Redet man vom Erfolg der Piratenpartei im Europaparlament in Brüssel, von der Petition zur GEMA im Bundestag, von der Kulturflatrate oder von der sanft entschlafenen Pop-Messe PopKomm, dann redet man eigentlich nur über ein Thema: übers Urheberrecht. Da wäre die Gelegenheit für die Verwertungsgesellschaft GEMA günstig gewesen, aus der diesjährigen Mitgliederversammlung Ende Juni positives PR-Kapital im Sinne der Urheber zu schlagen.
Tatsache war, dass auf der Versammlung wieder einmal nur zwei Fachblätter recht unterschiedlicher Ausrichtung vertreten waren, die neue musikzeitung und die „Musikwoche“. Warum zur GEMA gehen, wenn die Pressestelle alles als Podcast und Mail zur Verfügung stellt? Natürlich wegen der Pausengespräche. Die finden noch live statt. Ohne diese würde man niemals erfahren, wie ein wackerer Haufen an Komponisten und Verlegern einen erbitterten und letztlich erfolgreichen Kampf gegen die sogenannte „Geschäftsmodell-Riege“ führte. Diese nutzt seit Jahren Schwächen im Verteilungsplan aus, die aufgrund des Solidargedankens quasi eingebaut sind, und wirtschaftet ganz legal, aber unmoralisch, in die eigene Tasche.
Der Sachverhalt ist komplex: Die „Geschäftsmodeller“ versuchten durch Nein-Stimmen einen Antrag zur Nettoeinzelverrechnung zu verhindern. Der Antrag sah vor, dass für Werkaufführungen mit eingeschränktem Konzertcharakter (darunter fallen etwa „Selbstaufführer“) oder mit fehlender Marktnachfrage (weniger als zehn Personen als Publikum oder es wird kein Eintritt verlangt) eine Nettoeinzelverrechnung stattfindet. O-Ton-Antragsbegründung: „Solche Werkaufführungen haben ihren Ursprung regelmäßig nicht in einer allgemeinen Marktnachfrage, sondern in der Absicht, einen möglichst hohen Tantiemenanspruch im Rahmen der kollektiven Verrechnung in der Sparte E zu erzielen. Aufgrund der fehlenden Marktnachfrage und des eingeschränkten Konzertcharakters sind diese Werkaufführungen kulturell nicht förderungswürdig. Entsprechendes Aufkommen ist daher von der Wertung auszunehmen.“ (aus: Tagesordnung GEMA-Mitgliederversammlung 2009/Anträge zum Verteilungsplan 2009). Trotz des Widerstandes der Betroffenen ging der Antrag durch, die neue Regelung wird ab 2010 gelten. Die gute Nachricht heißt also, es wird in Zukunft mehr Geld aus der Wertung für echte E-Musik-Aufführungen zur Verfügung stehen, über den Rand der Kaffeetasse raunte man von 6 bis 8 Millionen Euro.
Die schlechten Nachrichten aus dem GEMA-Pausenhof folgen auf dem Fuß. Informierten Kreisen zufolge soll es im Jahr 2008 zu einem so bisher noch nicht da gewesenen Einnahmerückgang in der Sparte E gekommen sein. Man spricht von 12,5 Prozent, das wären über eine Million Euro weniger als 2007. Die Schuldigen waren schnell ausgemacht: Maurice Ravel und George Gershwin, die beide 2008 „frei“ geworden sind. Eine andere Verschwörungstheorie vermutet gar einen Neue-Musik-Boykott der Agenturen und Konzertveranstalter.
„Wo sind die Hits der Moderne? Schreibt wieder mehr Hits!“ So lauten Forderungen aus Komponistenkreisen, und weiter: „Ohne C-Dur Präludium keine Goldbergvariationen, ohne Neunte keine späten Quartette.“ Abgesehen davon, dass diese Logik bei genauerer Betrachtung vielleicht keine ist, sondern eine Verkennung des Musikmarktes früherer Epochen, beißt sich da die Katze in den Schwanz. Denn wenn die jungen Neutöner neben ihrer „Serious Side“ auch die „Easy Side“ bedienen sollen und Hits schreiben, dann macht ihnen doch wieder das Internet einen Strich durch die Rechnung.
Als Handelsplatz für Hits kann demnach nicht der Tonträgermarkt gemeint sein, sondern nur der Konzertmarkt. Dazu ein Bericht aus Deutschlands heimlicher Balletthauptstadt Karlsruhe. Dort tanzte Birgit Keils Compagnie erst kürzlich eine Neuinszenierung eines alten Hits, nämlich Strawinskys „Sacre du Printemps“. Choreograf Davide Bomba und Bühnenbildnerin Rosalie nahmen den Gebrauchsgegenstand Einkaufswagen als Requisite und machten aus dem Jungfrauenopfer einen Tanz um den Goldenen Einkaufswagen: zeitgenössischer Tanz im besten Sinne. Am selben Abend stand auch die Uraufführung des Balletts „Xanthopsia“ auf dem Programm, mit Musik des Rihm-Schülers Matthias Ockert. Wenn auch „nur“ als funktionale Ballettmusik, der Tanz der drei Solisten zu Ockerts elektroakustischen Klangskulpturen wurde vom „konservativen“ Premierenpublikum genauso mit Spannung verfolgt wie der Strawinsky-Hit.
Anstelle von den Komponistenkollegen zu fordern, schreibt mehr Hits, müsste die Forderung heißen: Verkriecht euch nicht auf den Spezialfestivals (so wichtig diese auch sind), gebt den langen Marsch durch die Kulturinstitutionen nicht auf. Schließlich gibt es allein in Deutschland über 130 Orchester, beinahe 150 Staats- und Stadttheater und viele große Festivals. Noch gibt es diese Institutionen, noch ist der politische Wille da, sie zu erhalten. Und noch ist ein Publikum da, das mit Sicherheit nicht nur ins Museum gehen will, sondern einen Anspruch auf Gegenwart hat. Dazu braucht es zeitgenössische Kunst. Die Hits kommen dann von selbst.