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Nein, dies ist kein Bühnenbild von Anna Viebrock für Christoph Marthaler, vielmehr ein Blick ins Innenleben des Theaters Augsburg. Foto: Nik Schölzel
Nein, dies ist kein Bühnenbild von Anna Viebrock für Christoph Marthaler, vielmehr ein Blick ins Innenleben des Theaters Augsburg. Foto: Nik Schölzel
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Schwäbische Kulturturbulenzen

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Nachschlag 2016/11
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„Morgen Augsburg!“ knarzte Bernhard Minetti einst unvergesslich in Thomas Bernhards „Die Macht der Gewohnheit“: als Drohung mit der tiefsten Provinz. Außerdem gibt es den maliziösen Satz „Das schönste an Augsburg ist der ICE nach München“. Beide Aussagen wirken derzeit neu belebt.

„Wir bieten Theater mit fließendem Wasser!“ witzelt Intendantin Juliane Votteler seit Jahren. Konkret heißt das: Das repräsentativ gelegene und auch so wirkende Opernhaus brannte im 2. Weltkrieg aus und wurde 1956 nach den alten Plänen aus dem 19. Jahrhundert wiedererbaut, teils mit Bombenschutt. Inzwischen ist es für die Stadt jeden Sommer ein sogenannter „Zwischen-Sanierungsfall“ wegen Regen und vielfachem, tiefgehendem Schimmel- beziehungsweise Salpeterbefall; es fehlen moderne Verbundglasfenster; in den Werkstatträumen fallen Farbe und Putz von den Wänden; Brandschutz, Elektrik und Alarmsystem erfüllen die derzeitigen Anforderungen an öffentliche Gebäude nicht.

„Augsburg leuchtet. Das Theater strahlt!“ gab Juliane Votteler dennoch am Beginn ihrer Intendanz als mutiges Spielzeit-Motto aus. Später signalisierte sie mit Lucia, Aida, Eurydike, Isolde und einer theatralischen „Abseitsfalle“ zur Frauenfußball-WM 2011: „Es geht noch heller!“ Ihrem kämpferischen und auch künstlerisch immer wieder erfolgreichen Krisenengagement standen nicht eingehaltene Versprechungen eines unsäglichen, inzwischen abgelös­ten Kulturreferenten gegenüber. Als in der letzten Saison eine Zugstange aus dem Bühnenturm auf die Bühne stürzte, musste das Haus zum Saisonende 2016 geschlossen werden und genervt verlässt Votteler Augs­burg nach der Spielzeit 2016/17.

Die Metropole am Lech hat wie andere Großstädte bei anhaltenden Wirtschaftsproblemen natürlich viele, auch sozialpolitisch relevante Sanierungsbaustellen. Den Zusammenbruch der einst wirtschaftlich tragfähigen Textil­industrie trotz bundesdeutschem Wirtschaftswunder hat Votteler 2009 im leerstehenden Fabrikgelände Diering in einer Uraufführung thematisiert, in der „Die Weber von Augsburg“ die Zuschauer spielerisch durch leere Werkshallen führten – Aufführungsauslas­tung 104,4 Prozent (DVD-Aufzeichnung via Theater erhältlich)! Heute ist Augsburg die bayerische Stadt mit der höchsten Bürgerverschuldung pro Kopf.

Die Sanierung des Theaterstandorts, der teilweise unter Denkmalschutz steht, kommt die Stadt teuer. Derzeit liegen die geschätzten Kosten bei rund 189 Millionen Euro. Angesichts guter Haushaltslage des Freistaats zeigte sich der eher theaterferne, aber politisch hoch ambitionierte Finanzminister Söder engagiert: Nachdem in seiner Heimatre­gion durch Mischfinanzierung Nürnberg zum „4. Staatstheater“ aufgewertet wurde, bekam Augsburg einen staatlichen Zuschuss von 107 Millionen zur Sanierung zugesagt. Die Stadt selbst muss insgesamt und für Interimslösungen rund 91 Millionen schultern, 72 Millionen sollen laut derzeitigem Plan als neue Kredite aufgenommen werden. Die Finanzierung ist bis zum Jahr 2039 angelegt. Derzeit herrscht ein günstiger Zinssatz, von dem private Bauherren profitieren. Eine Kommune wie Augsburg darf aber nicht zu Beginn der Finanzierungsperiode eines mehrjährigen Bauprojekts das gesamte Kreditvolumen zum derzeit gültigen Zinssatz stemmen. Das erlaubt die Gemeindeordnung nicht.

Die Kreditfrage brachte einen spe­ziell schwäbisch-augsburgischen Mentalitätszug zum Hochkochen: in der Stadt gab es schon 30 Bürgerbegehren – bay­erischer Rekord. Ausgerechnet der Buchhändler, der den abendlichen Büchertisch und einen „Literarischen Salon“ im Theater betreibt, engagierte sich in der „Initiative Kulturelle Stadtentwicklung Augsburg“ mit der zentralen Frage „Sind Sie dafür, dass die Stadt Augs­burg die Sanierung des Theaters trotz angespannter Haushaltslage über Neuverschuldung finanziert?“ und sammelte Unterschriften. Als ihm Intendantin Votteler daraufhin kündig­te, kochten jenseits aller vernünftigen Diskussionen die Emotionen hoch. Seither steht die „teure und elitäre Hochkultur“ wieder einmal im Kreuzfeuer – ohne Vergleiche kommunaler Kosten bei Pop-Rock-Fußball-Veranstaltungen.

Inzwischen hat die Initiative zwar Papiere mit den erforderlichen 11.000 Unterschriften der Stadtverwaltung übergeben – doch soeben hat die Überprüfung nur rund 9.500 gültige „Stimmen“ ergeben. Damit steht sowohl die faktische wie die juristische Zulässigkeit der Fragestellung, letztlich ein möglicher Bürgerentscheid binnen drei Monaten vor dem Aus. Zusätzlich hat die städtische Finanzreferentin Eva Weber einen neuen Plan vorgestellt: Aktuell geplante Projekte sollen demnach über Kredite finanziert werden, die die Stadt zu den aktuell güns­tigen Konditionen bekommt. Im Gegenzug kann das derzeit im Haushalt verankerte oder künftig eingeplante Geld für diese Investitionen in Rücklagen geführt werden. Diese Eigenmittel lägen dann sukzessive bereit für die spätere Theaterfinanzierung. Ob durch diese Form der Finanzierung die Frage des Bürgerbegehrens ausgehebelt würde, ist eine weitere juristische Möglichkeit: Wenn die Theatersanierung aus Rücklagen finanziert werden kann, erübrigt­ sich die Frage der Neuverschuldung.

Bis dies geklärt ist, toben anonyme Plakate, Leserbriefe, Pro-Theater-Unterschriftslisten und Blogger-Wogen durch die Stadt – etwa „Augsburg ist wieder mal mehr ‚Au‘ als ‚gsburg‘“. Zu hoffen bleibt, dass jenseits der Einsicht, dass diese Beträge „Peanuts“ im Vergleich zu Bankensanierungssummen sind, auch der Stolz erwacht, Augsburg weiterhin zum weltweiten Alleinstellungsmerkmal beitragen zu lassen: dass jede bundesdeutsche Großstadt ein Mehrspartentheater als Kreativitätskraftwerk besitzt.

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