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Wir kennen das. Wenn die Argumente ausgehen, flüchtet sich so mancher in Allgemeinplätze, von denen er annimmt, daß ihre Selbstverständlichkeit von niemandem in Frage gestellt wird. In der Musik gibt es neuerdings einen, den wir recht häufig hören: vor allem bei Crossover-Projekten oder auch im Umfeld von anderen musikalischen Seichtgängen. Der Allgemeinplatz lautet: Ich unterscheide nicht zwischen „E“ und „U“, nicht zwischen Schlager, Volksmusik, Jazz und Klassik, für mich gibt es nur gute oder schlechte Musik. So sagt der Betreffende und stellt stolz seine Offenheit bei Wahrung des kritischen Verstandes zur Schau. Und alle sagen: So ist es richtig, so muß es sein.
Im Anschluß daran hört man mit beruhigtem Gewissen, wie dieser nur zwischen gut und schlecht Unterscheidende sich an einem Blues versucht oder „La Montanara“ anstimmt. Die Bastionen des ästhetischen Widerstands sind genommen, der Hörer weiß, daß es nicht um kleinliche, akademische Unterscheidungen geht. Er weiß: „Hier gilt’s der Kunst.“
Nun hat besagter Satz natürlich seine Richtigkeit. Nur eines sollte dabei beunruhigen. Er kommt häufig aus den Mündern von Leuten, die mit gut/schlecht ohnehin ihre Schwierigkeiten haben und die mit ihm nur ihren Hang zum Abgeschmackten kaschieren. Justus Frantz benutzt ihn gern, oder Nigel Kennedy und auch Vanessa Mae. Die Taktik ist klar. Kritischen Einwänden wird vorab der Wind aus den Segeln genommen, sie werden in die Rubrik der Schubkasten-Engstirnigkeit eingeordnet. Und auf diesem künstlich hergestellten Einverständnis wird dann fröhlich herumgedümpelt.
Daß Jimi Hendrix ein Großer seines Fachs war, daß er das E-Gitarrenspiel bis zum erschöpfenden Exzess entwickelte, wird kaum jemand leugnen. Wenn aber Nigel Kennedy, ein klassischer Geiger, der eher schlecht anfing und fortan immer schlechter wurde, sich dieser Musik bemächtigt – denn er unterscheidet ja nicht zwischen „E“ und „U“ und hat sich für den „guten“ Hendrix entschieden –, dann geht es crossover oder besser kreuzüber ins Geschmack- und Bodenlose. Es ist ein Beispiel für viele ähnlich motivierte Unternehmungen, die in allumschlingender Absicht Klassik, Jazz und Pop versammeln, sich ihrer Spartenfreiheit und ihres demokratischen Geistes rühmen, und dabei jeder Stilrichtung Gewalt antun.
So ist Vorsicht angebracht, wenn einer sich EU-Unabhängigkeit rühmt. Oft verbirgt sich, besonders in den heutigen Überflieger-Tagen, Unvermögen und Schlamperei dahinter. Daß es freilich auch anders geht, auch nicht mit so großem Getöne im Vorfeld, beweisen zum Beispiel Uri Caines so erhellende Mahler-Adaptionen. Bei ihm ist Mahler ernst genommen, ein Jahr lang hat Caine sich mit Mahlers Sprache auseinandergesetzt, ehe er seine Versionen herstellte. Wirklich gute Musik kam heraus, und so sind wir doch wieder am Ausgangspunkt: Es gibt nur gute oder schlechte Musik.