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BU (Foto)  Zwischen Warten und Abfahrt. Gleis 9 im Wiener Hauptbahnhof. Foto: mku
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Reihe 9 #106 – Strauss 200

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Früher machte das Reisen einfach mehr Spaß. Denn da hatten die Züge noch individuelle Namen, die oft genug etwas über ihren Ausgangs- oder Zielbahnhof erzählten. So konnte man mit bedeutenden Persönlichkeiten durch ganz Europa reisen. Beispielsweise trug der RJ 78/79 von Wien nach Prag den Namen Johann Strauss, noch weiter in der Vergangenheit liegt der Reiseplan des EC 62 Bartók Béla. Genau: der fuhr bis Budapest. Doch statt das kulturgeschichtliche Gedächtnis des Kontinents auf diese Weise am Leben zu halten, ergraute die bunte Bahnwelt irgendwann in numerischen Ordnungen. Dafür wurden die mächtigen Lokomotiven aber als treffliche Werbeflächen entdeckt – ganz aktuell bei den ÖBB mit einem internationalen Strauss- und Wien-Bezug: King of WaltzQueen of Music.

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Strauss-Jubiläums-Lok 2025

Strauss-Jubiläums-Lok 2025

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Tatsächlich habe ich vom diesjährigen Jubiläum selbst noch nicht sonderlich viel mitbekommen. Denn ohne eine Sinfonie und Kammermusik sind die Werke von Johann Strauss (Sohn) eben doch nur selten in einem entsprechenden Konzert präsent – es sei denn, man nähert sich im Kalender Silvester oder dem Neujahrstag oder trifft in Wien auf einen Touristen abfangenden mobilen Ticketverkäufer für das tägliche Walzer-Event. Es scheint fast so, als würde die Musikwelt auf den 25. Oktober hinfiebern. In der österreichischen Donau-Metropole wird es an diesem Tag jedenfalls besonders repräsentativ: Ein Festakt findet im Rathaus statt, die Wiener Philharmoniker geben ein Gala-Konzert (als „Neuauflage des Geburtstagskonzertes von 1925“), die Volksoper führt Eine Nacht in Venedig auf und die Wiener Symphoniker huldigen mit einem Programm, das auch Uraufführungen von Max Richter (Three Dances) und John Williams (When The World Was Waltzing) einschließt. Wer noch physische Tonträger sammelt, darf sich Ende des Monats auf eine ultimative Naxos-Box mit 52 CDs freuen (keine Neueinspielungen). Danach wird wieder auf den Pulten aufgeräumt.

Dabei gäbe es bei einer geduldigen Durchsicht des Œuvres – auch des der verschiedenen komponierenden Familienangehörigen – weit mehr zu entdecken als die Blaue Donau, das Wiener Blut, die Rosen aus dem Süden oder den Kaiser-Walzer. Denn all die Walzer, Polkas und Märsche bieten mehr als nur schöne Melodien. Ihre Titel geben oft genug Hinweise auf historische Ereignisse, technische Neuerungen, Jubiläen und Kuriositäten, die auch etwas über das Leben im 19. Jahrhundert berichten – unendliches Material für unterhaltsame Abende mit einem gut vorbereiteten Conférencier. Erraten Sie etwa die Fakultäten der für den einen oder anderen Faschingsball geschriebenen Partituren? Fünf §.§. aus dem Walzer-Codex op. 105, Schallwellen op. 148, Panacea-Klänge op. 155 oder Schwungräder op. 233 (1859)? Was hat es mit den Telegraphischen Depeschen op. 195 auf sich? Wurden die Wahlstimmen op. 250 großflächig gefälscht? Haben sich wirklich alle über die Eingemeindungen zu Groß-Wien op. 440 gefreut? Und dann gibt es noch die Nordseebilder op. 390, 1879 auf der Hochzeitsreise komponiert in Wyk auf Föhr. Die Eisenbahnfahrt von Wien nach Husum muss damals noch ein richtiges Abenteuer gewesen sein, wie überhaupt derartige touristische Unternehmungen noch avantgardistisch waren. Ob die Mitreisenden wohl den Walzer-König an seinem charakteristischen Bart erkannten?

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