Als Teenager hat man ja so manche Probleme. Patricia O’Callaghan (geb. 1970) macht da mit ihrem Rockstar/Nonnen-Dilemma keine Ausnahme: Bis 17 wusste sie nämlich nicht, ob sie ins Kloster gehen oder weiter mit ihrer High-School-Band Ozzy Osborne covern und ins Rock-Business einsteigen sollte.
Als Teenager hat man ja so manche Probleme. Patricia O’Callaghan (geb. 1970) macht da mit ihrem Rockstar/Nonnen-Dilemma keine Ausnahme: Bis 17 wusste sie nämlich nicht, ob sie ins Kloster gehen oder weiter mit ihrer High-School-Band Ozzy Osborne covern und ins Rock-Business einsteigen sollte.H eute – nach einem klassischen Gesangsstudium in Toronto – ist an die Stelle des Traums von der beschaulich-frommen Existenz als Nonne die Liebe zur Klassik getreten – besonders zur Barock- und zur zeitgenössischen Musik (etwa als Mitglied des Avantgarde-Ensembles „Zebra Schvungk“). Die Vorliebe für Populäres – sofern gut komponiert und getextet – ist geblieben. Ein Dilemma? Nicht wirklich, denn Patricia O’Callaghan löst den vermeintlichen Widerspruch auf: via Kabarett.Nun gibt es nur wenige Ausdrücke, die so missverständlich sinnentleert worden sind wie der des Kabarett: Jeder Gang durch ein beliebiges Bahnhofsviertel lehrt auf den ersten Blick, dass Kabarett für viele Menschen mittlerweile mehr – sehr viel – mit der Assoziation nackter Haut als mit Musik zu tun hat – trotz des zeitweiligen Massenappeals von Leuten wie Ute Lemper und Liza Minelli.
Bei der kanadischen Sopranistin, die perfekt Deutsch spricht, hat der stets dehnbare Kabarett-Begriff viel mit qualitätvollen, individuell interpretierbaren Songs und Internationalität zu tun.
Neben großen Namen wie Kurt Weill, bei dem sie nach Möglicheit das weniger Bekannte oder Unbekannte sucht („I don’t think there needs to be another recording of Mack the Knife!“), gibt sie auf ihrer ersten Einspielung mit internationalem Vertrieb (Real Emotional Girl, Teldec) schwerpunktmäßig Songs von Leonard Cohen, eingestreuten Leonard Bernstein („Lucky to be Me“), französischen Chanson mit Musette-Touch („Je rêve de toi“) und Rockiges von Pearl Jam („Better Man“) bis Dylan („Like A Rolling Stone“) zum Besten. Kabarett à la O’ Callaghan hat also auch viel mit einer Vermittlung zwischen unterschiedlichen Repertoires und Stilen zu tun: Sie klingt – aufwändig arrangiert und hervorragend eingespielt – oft ein bisschen nach Pop/Rock goes Kunstlied und Kunstlied/Musical goes Pop. Kein Wunder daher, dass sich Klarinettist Don Byron Patricia O’Callaghan für drei Songs (Bernsteins „Glitter and be gay“ aus „Candide“, Background-Gesang auf R. Orbisons „It’s over“ und Stevie Wonders „Creepin’“) seiner neuesten Einspielung an Bord geholt hat. Auf Byrons „A Fine Line – Arias & Lieder“ (Blue Note) geht es ja um einen ganz ähnlich gelagerten Ansatz: Auf Giacomo Puccini folgt Henry Mancini und auf Stephen Sondheim Chopin oder Schumann. Provokativ bringt Don Byron seinen Crossover-Ansatz in den „Liner Notes“ mit einer rhetorischen Frage auf den Punkt: „Gibt es eine großartigere Arie als Roy Orbisons ,It’s over’?“ O’Callaghan würde womöglich von Kabarett sprechen.
Es wäre übertrieben, die Erstlings-CD der kanadischen Sopranistin mit dem Randy Newman-Titel als durchgängiges Meisterwerk zu empfehlen. So werden eingefleischte Cohen-Fans die intensive, romantische Düsterheit vermissen, wenn O’Callaghan mit ihrem kristallinen Sopran (der über Poppigem ein wenig nach Kate Bush klingt) an Stelle des kanadischen Brummbären „Take this Waltz“ interpretiert.
Andererseits gehört gerade Cohens „I’m your Man“ in einer poppigen-fetzigen Interpretation zu den Höhepunkten der Einspielung – neben Kurt Weill-Songs wie „Captain Valentine’s Tango“ oder „Stay Well“, in denen die Kanadierin ihre ganze, klassische Gesangs- und Interpretationskunst ausbreitet, ohne dabei nach dem großen Vorbild in Sachen Weill, Lotte Lenya, zu klingen.
Angst davor, ihre klassische Karriere durch Ausflüge ins Kabarett zu beschädigen, hat Patricia O’Callaghan übrigens nicht. Sie betrachtet Projekte wie „Real Emotional Girl“ als perfekten Ausgleich zur strengen Disziplin, die ihr als klassischer Sängerin abverlangt wird – auch wenn es manchmal schwer fällt, beides organisatorisch unter einen Hut zu bekommen. Ob sie nicht dennoch Angst vor kritischen Worten der Musikjournalisten über ihr Crossover-Kabarett-Engagement habe? Hat sie nicht: Wer sich vor Kritiker-Reaktionen im Vorhinein fürchte, könne niemals etwas Eigenständiges oder Individuelles zu Wege bringen. Überhaupt sei es am wichtigsten, dass Kritiker-Reaktionen deutlich ausfallen, ob es sich nun um „Hass“ oder „Liebe“ handle. Dann nämlich erst könne man etwas mit Kritiker-Worten anfangen.
Gut, dass Patricia O’Callaghan damals, mit 16 oder 17 Jahren, nicht ins Kloster gegangen ist.
CD-Tipp: Patricia O’Callaghan: Real Emotional Girl, Teldec