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Der Heide in der Südkurve

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Brit-Pop revisited: Neues von David Bowie, Pet Shop Boys und Oasis
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Brit-Pop geht ins fünfte Jahrzehnt – und die alten Helden melden sich zurück. Die Beatles schaffen es noch posthum problemlos an die Spitze der Charts und David Bowie, der die 70er Jahre, die Pet Shop Boys, die die 80er Jahre, und Oasis, die die 90er Jahre verkörperten, sind mit neuen Produktionen auf dem Markt.

Brit-Pop geht ins fünfte Jahrzehnt – und die alten Helden melden sich zurück. Die Beatles schaffen es noch posthum problemlos an die Spitze der Charts und David Bowie, der die 70er Jahre, die Pet Shop Boys, die die 80er Jahre, und Oasis, die die 90er Jahre verkörperten, sind mit neuen Produktionen auf dem Markt. Vor dem 11. September war David Bowie in Woodstock, in einem neuen Studio mitten in einem alten Palast, den ein verrückter Milliardär der 20er Jahre auf der Spitze eines Berges errichtet hatte. Er sah im Morgengrauen Hirsche im Naturpark grasen und schrieb Verse von apokalyptischer Wucht, in denen das Wort Angst eine zentrale Rolle spielte. Im Nachhinein sieht es jetzt so aus, als sei er ein Prophet, der Stahl in Stahl und Stein und Glas rasen sieht. Aber das sind Künstler- und Pop-Mythen – und das weiß auch David Bowie. Er dementiert, er verweist auf Dylan-Songs, aus denen sich alles, was jemals geschah und noch geschehen wird, ableiten lässt. Aber selbst der Gestus der Bescheidenheit wird Teil seiner Legende. Bowie war schon immer, in jeder Verkleidung, cool.

Sein neues Album heißt „Heathen“, „Heide“, und es ist das Beste seit vielen Jahren. David Bowie, das Chamäleon, der Maskenträger, der als „Ziggy Stardust“ die unbewussten Wünsche, Träume und Fantasien einer ganzen Generation auf seinen androgynen Körper projizierte, der dann in raschem Wechsel der Thin White Duke, ein verloren-nihilistischer Junkie in der Grenzstadt Berlin der späten 70er Jahre und ein fast schon herrenmenschlicher Disco-Gigolo in der New-Romantic- und Prä-Yuppie-Ära der frühen 80er Jahre war, hat, so scheint es, endlich seine Rolle gefunden: die des coolen Gentlemans und nachdenklichen Künstlers. Alles ist, so wie es immer war, singt er und alles ist anders. Er vermisst ein wenig die Unruhe der Jugend, die ihn einst beinahe das Leben kostete, und hat sich mit den großen Mächten des Lebens abgefunden. Auf seinem neuen Album erweist er, mit der Cover-Version „Cactus“, den Pixies seine Reverenz, die er zusammen mit Sonic Youth für die wichtigste, folgenreichste und doch halb vergessene Band der frühen 80er Jahre hält, er singt als begnadeter Performer in seinen neuen Live-Acts als Zugabe fast das ganze düster-visionäre Album „Low“ nach und er protegiert als Veranstalter Rock’n Roll-Schizos wie Daniel Johnston. In einer britischen Umfrage wurde er eben, noch vor Mick Jagger, John Lennon und Elvis zum größten Pop-Star des 20. Jahrhunderts gekürt und er hatte die Chuzpe, sich auf dem Höhepunkt der hysterischen New Economy-Hausse als Mutter aller Ich-AGs auf dem Markt die nötigen Multi-Millionen für ein sorgenfreies Bohème- und Bürger-Leben zu besorgen.

Pop und Intelligenz, das ist, freilich verschärft, radikaler und fragiler als bei Bowie, auch das Motto der mittlerweile zwanzigjährigen Karriere der Pet Shop Boys. „Liebe, Glamour und Marxismus“, überschrieb Jutta Koether, selbst in persona eine radical-chic-Glamour-Variante, Künstlerin und eigenwillige Pop-Schreiberin, vor knapp zehn Jahren in der SPEX ihren Bericht über das damals sechste PSB-Album. Neil Tennant und Chris Lowe schafften es, scheinbar anstrengungslos, Disco und Diskurs, mit einer Formel ihrer Salon-Bolschewismus-Kollegen von Heaven 17, Penthouse und Pavement, zu verbinden. Im düsteren Thatcher-England der frühen 80er Jahre machten sie ausgerechnet aus Eleganz eine Waffe im sozialen Kampf und verwirrten so die neo-liberalen Möchtegern-Eliten, die mit den Stellungswechseln der Pet Shop Boys sichtlich überfordert waren. Tennant und Lowe verkörperten eine Gay-Ästhetik, die nichts mit der beruhigenden Grellheit vertrauter Schwulen-Selbstdarstellungen zu tun hatte, sondern präzise, klar und „scharf“ war, mehr mit Barthes und Derrida als mit Halbwelt-Milieu zu tun hatte und jede Form von Identitäts-Politik vermied. Anno 2002 auf ihrem achten Album „Release“, ist der Pet Shop Boys-Pop natürlich nach wie vor in erster Linie Sequencer und Samples. Aber die Samples werden, wie man besonders am „Schlagzeug“ merkt, natürlicher; und verblüffenderweise darf sogar der einstige Smiths-Guitarrero und -Mastermind Johnny Marr wie auch auf dem neuesten Oasis-Album seine Beiträge liefern. Die Pet Shop Boys sind auf „Release“ hymnisch und melancholisch, Euphorie und Trauer verbinden sich in Neil Tennants Stimme auf unnachahmliche Weise und er reflektiert auch zunehmend über Verlust und Abwesenheit. Die neuesten Technologien werden zur großen Metapher – und die e-Mail ist mit einem Mal die Kommunikationschance all derer, die sich nichts mehr zu sagen haben.
Wenn Noel Gallagher reden möchte, dann geht er in die Kneipe. Seine Interessen sind klar: Fussball, Frauen – und die Beatles. Gallagher versteht sich mit Bruder Liam (meistens) nicht und er ist auch alles andere als ein Sandwichmann seiner selbst: das macht ihn sympathisch. In einer Zeit permanenter PR für das Idiotischste verkündet er ohne mit der Wimper zu zucken, dass keiner, der älter ist als 30 mehr einen vernünftigen Song schreiben kann. Gallagher ist 35 und das einzige, was ihn tröstet, ist die Tatsache, dass Mick Jagger und Paul McCartney seine Väter sein könnten. Und wer das neue, fünfte Oasis-Album „Heathen Chemistry“ hört, dem wird auch bewusst, dass Gallagher in einer Gesellschaft hysterischer Claqueure ein altbritischer Gentleman und Meister des Understatements ist. Denn dieses Album steht in der allerbesten Beat- und Punk-Tradition: es ist hymnisch und roh beziehungsweise „heidnisch“, es ist Medium und Träger für all die Energien, die zur Sprache kommen müssen. Und dass die Gallagher-Brüder, die eigen(-ständig) sind wie wenige Bands der 90er, auch wenn sie gern so tun, als seien sie nur ein Beatles-Fanklub, Virtuosen einer selten gewordenen innigen Ironie sind, das zeigen sie auch, wenn sie ihre Single, die ein kleines, treibendes Dreiminuten-Meisterwerk ist, „the hindutimes“ nennen.

David Bowie: Heathen Sony
Pet Shop Boys: Release EMI/Parlophone
Oasis: Heathen Chemistry Sony

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