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Die ungewohnten Seiten Salzburgs entdecken

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In der Nachfolge von Gerhard Eder gestaltet Tina Heine die 17. Ausgabe von Jazz & the City
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Anfangs war es noch eine überschaubare Menge, die sich auf der Terrasse des Arthotels „Blaue Gans“ versammelt hatte. Als dann aber der Schweizer Schlagzeuger Julian Sartorius mit einem Paar Sticks bewaffnet erschien und erste Wirbel, erste Patterns auf Mülltonnen, Gedenkplaketten, Türen, Fahrräder, Straßenschilder platzierte, wuchs der Tross, der ihm durch eine Seitenstraße der Getreidegasse bis zum Mozartdenkmal folgte, immer weiter an. Eine Art Flashmob bildete sich. Der Eidgenosse betrommelte so ziemlich alles, was ihm vor die Stöcke kam, Jalousien, Bauzäune, Bagger ... Festgehalten wurde das von hunderten Smartphones verdutzter japanischer Touristen.

Tina Heine, der neuen Programmgestalterin des Festivals „Jazz & The City“, war es bei ihrem Debüt durchaus wichtig, solche Happenings zu ermöglichen und auch touristische Hot-Spots der Stadt Salzburg mit in eine Veranstaltung einzubeziehen, wie es weit und breit wohl keine zweite gibt. Die Hamburgerin, einst Gründerin des Elbjazz-Festivals, hatte die künstlerische Leitung vom im letzten Jahr verstorbenen Gerhard Eder geerbt. Und da sie die Stadt an der Salzach vorher nicht kannte, erschloss sie sie sich über Wochen und Monate, fand immer neue Locations, entdeckte „Kraftorte“, begriff langsam, wie die Bürger hier in etwa ticken, besuchte Museen, Bars, Theater, kleine skurrile Läden.

Es war ein smarter Zug, eine Außenstehende mit der Programmierung von „Jazz & The City“ zu betrauen, denn die 43-jährige Tina Heine sieht die Stadt einfach mit anderen Augen, aus anderer Perspektive. Und zeigte bei ihrem Einstand einen Elan und ein Geschick, dass man frohgemut in die Zukunft schauen kann. Wer die Salzburger während der Konzerte belauschte, konnte schnell feststellen, dass viele Einheimische von bestimmten Locations ihrer Stadt noch nie gehört hatten. Und so lernten sie ihr Salzburg mal von einer neuen, ungewohnten Seite kennen. 35.000 Besucher hörten sich Konzerte in Kirchen, Kinos, Geschäften, dem Landestheater, im Mozarteum, in den „Kavernen“, dem „Republic“, in Wein Ateliers oder Museen an – und waren hin und weg von der Atmosphäre, davon, dass die Altstadt fünf Tage lang vom Jazz in Beschlag genommen wurde. 118 Konzerte wurden den Salzburgern und ihren Gästen geboten – bei freiem Eintritt für alle Events! Finanziert wird die Veranstaltung vom Altstadt Verband, der Stadt selbst, diversen Sponsoren. Sie kommt ohne staatliche Zuschüsse aus.

Beseelt, ja fast besoffen vor Glück taumelten manche Zuhörer von einem Konzert zum nächsten, konnten in der Kollegienkirche erleben, wie der 87-jährige Klarinettist Rolf Kühn feinsinnige Dialoge mit dem brasilianischen Mandolinenvirtuosen Hamilton de Holanda entwickelte oder durften die Bandbreite des norwegischen Saxofon-Wunders Marius Neset bestaunen, der in den Kavernen mit eigenem Quartett vom Leder zog, sich im Wein Archiv der Blauen Gans auf ein musikalisches tête-à-tête mit dem Tubisten Daniel Herskedal einließ und am nächsten Tag dessen Quintett im KunstQuartier verstärkte.

Dem Publikum wurde im „Republic“ nuancenreicher wie treibender Jazzrock mit dem Gitarristen Nir Felder geboten oder eine fette Funk-Sause mit dem Keyboarder Cory Henry. Es ließ sich von den Eisler-Bearbeitungen des Trios „Das Kapital“ im Rupertinum mitreißen oder von den mythisch durchhauchten Nummern des Pianisten David Helbock im Hotel Sacher an den Ufern der Salzach – einziges Manko hier: Der Flügel war so brutal verstimmt, dass es eine echte Qual war. Sacher-Masoch gewissermaßen.

„Jazz & The City“, das erstmals auch ungewöhnlich viele Medienvertreter von außerhalb anzog, war mit seiner 17. Ausgabe eine erneute Kennenlern-Aktion für die andere Seite der Mozart- und „The Sound of Music“-Stadt Salzburg und wohl die bestmögliche Werbung für den Jazz. Wer mit dieser Musik bislang nicht vertraut war, aber offen ist, der konnte sie in verschiedenen Vierteln, in insgesamt 50 Auftrittsorten in fast ihrer gesamten stilistischen Bandbreite wahr nehmen, sich überrumpeln lassen von Kreativität und Ausdruckskraft, von subversivem Geist und Spiritualität.
Text: 

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