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Weiter so

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Es soll hoch beschäftigte Komponisten mit Doppelprofessur geben, die ihren Studenten, der Einfachheit halber und damit’s schneller geht, den Standardratschlag erteilen: „Weiter so!“. Der Ausspruch könnte als allgemeine Handlungsanweisung für den hochtourigen Leerlauf der Gegenwart taugen. Wo der Betrieb auf hohem Niveau gewinnbringend weiter klappert, was soll man da ändern? Die Einzigen, für die das nicht zutrifft und denen jetzt vor Schrecken die Zähne klappern, sind die Bosse und Aktionäre der Unternehmen, deren Aktien am so genannten Neuen Markt gehandelt werden und innerhalb eines Jahres bis zu 98 Prozent an Wert verloren haben. Dort unten im Tal der Tränen verspüren selbst die abgebrühtesten New-Economy-Profiteure wieder menschliche Gefühle und sehnen sich nach Veränderung. Ob’s was hilft, ist fraglich. Schließlich steht dieses Wachstumssegment der Börse inzwischen im Ruf, dass das Einzige, was hier wächst, die Zahl der Betrüger ist. Dagobert Duck hätte in diesen Laden nie investiert.

Es soll hoch beschäftigte Komponisten mit Doppelprofessur geben, die ihren Studenten, der Einfachheit halber und damit’s schneller geht, den Standardratschlag erteilen: „Weiter so!“. Der Ausspruch könnte als allgemeine Handlungsanweisung für den hochtourigen Leerlauf der Gegenwart taugen. Wo der Betrieb auf hohem Niveau gewinnbringend weiter klappert, was soll man da ändern? Die Einzigen, für die das nicht zutrifft und denen jetzt vor Schrecken die Zähne klappern, sind die Bosse und Aktionäre der Unternehmen, deren Aktien am so genannten Neuen Markt gehandelt werden und innerhalb eines Jahres bis zu 98 Prozent an Wert verloren haben. Dort unten im Tal der Tränen verspüren selbst die abgebrühtesten New-Economy-Profiteure wieder menschliche Gefühle und sehnen sich nach Veränderung. Ob’s was hilft, ist fraglich. Schließlich steht dieses Wachstumssegment der Börse inzwischen im Ruf, dass das Einzige, was hier wächst, die Zahl der Betrüger ist. Dagobert Duck hätte in diesen Laden nie investiert.Doch abseits von diesen pittoresken Schlangengruben menschlichen Strebens geht es überall weiter wie bisher, und das beruhigt bekanntlich ungemein. Das gilt nicht nur für die große Weltpolitik, wo mit der Erfindung der so genannten Schurkenstaaten die weltweite Akzeptanz der High-Tech-Rüstung fürs nächste Jahrzehnt gesichert scheint, oder wo der sportliche Wettkampf, den eine hochgerüstete Armee mit Terroristen um den ersten Preis in den Disziplinen Kindererschießen und Zivilistenumbringen austrägt, dem Publikum über eine weltweite PR-Maschinerie als Friedensprozess verkauft wird.

Das „Weiter so!“ gilt auch für minder blutige Angelegenheiten wie den Kampf um Markt und Macht im Kulturbetrieb. Die Marktführer der Festivalindustrie kennen den Wert der bewährten Losung genau. In Bayreuth sitzt Schlitzohr Wolfgang Wagner fes- ter im Sattel als zuvor. Nicht nur, weil die Künstlerverträge für die nächsten Jahre gemacht und sein eigener unantastbar ist, was offenbar selbst der bayerische Kunstminister Zehetmair inzwischen gemerkt hat. Sondern weil sein Weiterwirken den meisten durchaus recht ist: dem breiten Publikum, das für Karten des fränkischen Musikfestivals jeden Preis zu zahlen bereit ist, vor allem aber den Boulevard-Promis und Repräsentanten der gesellschaftlichen Macht, die, wie neulich am Radio zu hören war, ausgiebig mit Freikarten versorgt werden – dank der Fernsehkameras vor dem Hauptportal eine für beide Seiten profitable Symbiose. Dieses Klientel ist nicht gewillt, den probaten Ort der Selbstdarstellung mit seinem latent deutschnationalen Flair – man weiß ja nie, wozu er eines Tages noch gut sein kann – einer kulturkritischen Experimentierwerkstatt zu opfern. Wozu etwas ändern, es läuft doch wie geschmiert!

Ähnlich in Salzburg. Der gut geölte Festivalbetrieb bietet für jeden Geschmack etwas, die Marktpositionierung ist optimal, die jährlich wiederkehrenden Kont- roversen über Regietrends und Interpretationsfeinheiten garantieren eine öffentlichkeitswirksame Animation, und am Schluss sind wieder alle beglückt und zufrieden: Die Klassikfans mit ihrem Mozart, die Neue-Musik-Fans mit ihrem Nono, die Stars mit ihren Verehrern und die Verehrer mit ihren Stars, die Schallplattenfirmen mit den Kritikern, die Kritiker mit den vielen neuen CDs und nicht zuletzt die lokalen Geschäftsleute, die wie die Croupiers das Liegengebliebene abschließend einstreichen dürfen. Alle spüren: Irgendwie hat sich die Hochpreispolitik gelohnt, Kultur hat eben ihren Wert.

Gérard Mortier, dessen Arbeit zum Abschied in einer gerade erschienenen Buchpublikation ausführlich gewürdigt wird, hat seine Aufgabe, das Renommierfestival von der überlebten Karajan-Ära in die moderne Freizeitgesellschaft hinüberzuretten, erfüllt. Er hat den ignoranten Geldsäcken mit dem Zeigefinger gedroht, die kulinarischen Programme mit den Dissonanzen des Zeitfluss-Festivals gewürzt und neue Publikumsschichten gewonnen. Dahinter steckt die Einsicht: Wenn der Umsatz nicht stagnieren soll, darf sich die Kaufkraftabschöpfung im Luxusgütersegment – und dazu gehört auch der Klassikbetrieb – heute nicht mehr auf die Gruppe der traditionellen Smokingträger und Seidendirndls beschränken; auch die kräftig gewachsene Schicht der Kultur-Yuppies und gut verdienenden Lebensgenießer aller Sorten muss berücksichtigt werden. Nun wartet alles auf den großen Moment, da der neue Intendant Peter Ruzicka die Geheimnisse um sein erstes Festivalprogramm lüftet. Doch man darf jetzt schon annehmen: Von Farbnuancen abgesehen, wird es weiter gehen wie bisher. Die Interessen, die den Status quo favorisieren, sind zu mächtig.

Es gab einmal eine Zeit, da wurde nach der gesellschaftlichen Rolle der Kunst gefragt, von der Veränderung des Bewusstseins und der Lebenswelt gesprochen. In der Mediengesellschaft, die nach Fun und Glamour verlangt, sind solche Gedanken längst abgehakt und mega-out. Einer, der an ihnen festhielt und sie im Innersten seiner Kunst verankerte, war Luigi Nono. Im Urlauberparadies Salzburg indes waren seine Werke im letzten Jahrzehnt Gegenstand so heftiger Verehrung, dass ihnen ihr Stachel, so muss befürchtet werden, endgültig abhanden gekommen ist. Für seine Losung „Non hay caminos, hay que caminar“ bietet sich eine neue Lesart an: „Weiter so, auch wenn’s im Kreis geht!“

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