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Reihe 9 in der Komischen Oper in Berlin. Foto: mku

Reihe 9 in der Komischen Oper in Berlin. Foto: mku

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Reihe 9 (#29) – M

Vorspann / Teaser

Wohl keine andere Gattung kann Saison für Saison mit so zahlreichen Uraufführungen aufwarten wie die Oper. Während im Konzertsaal Neues (so wie auch manches Alte) für Irritationen, zumindest aber stoischen Gleichmut im abonnierten Silbersee sorgt, so scheint man von den Brettern, die die Welt bedeuteten, neue Töne, andere Sichtweisen und unbekannte Gefühle geradewegs zu erwarten. Denn mit jeder Inszenierung wird auch ein Werk des Repertoires stets neu gedeutet, mitunter gar so weit verfremdet, dass hinter der Szene die Musik verschwindet.

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Einst aus der antiken Tragödie wiedergeboren, kann jede Oper auch aktuelle Gestalt annehmen oder sogar Zeittypisches spiegeln: Ende des 19. Jahrhunderts etwa zogen die Ideen der Revolution in die Libretti ein, etwas mehr als ein Jahrhundert später waren es mit dem Expressionismus die Erkenntnisse der modernen Psychologie. Täter und Opfer, mitunter auch der Täter als Opfer, liessen sich musikalisch schärfer und tiefgründiger charakterisieren, als dies im Schauspiel oder Stummfilm möglich war. Das erklärt letztlich (auch) den Erfolg von Alban Bergs Wozzeck, abgeschwächt den von Paul Hindemiths Cardillac.

Tatsächlich waren die 1920er-Jahre für diese Themen besonders aufgeschlossen, mehr vielleicht gar noch betroffen. Es war die Zeit, in der erstmals Serienmörder erkannt und systematisch wie öffentlich nach ihnen gefahndet wurde und sich die Bevölkerung fast hysterisch um die eigene Sicherheit sorgte. Das Thema war hochgradig virulent, als Fritz Lang im Jahre 1931 seinen Tonfilm M – Eine Stadt sucht einen Mörder drehte. Ein Meisterwerk auf Zelluloid, in dem die Möglichkeiten dieses gerade um den Ton erweiterten Mediums brillant genutzt werden – mit starken Kameraeinstellungen und erstaunlich wenigen Worten. Kürzlich erst hat die anhaltende Faszination für diesen Film ein Remake hervorgebracht, das bei der Berlinale Premiere hatte.

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M – Eine Stadt sucht einen Mörder, Komische Oper Berlin. Scott Hendricks und Statisterie. Foto: Monika Rittershaus

M – Eine Stadt sucht einen Mörder, Komische Oper Berlin. Scott Hendricks und Statisterie. Foto: Monika Rittershaus

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Noch einen Schritt weiter ging nun die Komische Oper Berlin mit einem Auftragswerk von Moritz Eggert. Im Libretto eng an den Film angelehnt, handelt es sich dennoch um keine direkte Adaption. Vielmehr eröffnet der lange Einakter über weite Strecken neue Sichtweisen – und lässt zudem in der eindrücklichen Umsetzung von Barrie Kosky am Ende gar offen, ob sich alles nur in der Fantasiewelt eines allein gelassenen Außenseiters zugetragen hat. Tatsächlich bleibt M (Scott Hendricks) auch der einzige Protagonist auf der Bühne. Neben zwei Solisten aus dem Orchestergraben ist es somit der groß besetzte Kinderchor, der musikalisch wie darstellerisch (als stereotyp geformte Erwachsene à la Augsburger Puppenkiste) bedeutend gefordert wird und mit dem großartige Bilder gelingen (etwa bei der ins Innere verlagerten Verfolgungsjagd zwischen grün leuchtenden Notausgängen). Musikalisch erweitert Eggert seine leichtgängige, spielerische Partitur durch stilistische Rekurse auf Elemente der Opera buffa, des Musicals und der Filmmusik, vor allem aber des Lehrstücks und der Moritat (unter Einbezug einiger zeittypischer Großstadt-Dichtungen von Walter Mehring). Dramaturgisch entstehen indes dort Längen, wo die Oper zum klanglich untermalten Hörspiel wird und vor dem inneren Auge die Bühne doch nur den Film ersetzt.

Ihr

Michael Kube

REIHE 9

Immer am 9. des Monats setzt sich Michael Kube für uns in die Reihe 9 – mit ernsten, nachdenklichen, manchmal aber auch vergnüglichen Kommentaren zu aktuellen Entwicklungen und dem alltäglichen Musikbetrieb. Die Folgen #1 bis #72 erschienen von 2017 bis 2022 in der Schweizer Musikzeitung (online). Für die nmz schreibt Michael Kube regelmäßig seit 2009.

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