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Neues Hören

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Zur Eröffnung der Dritten Pinakothek in München bemerkt Eduard Beaucamp in der FAZ: „Das Schlusslicht München eröffnet seinen Tempel der Moderne in einem Moment, wo das zwanzigste Jahrhundert und sein Fortschrittsprojekt abgeschlossen sind. Eine Fortsetzung wird kaum stattfinden, da sich die Avantgarde-, Autonomie- und Genieästhetik überlebt hat und Formgebung und Gestaltfindung heute von Computern entwickelt werden... Damit kehrt auch das Moderne Museum zur angestammten Bestimmung, der postumen Kunstveranstaltung, zurück.“ Die Formulierung mag zugespitzt erscheinen, doch an der Feststellung, dass die Avantgardebewegungen historisch geworden sind, ist kaum zu rütteln.

Zur Eröffnung der Dritten Pinakothek in München bemerkt Eduard Beaucamp in der FAZ: „Das Schlusslicht München eröffnet seinen Tempel der Moderne in einem Moment, wo das zwanzigste Jahrhundert und sein Fortschrittsprojekt abgeschlossen sind. Eine Fortsetzung wird kaum stattfinden, da sich die Avantgarde-, Autonomie- und Genieästhetik überlebt hat und Formgebung und Gestaltfindung heute von Computern entwickelt werden... Damit kehrt auch das Moderne Museum zur angestammten Bestimmung, der postumen Kunstveranstaltung, zurück.“ Die Formulierung mag zugespitzt erscheinen, doch an der Feststellung, dass die Avantgardebewegungen historisch geworden sind, ist kaum zu rütteln Der Gedanke lässt sich bei allem Unterschied zwischen Bildender Kunst und Musik auch auf ein Festival wie die Donaueschinger Musiktage übertragen. Geboren 1921 in der Aufbruchsphase nach dem Ersten Weltkrieg und mit neuem Schub ausgestattet nach 1945, bildeten sie im 20. Jahrhundert ein Zentrum der neuen Musik. Aber mit dem Altern der Avantgarde sind auch sie im Lauf der Zeit zu einem Museum geworden, und zwar im gleichen Maß, wie sie an deren obsoletem Kanon festgehalten haben: an den diffusen Begriffen des Neuen und des technischen Fortschritts sowie am selbstreferenziellen Insiderdenken der Teilnehmer.

Das steht in seltsamem Widerspruch zu ihrem Selbstverständnis als „Arbeitsfestival“, das stets die neuesten Trends verhandeln möchte; auch im Widerspruch zu den Publikumsmassen, die heute in die Konzerte drängen und unter denen der Spezialistentross aus Medienleuten, Verlegern, Veranstaltern und Komponisten eine Minderheit darstellt. Es spricht für Armin Köhler, den Programmverantwortlichen, dass er diese Widersprüche erkannt hat und nach einem Ausweg aus der Sackgasse sucht. In einem Beitrag für die letzte Nummer der Zeitschrift „Positionen“ skizziert er, wie er sich das vorstellt: Er will neue Präsentationsformen entwickeln, die den veränderten Kommunikationsmodi entsprechen und die Rezeptionsbedingungen stärker mitreflektieren, denn es seien „weniger die Werke selbst, die uns zum Diskurs herausfordern, sondern die Fragestellungen, die wir an sie richten“.
Und ebenso wichtig wie das einzelne Werk, schreibt er, sei der soziale, politische, kulturelle und wirtschaftliche Kontext, in dem es stehe.

Solche Thesen sind auch im Donaueschinger Programmheft 2001 in einem Gespräch mit dem Kommunikationstheoretiker Boris Groys zu lesen. Hinter ihrem sozio-technizistischen Fachjargon schimmert das Credo der angewandten beziehungsweise funktionalen Musik der zwanziger bis frühen siebziger Jahre durch, als man wenig Vertrauen in den Erkenntniswert des Hörens hatte, die Musik aus dem Konzertsaal heraus holen und in gesellschaftlich neue Zusammenhänge stellen wollte. Theoretisch vollzieht sich damit eine Schwerpunktverlagerung von der Werkästhetik zur Kommunikationstheorie. Legitimiert wird diese Funktionalisierung indirekt mit dem Recht des zahlenden Publikums, einbezogen zu werden in einen Vermittlungszusammenhang, der ihm für sein Geld einen gewissen Erlebniswert verspricht.
Eine bessere Integration der neuen Musik in gesellschaftliche Prozesse ist gewiss zu begrüßen. Doch bevor Vermittlung stattfindet, muss es erst etwas geben, das vermittelt werden kann, und das heißt: Kompositionen von hohem Niveau, was handwerkliches Können und ästhetische Reflexion, was Form-Inhalt-Relation, emotionale Glaubwürdigkeit und anderes mehr angeht. Am Mangel an solchen Qualitäten scheint es zu liegen, dass in den letzten Jahren die Unlust und sogar der Groll bei vielen Besuchern wuchs. Auch wohlmeinende Kritiker äußerten sich zunehmend enttäuscht und fragten sich, ob sie eigentlich über Donaueschingen nur aus taktischen Gründen – um in Zeiten des knappen Geldes den Gegnern kein Argument zu liefern – positiv schreiben sollten.

Soll „Arbeitsfestival“ heißen, Unfertiges vorzustellen? Ist Experiment ein Synonym für Basteleien, in denen der Begriff des Problematischen sich nicht als ästhetische Qualität, sondern als handwerkliches Unvermögen artikuliert? Was bringt es fürs Hören, einen „neuen situativen Wahrnehmungsmodus“ zu erzeugen, indem man die Instrumentalisten mit dem Rücken zum Publikum spielen lässt? Und anders herum: Genügt die virtuose Handhabung der technischen Mittel, um ein Werk als gelungen zu bezeichnen? Fragen, die sich in Donaueschingen stellen.

Sicher gab es in den letzten Jahren manches Interessante zu hören, doch scheint mir, dass vor dem Kontext zunächst einmal der Text selbst wieder mehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken sollte. Und das nicht nur im Hinblick auf handwerkliche Aspekte, sondern auch auf das, was man als Stringenz der Aussage bezeichnen könnte. Um den „Rezipienten“, dieses theoretische Konstrukt, zum Leben zu erwecken und in einen Dialog mit dem Werk einzubeziehen, genügt die mit Machergeste entworfene, abstrakt-formalistische Klangraumdisposition nicht; sie erzeugt in ihm bestenfalls leere Empfindungen. Neue gedankliche und emotionale Perspektiven eröffnen sich dem Hörer nur kraft musikalischer Zeichen, die einer genuinen künstlerischen Imagination entsprungen sind; nur so fühlt er sich ernst genommen. Und das ist keine Frage der kommunikationstheoretischen Planung, sondern auch im 21. Jahrhundert immer noch ganz altmodisch eine Angelegenheit des komponierenden Individuums und seines subjektiven Vermögens.

Donaueschingen ist und bleibt in erster Linie ein Konzertsaalfestival. In gewissem Sinn eben ein der Gegenwart geöffnetes Klangmuseum. Daran ändern all die Versuche mit akustischer Umweltmöblierung, die bei kleinen Festivals durchaus ihren Sinn haben, nichts. Zu den Pfunden, mit denen Donaueschingen wuchern kann und es zum Glück auch tut, gehören das hauseigene SWR-Orchester – ein seltener Fall eines für die neue Musik hoch qualifizierten Klangkörpers – und die eingeladenen Spitzenensembles. Diese Potenziale gilt es zu nutzen, um kontinuierlich auf ein neues Hören hin zu arbeiten. Denn neue Musik heißt immer auch qualifiziertes neues Hören. Es ist von easy listening und akustischem Selbsterfahrungswesen gleich weit entfernt; seine Resonanzräume sind nicht Treppenhäuser oder Flanierpassagen, sondern das Innere des Körpers und die Imagination. Eine Verbindung mit Texten, Pixeln und Situationen schließt das nicht aus.

Donaueschingen, als offenes Klangmuseum verstanden, wäre ein optimaler Ort für neue Hörerfahrungen: ein Ereignisraum, wo es nur Werke von starken künstlerischen Persönlichkeiten, jung oder alt, zu hören gäbe, wo auch historische Perspektiven aufgerissen würden und das Neue sich an Meisterstücken der Avantgarde von gestern messen lassen müsste. Auch das wäre ja ein Kontext, wenn auch nur ein musikalischer. Aber darum geht es ja eigentlich, oder?

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