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Popstars

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Es liegt da wie ein letzter Akt. Grell, technoid und laut: Popstars backstage – das offizielle Buch zur emotionalsten Real Life Show”. Nicht, dass uns „Popstars“ oder der Dauerwichtigmacher Detlev D! Soost noch Angst einjagen würde, denn „Popstars“ gehört mittlerweile zur TV-Routine wie Beckmanns berüchtigter Talk-Terror. Auch, dass das Buch einen Marketingeffekt erfüllt dürfte auf der Hand liegen und kaum beängstigen. Fürchten muss man dafür die Oberflächlichkeit, Verharmlosung und Verniedlichung wie „POPSTARS – das Buch” zwar nicht schwerpunktmäßig aber dennoch unüberlesbar Zusammenhänge in der Phonoindustrie schildert, Binsenweisheiten als Businessregeln verkauft und Realitäten verdunkelt werden.

Eigentlich ist es köstlich entlarvend wie „Popstars – das Buch” mit einem Zitat vom „Senior Direktor” der Plattenfirma „Universal National Department”, Hannes Cordes, die Funktionen und Aufgaben einer Plattenfirma schildert: „Ziel einer Plattenfirma ist es, Künstler zu finden und aufzubauen, die auch noch in 20 Jahren Alben verkaufen können”. Dann sind wir bei POPSTARS goldrichtig. Die „No Angels” wurden nach zweieinhalb Jahren aufgelöst, „Bro’Sis” verkauften ihre Platten bereits nach einem Jahr nur noch an Freunde und die jüngsten Kücken „Preluders” beziehungsweise „Overground” treten mitt-lerweile zur Nachmittags-Belustigung und weil der vorgesehene Clown krank war in Einkaufszentren auf. Eine Definition, die gründlich daneben geht. Die Erklärung warum der Fast Food-Pop langfristig scheitert muss, bleibt „Popstars – das Buch” mehr als schuldig.

Dafür bagatellisiert man eine Seite weiter die juristischen Großkonstrukte „Künstlervertrag” und „Bandübernahmevertrag” in jeweils vier Zeilen. Wo Plattenfirmen mehrstöckige Abteilungen beschäftigen, Künstler wie George Michael jahrelang prozessieren und Juristen in Scharen kapitulieren (lieber Baurecht), begnügt sich „Popstars – das Buch” nicht mal mit ansatzweiser Verallgemeinerung. Hinsichtlich solch sorgloser Darstellungen scheint jegliche Debatte über profunderen Musikunterricht an Schulen überflüssig. Wie möchte man Schülern im Klassenraum die Kosten, hinter einer Plattenfirma erklären und damit die Schäden durch illegale Downlaods, wenn „Popstars – das Buch” in Zusammenhang mit der TV- Staffel und der Wirkung auf die brennende Zielgruppe jeglichen Neustrukturierungen entgegenwirkt?

Ins gleiche Horn stoßen dabei Binsenweisheiten, die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen. Proben gefällig? „Ein geiles Video ist Pflicht, ein toller Body muss sein, wer viel unterwegs ist, kann den Kontakt zu Freunden verlieren”. Exakt jener Scharfsinn vermittelt den jungen Menschen weiterhin, dass die Phonoindustrie ein Selbstbedienungsladen mit Maskeradenpflicht ist. Der Wert der Kreativität tendiert laut „Popstars – das Buch” gegen Null. Mitunter, weil keiner der Ex- oder künftigen Popstars auch nur einen Griff auf der Gitarre spielen, geschweige denn einen Song komponieren kann und somit die Anstrengung hinter Musik in keiner Weise nachempfindbar wird. Die Songs werden ihnen ja als pflückbare Äpfel präsentiert, die schnell und ertragreich für „Popstars“ wachsen. Mangelnde Originalität kompensiert man durch Ablenkungsmanöver wie Video, durch Aussehen und Pathos. Wenn zudem ein Kapitel „Styling ist die halbe Miete…

Willkommen im Jet Set” überschrieben wird, das einer klaren Zielgruppe präzise vermittelt, wie wichtig es ist wichtig zu sein, wundert man sich über den destruktiven Zustand der Jugend kaum mehr. Schwarz auf weiß bekommen es Casting- Teilnehmer und solche, die es werden wollen, zu lesen: können musst du wenig, deinen Tellerrand bestimmen wir, Hauptsache du sitzt neben Verona Feldbusch.

Diese Oberflächlichkeiten reihen sich neben völlig uninteressanten „Popstars“-Bandbiografien, Fotos, Vorstellung der Coaches oder Jury derart ignorant auf, dass man direkt fragen muss, ob denn ein Verlag respektive privater Sender nicht auch eine gewisse erzieherische Verantwortung hat, derartige irreführende Passagen zu streichen oder anzugleichen. Wäre es nicht an der Zeit, den Einfluss einer Sendung wie „Popstars“ genauso zur Korrektur und Klarstellung heranzuziehen, wie man das gerne von den öffentlich-rechtlichen Medien verlangt? Denn nicht das Konzept singende Menschen per Fernsehen zu suchen oder der dauernde Missbrauch des Wortes „Star” steht hier in der Kritik. Das muss man als Zukunftsmodell akzeptieren lernen.

Es sind die gesellschaftlichen, moralischen und kulturellen Illusionen, die mit so einem Buch transportiert werden. Es schadete den Partizipierenden sicher nicht, die Realitäten bei „Popstars“ gerader zur rücken: hier sind die wahren Musiker, die ihre Songs selbst verfassen und kreativ sind. Da seid ihr, die tanzenden Reproduzierer, die Songs, Styling, Bühnenperformance und Verhalten vorgegeben bekommen. Und man muss eben mal zugeben, dass Bands wie Preluders oder Overground komplett versagt haben. Mit allen Beteiligten. Die Wahnvorstellungen, die „Popstars – das Buch” schildert, müssten dringend auf den Index oder gekennzeichnet werden, aber wie soll man ein Buch einordnen, in dem auf Seite zwei Platzhalter für persönliche Daten warten? Mit Poesie hat das wenig zu tun.

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