„Deutsche Bahn bekennt sich zum Personalverkehr – Weitere 30 Strecken werden stillgelegt.“ Es würde einen nicht überraschen, wenn der alte Bahnchef Mehdorn damit vor die Presse getreten wäre. An derartige Jubelrufe hat man sich hierzulande gewöhnt. Und genauso ungläubig würde man diese Information zur Seite legen und sich an den Kopf fassen: Der habe doch nicht mehr alle Tassen im Schrank.
Im Bereich der Musik ist das allerdings neu. Umso verwunderter konnte man die Pressemeldung des Bundesverbandes der Musikindustrie bestaunen: „Musikindustrie bekennt sich zur Popkomm – Branchentreff wird um ein Jahr verschoben.“ Diese Bekenntnishuberei, wie sie nur noch vom Fußballzirkus in Trainerfragen übertroffen wird, ist das eine; denn wer trauerte der Popkomm in diesem Jahr oder überhaupt nach? Das andere ist die erstaunliche Begründung für die Absage. Schuld seien nämlich die Musikpiraten. Die momentane Situation sei „auch ein Ergebnis der Untätigkeit der Politik, die beim wichtigsten Branchenthema Internetpiraterie nach wie vor den Ernst der Lage nicht erkannt hat“, meint Dieter Gorny als Chefvertreter der Musikindustrie.
Mit einem Gesetz gegen Internetpiraten, wie es in Frankreich eingeführt werden sollte und vom dortigen Verfassungsgericht in entscheidenden Punkten gekippt wurde (unter anderem sollte Urheberrechtsverletzern der Zugang zum Internet gesperrt werden), wäre man auf dem besseren Weg, so das Credo der Musikindustrie. Umso mehr erstaunt das Gejammere, als genau am Tag zuvor, ein Gesetz für eben diesen Zweck aus dem Hause der Zensursula von der Leyen den Bundestag passiert hatte, mit dem eine solche Zensurinfrastruktur in den Bereich des Machbaren vorrückte. Und die SPD-Fraktion machte mit. Man hatte das Thema Kinderpornographie für diesen Zweck vorgeschoben, obwohl es in dem Bereich wirkungslos ist, und Ausweitungen auf andere Bereiche dementiert. Nun soll es kommen, wie es kommen muss.
Im aktuellen Wahlprogramm der CDU ist die französische Regelung enthalten: Internetsperren für Urheberrechtsverletzer, mit der Einleitungsformel verbunden, dass das Internet kein rechtsfreier Raum sei. Nun allerdings bekommt der Satz erst zu seiner vollen Bedeutung. Denn auch bisher war das Internet kein rechtsfreier Raum. Jetzt arbeitet man von Staats wegen daran, indem man Bürger- und Menschenrechte beschneidet (freier Zugang zu Information, Meinungsfreiheit, Unschuldsvermutung).Besser wäre es doch gleich, Regierung und Musikindustrie wählten sich ein anderes Volk.
Das Volk wählt sich auf jeden Fall eine andere Popkomm. „Motor Entertainment“, das „Radialsystem V“ und „newthinking communication“ haben schon eine Alternative aus der Open-Source-Szene am Start. Kann eigentlich ja nur besser werden. Bürgerrechte oder Popkomm? Dann lieber Bürgerrechte.