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a tempo (2009/04)

Untertitel
Für wen komponieren Sie eigentlich?
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Es gab einmal eine Sendereihe im Hessischen Rundfunk unter dem Titel: Für wen komponieren Sie eigentlich? Interviews mit Henze, Kagel, Nono, Schnebel etc ... Ich hatte mir als Student die Buchveröffentlichung aus der „Reihe Fischer“ gekauft, Anfang der 70er-Jahre. Hansjörg Pauli war der Sammler und Frager. Ich weiß die Antworten nicht mehr, in der Erinnerung geblieben ist mir aber ein besonderer Beiklang dieser Frage. Bemerkenswert an der Frage ist das hinten angestellte: „eigentlich“. Für wen komponieren Sie eigentlich? Der ganze Zwang der Rechtfertigung eines fragwürdig luxuriösen Tuns konzentrierte sich (für mich) in diesem „eigentlich“.

Ohne das „eigentlich“ wäre die Frage offen: Für wen komponieren Sie? Das „eigentlich“ fordert(e) heraus. Und in den 70er-Jahren hieß das: wo ist die gesellschaftliche Relevanz, das kritische Erkenntnispotential, die revolutionäre Tat? Es war damals klar: eigentliches Komponieren ist gesellschaftsveränderndes Handeln.

Wusste man diesem drängenden „eigentlich“ nichts entgegenzusetzen, geriet man schnell in den Verdacht der gedankenlosen Unaufgeklärtheit.

Und heute?

Wie wird die Frage heute gestellt, mit welchem Erwartungshorizont? Wie heißt unser heutiges „eigentlich“? Eigentlich, weil es mir Spaß macht; eigentlich, weil ich damit Geld verdiene; eigentlich, weil mich das Material interessiert – mögliche, nicht nur erfundene Antworten. Ich komponiere, weil ich eigentlich den Verblendungszusammenhang der kapitalistischen bürgerlichen Gesellschaft durchbrechen will – diese Antwort jedenfalls erscheint heute nicht mehr möglich. Reinhard Schulz hat in der letzten nmz (Ausgabe 3/09) den „Niedergang des Utopischen“ beschrieben, sehr zutreffend, wie mir scheint. Vor allem arbeitet er den Geschichtsverlust eines allgemeinen Bewusstseins heraus, dem das Heute nicht als ein Gewordenes – und damit grundsätzlich transzendierbares – erscheint, sondern lediglich als ein Ort, an dem man sich – so gut es eben geht – einrichtet. Zitat: „Wer den Begriff der Utopie für sein Schaffen tilgt, wer nur im Gegenwärtigen ohne visionäre Ausblicke herumplantscht, der wird kaum den Mut aufbringen, künstlerisch das Außerordentliche zu wagen.

Nur da aber, im radikal Anderen, wird Geschichte fortgeschrieben, wird das Feuer weitergereicht, das wir als Auftrag von den früheren Generationen erhalten haben. Heute droht diese Flamme im sauerstoffarmen Mief des bloß Gegenwärtigen zu ersticken.“

Am Terminus des „bloß Gegenwärtigen“ möchte ich andocken. Die Diagnose: „Verhaftet sein im bloß Gegenwärtigen“ bietet auch eine andere Prognose an.

Lassen wir probehalber das „bloß“ weg. Vielleicht liegt dann gerade im heute sehr geschärften Bewusstsein für das (bloß) „Gegenwärtige“ gerade das utopische Potential. Bietet nicht die recht verstandene Erfahrung des „Gegenwärtigen“ die einzige Möglichkeit, Wirklichkeit zu erfahren? Ich meine eine Wirklichkeit, die nicht „event“ ist, also Inszenierung, sondern „wirkliche Wirklichkeit“.

So verstanden ist es nicht die Erfahrung von Gegenwärtigkeit, die uns auf das Wunder unserer Existenz hin öffnet? Liegt in dieser Erfahrung, dass dieses „bei sich sein“ oder „zu sich kommen“ aber nur augenblicksweise gelingt und ständiger Pervertierung ausgesetzt ist, nicht etwas von dem seelischen Antrieb, den Bloch im „Prinzip Hoffnung“ vermutete?

Anschleichende Frage

Wenn ich Musik höre – und sich die Frage anschleicht: Für wen hat er (oder sie) das eigentlich komponiert? – was fällt mir dazu ein? Die großen Stücke der Weltliteratur (und das gilt jetzt von Ockeghems Missa prolationum bis zu Nonos „Prometeo“): nicht geschrieben für unser Verständnis, sondern für unsere Verstehensfähigkeit. Für ein von uns zu entwickelndes Potential unserer selbst.

Beethovens op. 135 und Zimmermanns „Requiem für einen jungen Dichter“ sind nicht (nur) für unser eingemeindendes Verständnis, sondern für unsere, erst am jeweiligen Gegenstand des Interesses zu entwickelnde Verstehensfähigkeit entstanden. Eigentlich sind sie für eine Zukunft von uns selbst entstanden.

Vom Nichtverstehen

Der Maler Gerhard Richter sagt im Interview mit Eva Karcher (SZ vom 14./15. 3.09): „Mir ist es immer wieder passiert, dass ich gerade gelungene Bilder  für völlig missglückt hielt, weil ich sie nicht verstanden habe.“ Wohlgemerkt: er spricht über eigene Arbeiten. Kunst entsteht, um auch die eigene Verstehensfähigkeit des Künstlers zu entwickeln.
Und was ist es, das wir (noch) nicht verstehen? Oder nicht mehr? Könnte es das sein, was wir „Schönheit“ nennen, ohne je zu begreifen, was sie ist?

Schubert, für wen hat er eigentlich komponiert?

Aufgegangen ist mir eine mögliche Antwort durch eine außerordentliche Aufnahme von Karl Betz (Christophorus, Heidelberg), in der er aus einer langen Reihe von beiläufigen Tänzen, Walzern, Galoppen, Eccossaisen und „Deutschen“ wie nebenbei die große B-Dur-Sonate hervortreten und sie dann wieder in „Vier komischen Ländlern“ verschwinden lässt. Aus dem „bloß Gegenwärtigen“ der Unterhaltung tritt das „Gegenwärtige“ hervor: gebannt durch die Form und die Form selbst bannend. Und das Gegenwärtige in dieser Musik heißt (so wie in jeder Musik): Solange ich klinge, sterbe ich nicht.

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