Hauptbild
Moritz Eggert. Foto: Juan Martin Koch

Moritz Eggert.

Hauptrubrik
Banner Full-Size

Mengenlehre

Untertitel
Absolute Beginners 2023/09
Vorspann / Teaser

Es gibt grundsätzlich zwei Arten, Komposition zu unterrichten: Einzelunterricht oder Gruppenunterricht (gerne auch „Seminar“ genannt).

Publikationsdatum
Paragraphs
Text

Der Einzelunterricht ist ein geschützter Raum. Hier werden meistens die aktuellen Arbeiten besprochen und deren Fortschritt beobachtet. Als Lehrer gebe ich Feedback, bin das erste „Publikum“. Sehr oft thematisieren Studierende im Einzelunterricht aber gar nicht ihre Stücke, sondern persönliche Sorgen, kleine Krisen oder Unsicherheiten. Es kommt sehr oft vor, dass es innerhalb einer Woche nur wenige, vielleicht sogar gar keine Fortschritte bei ihren Stücken gab. Dann bin ich eher „Life Coach“ – die Studierenden öffnen sich hierbei sehr und sind verletzlich, daher muss ich als Lehrer achtsam sein, dieses Vertrauen nicht zu enttäuschen.

Der Gruppenunterricht ist etwas völlig anderes und wird von Kompositionslehrenden sehr unterschiedlich behandelt. Ich persönlich finde Gruppenunterricht eine wunderbare Gelegenheit, gemeinsam Musik zu hören oder zu analysieren, oder auch über musikphilosophische Themen, Ästhetik oder das musikalische Tagesgeschehen zu sprechen.

Es ist in dieser Situation gar nicht so ratsam, Kompositionen der Studierenden zu besprechen oder vorzustellen, denn in diesem Moment verlässt jede Kritik den geschützten Raum und wird „öffentlich“. Automatisch entsteht Frustration oder Eifersucht, denn es ist einem als Lehrer unmöglich, jeden Studierenden immer exakt gleich zu bewerten, damit keine Konkurrenz aufkommt.

Eine kollegiale Konkurrenz kann zwar sehr positiv wirken (die Studierenden vergleichen sich automatisch bei jedem gemeinsamen Projekt oder Klassenkonzert), kann aber auch die Atmosphäre in einer Klasse so vergiften, dass der Gruppenunterricht eher zu einer öffentlichen Hinrichtung derjenigen wird, die ihre Werke vorstellen. Ich könnte hierzu zahllose Horror-Stories erzählen, aus eigener Erfahrung wie auch aus der Erfahrung anderer. Wer in einer solchen vergifteten Atmosphäre ein Werk präsentiert, muss damit rechnen, Hohn und Häme zu erleben. Und nicht immer ist die Diskussion sachlich – psychologische Konstellationen fließen darin ein, selbst wenn man angeblich nur die Partitur bespricht. Manche Lehrer glauben, dass das „hart“ macht, und genießen es geradezu, diese Atmosphäre zu erzeugen, denn dann unterrichten sich die Studierenden quasi selbst (Ligeti war zum Beispiel dafür bekannt, diese Unterrichtsform zu bevorzugen). An den zum Teil erniedrigenden Diskussionen, zum Beispiel beim Bachmann-Literaturwettbewerb, kann man sehr gut sehen, wie solche öffentliche Kritik ausarten kann und sich mit den persönlichen Befindlichkeiten der Beteiligten vermischt.

Und genau das ist das Problem von öffentlichem Gruppenunterricht, wie er zum Beispiel bei Meisterkursen oder Neue-Musik-Festivals vorkommen kann. Denn nun sind nicht nur Kreative im Saal, sondern auch Publikum. Manche Kollegin und mancher Kollege laufen hier zu einer Art Show-Form auf – das Publikum erwartet spektakuläre Kritik, weil diese unterhaltsamer ist als zum Beispiel der eher sanfte und ermutigende Diskurs in einer Einzelstunde. Manche Komponierende kommen mit dieser kalten Dusche sehr gut zurecht – für die meisten ist es aber vor allem eine Qual, die nichts bringt, außer einem Verlust des Selbstwertgefühls. Und warum soll man ausgerechnet das Selbstwertgefühl bei Komponisten schwächen, die ohnehin schon meistens keines haben und sich als Außenseiter und Nerds fühlen? Es macht einfach keinen Sinn, denn psychisch sind die meisten Komponierenden ungefähr so stabil wie Franz Kafka (man muss sich nur vorstellen, wie groß Kafkas literarischer Output gewesen wäre, wenn er seine Texte jede Woche harter öffentlicher Kritik hätte aussetzen müssen).

Und wir dürfen eines nicht vergessen: Diese Art von Show-Unterricht gab es früher gar nicht. Ein Johann Sebastian Bach kannte nichts anderes als private Unterweisung. Diese war sicherlich auch mal streng, aber er wurde garantiert nie vor einer großen Runde erniedrigt. Ebenso Mozart. Ebenso Monteverdi. Man sieht also: was angeblich „hart“ und „besser“ macht, hat auch keine größeren Komponistinnen und Komponisten hervorgebracht, als es sie vorher schon gab.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!