Mit dem richtigen Namen funktioniert ein Festival wie von selbst. So scheint es jedenfalls im burgenländischen Eisenstadt mit dem „Herbstgold“ zu sein. Veranstaltet vom Schloss Esterhazy ist es im September ein kulturelles Aushängeschild der Region sowie ihrer kleinen, sympathischen Landeshauptstadt. Schaut man freilich ins gewichtige Programm, das vor Gold und großen Namen glänzt, findet man doch nur eine echte Rarität des einstigen, jedoch noch immer allgegenwärtigen Joseph Haydn.
Reihe 9 (#82) – papa ante portas
Das quadratische Format des Programmbuchs ist geschickt gewählt und erinnert an den Grundriss des nach 1800 im klassizistischen Stil umgebauten, jedoch unvollendet gebliebenen Schlosses: Die einst geplanten Seitenflügel konnten während und nach der Napoleonischen Zeit nicht mehr realisiert werden. Heute ist es, wie vieles in und um Eisenstadt herum, Teil einer aus fürstlichen Stiftungen hervorgegangenen Betriebs AG, die wie einst der ökonomisch denkende Fürst Anton I. „ihren“ Kapellmeister zu würdigen und zu schätzen weiß: Im Hof leuchtet abends in kräftigem Rot der Schriftzug Haydn, in der Sala Terrena wird man von hochkarätigen Objekten rund um den einstigen Hofkapellmeister überrascht. Sparfuchs Anton entließ 1790 zwar die Hofkapelle, wahrte aber vor der Welt (und der Musikgeschichte) sein Gesicht, indem er Haydn nominell im Amt beließ. Ein wenig erinnert daran auch das von Julian Rachlin in seiner Funktion als künstlerischer Leiter zusammengestellte und teilweise von ihm selbst auf der Violine präsentierte Programm. Den Reigen eröffnete das Chamber Orchestra of Europa (mit Prokofjew, Glinka, Tschaikowsky), beschlossen wurde es von der Filarmonia della Scala (mit Rossini, Mozart, Dvořák).
Für mich waren die angeblichen Höhepunkte freilich schon beim Lesen enttäuschend, weil allzu austauschbar. Was nützt es, wenn für eine „Lisztomania“ George Hamilton (!) zur Rezitation eingeflogen wird, dieser sich in einem gedruckten Frage-Antwort-Spiel „geehrt, demütig und dankbar“ gibt, am „Originalschauplatz von Haydns Schaffen“ aufzutreten – die Musik Haydns selbst aber mit nur einer Sinfonie und einem Streichquartett, beide Male zudem als „Aufwärmer“, eine untergeordnete Rolle spielt? Die Aufführung zweier Mess-Vertonungen durch versierte örtliche Kräfte lief im so genannten „Rahmenprogramm“, die eigentliche Attraktion der aktuellen Herbstgold-Ausgabe als „Prélude“: Haydns allererste Oper „Acide“ (1763) am Ort ihrer Uraufführung. Auch wenn vier Szenen und sämtliche Rezitative verloren sind, so zeigt sich doch an diesem kaum gespielten und noch seltener inszenierten Werk Haydns ganze Qualität als Komponist und junger Hofkapellmeister – auch und gerade im Bereich der Bühne. Carolin Pienkos und Cornelius Obonya gelang es, mit Ideen, Licht und viel Witz die Leerstellen der Überlieferung auszugleichen und im Konzertsaal neue Spielräume zu eröffnen. Mit einem sängerisch wie darstellerisch sehr engagierten und lustvoll agierenden Ensemble (Jan Petryka, Elisabeth Breuer, Cornelia Sonnleithner, Elisabeth Wimmer und Christoph Filler) gestaltete sich die nur einmalige Wiederaufführung der einstigen höfischen Festoper zu einem bunten Lustspiel für alle Generationen. Der Orchesterpart war beim niederösterreichischen Ensemble Barucco (auf Originalinstrumenten) unter der Leitung von Heinz Ferlesch in den allerbesten Händen.
Es ist jammerschade, wenn ein Festival wie dieses mit derart gut erhaltenen historischen Orten und lokalen Bezugspunken die offen auf der Hand liegende Authentizität verleugnet. Da hilft auch nicht die von Julian Rachlin in seiner Eröffnungsrede mehrfach beschworene (und bemerkenswert fein ausdifferenzierte) „Herbstgold-Familie“ – während der eigentliche „Papa“ weithin vor der Tür bleiben muss.
PS.
Muss er aber nicht, jedenfalls außerhalb des Festivals. Am 14. Oktober heißt es auf Schloss Esterhazy „Haydn pur“: mit dem Amsterdam Baroque Orchestra unter Ton Koopman und zwei Wochen später noch einmal mit dem Chamber Orchestra of Europa, nun allerdings mit Haydn-Mozart-Beethoven unter Andrew Manze.
Reihe 9
Immer am 9. des Monats setzt sich Michael Kube für uns in die Reihe 9 – mit ernsten, nachdenklichen, manchmal aber auch vergnüglichen Kommentaren zu aktuellen Entwicklungen und dem alltäglichen Musikbetrieb. Die Folgen #1 bis #72 erschienen von 2017 bis 2022 in der Schweizer Musikzeitung (online). Für die nmz schreibt Michael Kube regelmäßig seit 2009.
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