Wissen wir eigentlich noch in welchem Zeitalter wir leben? Angeblich hat das Internet unsere Denkungsweisen vollkommen verändert. Auch die Begriffe von Autorschaft, von persönlicher wie finanzieller Kommunikation sind dabei aus dem Ruder zu laufen. Max Nyffeler freut sich in dieser nmz-Ausgabe in seiner Beckmesser-Kolumne geradezu diebisch über das in Schweden ergangene Urteil zu Pirate Bay, das, wie der Deutsche Kulturrat in einer Pressemitteilung verlauten ließ, eine Organisation sei, die „Einbruchswerkzeuge“ bereitstelle. Das klingt gut und das Aufatmen in zahlreichen Institutionen, die das Ergebnis zu beurteilen sich anschickten, vom Bundesverband der Musikindustrie bis hin zum Deutschen Musikverlegerband war laut und deutlich zu vernehmen.
Nach dem schon als historisch zu bezeichnenden Prozess gegen die so genannte Musiktauschbörse Napster, der dessen Ende vor zehn Jahren einläutete, haben wir ein neues Urteil, das zwar noch nicht rechtskräftig ist, aber als solches gefeiert wird. Der Musterprozess gegen die Urheberpiraten schwebt noch und es gilt keinesfalls als ausgemacht, dass das letztinstanzliche Urteil mit dem jetzigen identisch sein wird. Zu viel Hoffnung sollte man sich besser nicht machen. Denn ehrlich gesagt, ob es den Urhebern selbst irgendwann und irgendwie hilft oder nicht vielmehr schadet, diese Antwort ist nicht auf juristischem Weg zu erlangen, sondern nur dann, wenn die Gesellschaft als Ganze, auch im globalen Maßstab, sich darüber Klarheit verschafft, wie in Zeiten des Internets eine Verwertung von urheberschaftlichen Leistungen zu honorieren ist.
Nach wie vor sind die Einkommen, die sich mit urheberschaftlichen Leistungen erzielen lassen, außerordentlich gering. Nimmt man die Zahlen der Künstlersozialkasse in Deutschland zur Grundlage, dann ergeben sich durchschnittlich Werte, die deutlich unter dem liegen, was man im Schoß der Gesellschaft sonst als Sozialleistung erhalten kann. Mit 12.616 Euro darf man da rechnen (Stand: 1. Januar 2008). Für dieses miserable Ergebnis dürften allerdings kaum die Internetaktivitäten in Tauschbörsen & Co. verantwortlich sein.
Die Gefahr liegt ganz woanders. Denn ebenfalls gescheitert sind die Verhandlungen der GEMA mit dem Videoportal YouTube, das übrigens nicht von Piraten betrieben wird, obwohl man dort auch fast alles, was urheberrechtlich relevant ist, kostenlos herunterladen und hören wie ansehen kann, sondern von einer Firma namens Google Inc. Die Sachlage zwischen Pirate Bay und Google ist ähnlich. In beiden Fällen wird eine Infrastruktur bereitgestellt, die den Zugang zu urheberechtlich geschützten Leistungen ermöglicht und sich über Werbung wenigstens teilweise finanziert. Nur ist das heutige Google nicht eine Gruppe von vier Computerfreaks wie bei Pirate Bay. Die alte Vereinbarung zwischen der GEMA und YouTube/Google blieb leider Geheimsache. Scheitert eine Vereinbarung, drohe im Prinzip das Ende von YouTube und das wäre schade, wie der Komponist Johannes Kreidler in seinem Blog „Kulturtechno“ schreibt: „YouTube ist ein Segen für die Menschheit, die partizipative riesige Videothek dient hervorragend dem Austausch von Informationen. Die kostet große Summen, und Gott sei Dank gibt es aber eine Firma, die diese trägt. Als Hersteller von Content bin ich froh, dass er da publiziert werden kann ...“
Das Netz bestimmt die Sachlage kraft seiner Fakten, ob man es will oder nicht. Über kurz oder lang wird das alte Erlösmodell urheberrechtlichen Schaffens einem neuen angepasst werden müssen. Noch kann man die Schlachten mit den altgewordenen Urhebergesetzen weiterführen. Aber die Gefahr, dass man damit den Anschluss an die realen Verteilungswege und eine neue Kulturlandschaft verpasst, dürfte nicht gering sein. Wenn man es nicht schafft, neue Modelle für Erlösquellen von Urheberschaft in sozialer Verantwortung zu entwickeln, tut man den Urhebern den größten Schaden an. Sie werden notgedrungen, mit den Worten des französischen Philosophen Michel Serres, Piraten des Geistes oder des Wissens werden müssen.