Was verbindet den Dirigenten Christian Thielemann mit dem Frankfurter Kulturdezernenten Hans-Bernhard Nordhoff? Scheinbar gar nichts? Oder doch? Beide haben im weitesten Sinne mit Kultur zu tun: Ersterer dirigiert Orchester, der zweite ein Kulturamt. Beide suchen nach Geld, das sie nicht finden. Und auch nicht kriegen. Während aber der erste, den eigenen Welterfolg vor Augen, mutwillig von seinem Amtssessel in der Deutschen Oper Berlin aufspringt, dabei womöglich das klassische Zitat vom „Dreck“ murmelnd, den die anderen gefälligst alleine machen sollen, klebt der zweite förmlich an seinem Stuhl, lacht, insgeheim zitternd vor Angst vor drohender öffentlicher Bedeutungslosigkeit, unbändig über eine wackere prominente Hundertschaft aus Politik, Wirtschaft und Kultur aus Stadt und Land, die ihn mit einem Protestbrief aus seinem Deutschordenshaus (dort residiert der Frankfurter Kulturdezernent) zu verjagen versuchte – weiß er doch aus allgemeiner Erfahrung, dass ein wackelnder Stuhl umso fester steht, je mehr die politischen Damen und Herren einer wackligen Mehrparteienkoalition darauf achten müssen, dass ihnen ihrerseits nicht die unsicheren Stühle durch Neuwahlen sozusagen unter dem Hintern weggezogen werden. Das wäre ja noch schöner, nur der Kultur und eines unwichtigen Kulturdezernenten wegen das eigene Pöstchen zu riskieren. Da wählt man doch lieber das größere Übel und belässt den Kulturamtsdirigenten an seinem Schreibtisch zum Kügelchenspielen auf dem Rechenschieber: Was kostet Kultur? Auf jeden Fall zu viel.
Nun haben wir fast die Eingangsfrage ein wenig aus den Augen verloren: Was den Dirigenten und den Dezernenten verbindet, könnte man als die Missachtung der Kultur insgesamt und ihrer gesellschaftlichen Bedeutung bezeichnen. Christian Thielemann ist zwar nicht ganz zu Unrecht darüber verärgert, dass der Konkurrenz in Barenboims Lindenoper aus Bundesmitteln ein oder knapp zwei Millionen Euro für das Orchester zufließen, „seinem“ Orchester an der Deutschen Oper dagegen gar nichts. Ihm liefen wegen Schlechterstellung schon die qualifizierten Musiker weg, sagt Thielemann. Erstaunlich, dass er das überhaupt bemerkt hat, steht er doch in dieser Saison nur neunzehn Mal vor „seinem“ Orchester, das er angeblich „liebt“. Wenn ein Chefdirigent sein Orchester im Jahr nur neunzehn Mal trifft, dann kann es sich nicht um einen Chefdirigenten handeln, bestenfalls um einen Einspringer, der zu allem Überfluss auch noch eine fast ungebührlich hohe Jahresgage bezieht. Dass Thielemann eine Neigung zu selbstherrlicher Unanständigkeit besitzt, wussten vor den Berliner Kulturverantwortlichen allerdings schon die Nürnberger Kollegen. Aber in der Hauptstadt liest man zu eigenem Schaden wohl keine Provinzzeitungen. Wer in dieser für die Kultur so schwierigen Zeit die Verantwortung, in diesem Fall für ein Orchester und den Musikbereich eines Opernhauses, so mutwillig, wie ein ungezogener Junge das Spielzeug, fortwirft, beweist damit nur, dass er keine Ver- antwortung für ein Theater oder Orchester übernehmen kann: Thielemann sollte sich auf seine ganz persönliche Karriere konzentrieren, für die Chefposition in einem Opernhaus ist er charakterlich ungeeignet. Nur fordern und hinschmeißen ist ein bisschen wenig Qualifikation. Thielemann behandelt den sensiblen Gegenstand Kultur eben- so grobianisch wie die oft gescholtenen Politiker. Das sensibilistische Gehabe am Dirigierpult erscheint nur mehr als pures Täuschungsmanöver.
Daneben erscheint der Fall Nordhoff eher harmlos. Frankfurt gibt pro Kopf der Einwohner und auch absolut immer noch sehr viel Geld aus für die Kultur, mehr als alle anderen deutschen Städte. Hans-Bernhard Nordhoff ist wohl ein ordentlicher Kassenwart, der penibel auf seinen Etat schaut. Von einem Dezernenten für Kunst und Kultur erwartet man aber dann doch etwas mehr: Enthusiasmus, kreative Phantasie, das Wissen, wie wichtig Kultur für eine Civitas, eine versammelte Bürgerschaft ist. Entsprechende Vorwürfe an Nordhoff treffen aber nicht allein seine Person, sondern auch diejenigen, die ihn aus politischem Opportunismus (wieder-) gewählt haben. Den Schaden trägt allein die Kultur davon. Bequemlichkeit, Gedankenlosigkeit, Gleichgültigkeit sind ihre schlimmsten Feinde neben der rücksichtslosen Ausbeutung durch sogenannte Kunstschaffende, die sich wie Fußballer oder Großaktionäre benehmen, die nur auf die Dividende sehen.