Man hat ihn entdeckt, als ob es ihn nie gegeben hätte: den Mittelstand, der ja auch irgendwie in der Mitte stand. Man hatte ihn wohl übersehen und buhlt nun um seine Unterstützung. Ein ganzes Land besteht nun aus dem Mittelstand. Das ist auch ganz hübsch, ist doch der Mittelstand schon seit Beginn der bürgerlichen Gesellschaften einer der größten Förderer der Musikkultur in Deutschland gewesen. So waren es „sechzehn Kaufleute”, die 1743 in Leipzig das sogenannte „Grosse Concert” begründeten und 16 Musiker finanzierten. Diese Konzerte waren offenbar so beliebt, dass man das „Lokal”, nämlich das Gasthaus „Zu den drei Schwanen” wechselte, um im Messehaus der Tuchhändler, dem „Gewandhaus” eine neue Spielstätte zu finden. Man kann wahrlich nicht sagen, dass die Zeiten damals wirtschaftlich und politisch besser gewesen wären. Mit der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft im 18. und 19. Jahrhundert jedoch entwickelte sich auch die kulturelle Vielfalt, die Bildungsideale. Doch was ist heute übrig davon: ein Mittelstand, der so fest in der Spalte der ominösen Mitte sitzt, dass von ihm kaum noch kulturelle Impulse oder Aufstände zu erwarten sind. Wer allerdings statt nach Kultur nach dem Gelde schielt, der gibt freilich auch einen wesentlichen Teil der Selbstbestimmung und Mitgestaltung der Gesellschaft auf. Diese Aufgabe haben die Großsponsoren von BMW bis VW (die Fürsten von heute) übernommen, die das nun höflich „Kultur kommunizieren” nennen. Damit verliert der Mittelstand zum zweiten Mal an Boden. Die Erosion trifft auch die gleichgültigen Schöpfer und Musiker – deren Band zur Gesellschaft damit ebenfalls zerreißt. Die große Masse der gegenwärtigen Musikkultur, vom Popmusikkindergarten bis zum alten Stardirigenten, mag man vergleichen mit der Entwicklung einer kulturellen Supernova – ein letztes Aufblähen am Ende, bis alles kollabiert zu einem weißen und schließlich einem schwarzen Zwerg. Anders als in der Zwangsabfolge kosmologischer Abläufe, ist es den Menschen überlassen, Geschichte und Gesellschaft selbst in die Hand zu nehmen und die Bande neu zu knüpfen: Vorwärts Mittelstand.
Man hat ihn entdeckt, als ob es ihn nie gegeben hätte: den Mittelstand, der ja auch irgendwie in der Mitte stand. Man hatte ihn wohl übersehen und buhlt nun um seine Unterstützung. Ein ganzes Land besteht nun aus dem Mittelstand. Das ist auch ganz hübsch, ist doch der Mittelstand schon seit Beginn der bürgerlichen Gesellschaften einer der größten Förderer der Musikkultur in Deutschland gewesen. So waren es „sechzehn Kaufleute”, die 1743 in Leipzig das sogenannte „Grosse Concert” begründeten und 16 Musiker finanzierten. Diese Konzerte waren offenbar so beliebt, dass man das „Lokal”, nämlich das Gasthaus „Zu den drei Schwanen” wechselte, um im Messehaus der Tuchhändler, dem „Gewandhaus” eine neue Spielstätte zu finden. Man kann wahrlich nicht sagen, dass die Zeiten damals wirtschaftlich und politisch besser gewesen wären. Mit der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft im 18. und 19. Jahrhundert jedoch entwickelte sich auch die kulturelle Vielfalt, die Bildungsideale. Doch was ist heute übrig davon: ein Mittelstand, der so fest in der Spalte der ominösen Mitte sitzt, dass von ihm kaum noch kulturelle Impulse oder Aufstände zu erwarten sind. Wer allerdings statt nach Kultur nach dem Gelde schielt, der gibt freilich auch einen wesentlichen Teil der Selbstbestimmung und Mitgestaltung der Gesellschaft auf. Diese Aufgabe haben die Großsponsoren von BMW bis VW (die Fürsten von heute) übernommen, die das nun höflich „Kultur kommunizieren” nennen. Damit verliert der Mittelstand zum zweiten Mal an Boden. Die Erosion trifft auch die gleichgültigen Schöpfer und Musiker – deren Band zur Gesellschaft damit ebenfalls zerreißt. Die große Masse der gegenwärtigen Musikkultur, vom Popmusikkindergarten bis zum alten Stardirigenten, mag man vergleichen mit der Entwicklung einer kulturellen Supernova – ein letztes Aufblähen am Ende, bis alles kollabiert zu einem weißen und schließlich einem schwarzen Zwerg. Anders als in der Zwangsabfolge kosmologischer Abläufe, ist es den Menschen überlassen, Geschichte und Gesellschaft selbst in die Hand zu nehmen und die Bande neu zu knüpfen: Vorwärts Mittelstand.Hauptrubrik
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