Wie jedes Jahr hat sich der GEMA-Kontrolleur wieder zu einem Besuch in meiner Kompositionsklasse angemeldet. Schon die Tage vorher habe ich meinen Studierenden die wichtigen Begriffe eingeschärft: „Merkt euch: ihr seid innovativ, ihr seid KUK, ihr seid Nische!“. „Was ist „KUK?“, fragt meine chinesische Studentin. „Hast Du nicht aufgepasst letzte Stunde? Du machst ‚klassische und experimentelle Konzertformate mit überwiegend zeitgenössischer Kunstmusik‘. Nur das, und nichts anderes. Es ist wichtig, dass Du Dir das merkst!“. In diesem Moment klopft es an der Tür und Panik überfällt mich – der Kontrolleur ist zehn Minuten zu früh! Nervös schaue ich in die Runde.

Moritz Eggert.
Wenn der GEMA-Mann zweimal klingelt
Wie ich es meinen Studierenden eingeschärft hatte, haben sich alle ordentlich und dezent volkstümlich angezogen, die Damen im Dirndl, die Herren im Trachtenjanker. Alle sind frisch gescheitelt, machen einen guten Eindruck. „Herein!“, rufe ich und die Tür öffnet sich. Der GEMA-Kontrolleur weicht meiner ausgestreckten Hand aus, setzt sich sofort an einen Tisch und holt mehrere Fragebögen und einen Bleistift heraus. „Machen wir es kurz, was haben Sie so alles in diesem Jahr komponiert? Ich fange hier gleich links an, bitte!“ „Ich habe ein Ensemblestück, ein Konzert für Violine und Orchester, ein Klavier-Solo-Stück und…“ „Die Besetzungen tun hier nichts zur Sache, nur die Längen will ich wissen!“. „Äh, 12, 14 und 6 Minuten“. „Na bitte, warum nicht gleich so. Bitte ab jetzt nur noch Minutenzahlen nennen, pro Rata Temporis, alles andere ist unwichtig.“. Die Studenten gehorchen und nennen mehrere Zahlen, während der GEMA-Kontrolleur Notizen macht. „Da haben wir ja schon mal das Wichtigste. Und jetzt zu den Kulturpunkten. Dieses Jahr können wir leider nur wenige vergeben, da wir gerade die 10 Prozent Kulturabgabe auf Druck von Sony kürzen mussten. Also, wie schaut es mit Ihrem Kulturkontext aus?“. Fragende Gesichter, dann hebt einer zögernd die Hand. „Nun, wir sind hier in einer der größten Musikhochschulen Deutsch…“. „Unwichtig. Wir wollen professionelle KUK-Kompositionen, keine verwöhnten Bildungsbürger. Also, wie sieht es mit deutschen Texten aus?“ Eine zögernde Stimme: „Ich habe eine Kantate auf Sorbisch gemacht…“. „Sorry, Sorbisch ist nicht Deutsch. Wie steht es mit Mundart?“ „Was ist Mundart?“, fragt meine japanische Studentin. „Ich verstehe“, sagt der Kontrolleur und macht sich wieder Notizen: „Nur Sorbisch, das ist aber keine Mundart: Null Punkte“. Ich sehe, wie er süffisant grinst. „Und, wie steht es mit der Verzahnung von Musik und Text?“ „Wir haben uns alle gefragt, was das eigentlich bedeutet, und…“ „Keine Diskussion! Ich dulde keine Nachfragen, entweder sie verzahnen oder sie verzahnen nicht. Ich schreibe mal hin: NICHT.“ Der Kontrolleur macht ein paar weitere Striche auf seinem Fragebogen und schüttelt den Kopf. „Sieht nicht gut aus, Herr Eggert. Dieses Jahr hätten sie ihre Kulturort-Lizenz erneuern müssen, aber wenn es hier gar keine Mundart und Verzahnung gibt, dann sehe ich ehrlich gesagt kaum Gründe, um…“ „Bitte haben Sie ein Einsehen!“, flehe ich ihn an. „Die Studierenden verdienen nicht genug, wenn wir die Kulturortlizenz verlieren, können sie sich den Mitgliedsbeitrag nicht mehr leisten!“ – „Papperlapapp. Wir erwarten von unserem GEMA-Nachwuchs, dass er sich deutlich mehr engagiert, als es hier zu geschehen scheint. Um unsere begehrte Leuchtturmförderung zu bekommen, muss man über den Durchschnitt herausragen. Hier in Ihrer Kompositionsklasse ist dagegen null los – sie streamen nicht, sie machen keine TikTok-Videos, kein Instagram…machen Sie denn überhaupt irgendetwas Relevantes?“ „Ich…Ich…“. Nur noch ein Stammeln kommt über meine Lippen. Ich weiß, dass wir verloren haben. „Einen schönen Tag noch“, sagt der Kontrolleur und knallt die Tür zu.
Anmerkung des Autors: Alle kursiven Zitate stammen aus dem Antrag 22a zur „Neuausrichtung der Kulturförderung“ der GEMA. Bitte lasst ihn uns verhindern, alle gemeinsam.
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