umgestaltung des Kulturpalastes zumindest unredlich begründet. Die Politik auf kommunaler und freistaatlicher Ebene setzt sich voneinander ab und gleicht sich doch darin, nicht miteinander zu reden. Im Interesse der so genannten Landeshauptstadt – steckt darin nicht auch etwas wie Vorzeigecharakter? – sollten sie das aber tun, sollten womöglich auch die inzwischen von namhaften Persönlichkeiten lebhaft unterstützte Chance nutzen, ein sehenswertes Zeichen für die Zukunft zu setzen. Stichhaltig klangen folglich nicht nur die aus rein künstlerischen und architektonischen Erwägungen resultierenden Vorschläge für den Erhalt von Kulturpalast und damit einhergehend den Neubau eines Konzerthauses, sondern auch die dieses Projekt begründenden finanziellen Erwägungen. Für den Umbau, der nur Kompromiss ist und bestehende Werte vernichtet, würden etwa dieselben Kosten entstehen wie für einen Neubau, der Bleibendes schafft. Vielleicht würde gar ein Signal gesetzt, wie es etwa in Luzern gelungen und in Hamburg mit der Elbphilharmonie vorgesehen ist. Es muss ja nicht so teuer sein.
Die Finanzierung des Dresden schmückenden Neubaus nämlich könnte zunächst gar vom Versorgungswerk der Sächsischen Ärztekammer beglichen werden, damit wäre das kommunale Risiko höchst gering. Allerdings scheut sich die Stadt, mögliche Fördermittel zu verlieren. In der Lokalpresse wird gemunkelt, dass letztlich also bürokratische Sachzwänge darüber entscheiden, ob sich Dresden in Zukunft als Kulturmetropole definiert. Die amtierende Oberbürgermeisterin wird derweil gescholten, weil sie – aus olympisch eher unerfindlichen Gründen – die Wirkungsstätte von Schütz, Wagner und Strauss, den Ort der Museen, von Grünem Gewölbe und Zwinger, und eben die Heimstatt von Philharmonie, Staatskapelle und Semperoper zur, man höre und staune: Sportstadt deklarieren will. Zehn zu null für das Leipziger Gewandhaus!