Blumfeld, Deutschlands führende Marke für Weltschmerz und Revolte, kann, wovon andere Konzerne bloß träumen: jedem solange den Kopf verdrehen, bis er nur noch eines will – mehr von diesem Stoff. Die neue musikzeitung dreht das Album auf volle Lautstärke, sucht noch nach den leisesten Zwischentönen in Großfeuilleton-Elogen und WG-Wohnküchen-Bekenntnissen und prüft die Gründe für den durchschlagenden Erfolg der Schlechtgelaunten.
Blumfeld, Deutschlands führende Marke für Weltschmerz und Revolte, kann, wovon andere Konzerne bloß träumen: jedem solange den Kopf verdrehen, bis er nur noch eines will – mehr von diesem Stoff. Die neue musikzeitung dreht das Album auf volle Lautstärke, sucht noch nach den leisesten Zwischentönen in Großfeuilleton-Elogen und WG-Wohnküchen-Bekenntnissen und prüft die Gründe für den durchschlagenden Erfolg der Schlechtgelaunten.Jochen Distelmeyer ist der lebende Widerspruch. Nicht nur im Titelsong seines neuesten Albums, wo er seinen frei flottierenden Existenz-Horror zur paradoxen Litanei und zum Vermächtnis für jedermann gerinnen lässt: „Ich hab Angst vor Morgen/ich hab Angst vor Heute/ich hab Angst vor Gestern“ – da bleibt nicht viel übrig. Ein wenig später heißt es dann: „Ich hab Angst vorm Alleinsein/Angst vor anderen Leuten“. Das Credo eines Mannes, der mit nichts und niemandem einverstanden ist, auch mit sich selbst nicht – und den doch (fast) alle zu lieben scheinen.Distelmeyer kann gegen die „Diktatur der Angepassten“ wüten – und das Ganze bei „Rock am Ring“ vortragen. Er kann mit der Attitüde eines alt gewordenen Polit-Punk Medien, Märkte, Merchandise „dissen“ und trotzig bekennen: „Ich will nicht in eurer Logik leben“ – das hindert die „Frankfurter Allgemeine“ nicht, die Präsentation seines Albums zum Feuilleton-Aufmacher zu promovieren und Distelmeyer eine Diagnose für die Ewigkeit zu stellen: dass er nämlich „die deutschsprachige Rockmusik ausgerechnet aus dem Geist der Romantik erneuert“ habe.
Blumfeld: der Weltgeist als Feedback-Orgie und Kitsch-Refrain, der seine Anhänger genauso im Globalisierungsgegner-Camp wie bei feierabendlich gestimmten Germanistentag-Besuchern findet. Distelmeyer, der als virtuoser Verseschmied den Versatzstück-Bodensatz geschundener Medien-User-Hirne und enttäuschter Beziehungs-Seelen so suggestiv recyclet und montiert, dass aus Zitat-Fetzen von Hegel bis Hänschen klein, von Luhmann bis Liebesgeflüster neuer „Big Sinn“ entsteht.
Distelmeyers Lyrik ist die Flex fürs Hirn. Sie schneidet tief und sauber und präpariert Sinn-Schichten heraus, von denen man nicht vermutet hätte, dass es sie überhaupt gibt. Opportunismus kann man ihm nicht unterstellen; eher schon ist er der unbestrittene Meisterdenker der Multi-Referenzialität. Konnte man ihm früher, zu Zeiten von „Ich-Maschine“ und „L‘État et Moi“, noch unterstellen, dass er Hochkultur so lange dehydriere, bis sie sich nur noch als Astronautennahrung für all die eignet, die die Welt gern von weit, weit oben betrachten, so scheut er spätestens seit „Old Nobody“ (1999) auch nicht vor tränenseligsten Schlagerträumen zurück. Aus Benn ist Benny geworden, oder ein Bert, der seine Cindy sucht – halb zumindest, denn die vertrackte Poesie aus dem (Un-)Geist von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik, schleicht sich auch im „Testament der Angst“ entschieden zwischen Herz und Schmerz. „Ihr habt Euch selber aufgegeben“, das versteht jeder, aber es geht ja weiter: „für Geld, Gestell und Genotyp“, um das bis in die letzte „Mem“-Sequenz zu entziffern, sollte man schon am besten die neo-liberalen Dogmen enthemmter Milton-Friedman-Schüler, das technikkritische Spätwerk Martin Heideggers und die im FAZ-Feuilleton versammelten Thesen der Bio- und Nano-Technologie-Freaks kennen.
Freilich: Distelmeyer achtet darauf, dass er genügend Diskussionsstoff für WG-Wohnküchen-„dark hours“ bietet und doch keinen überfordert oder alleine lässt. Und er hat ein Gespür für die Never-ending-Adoleszenz-Schmerzen. Wofür Sartre einst 1.200 Seiten brauchte, also die Existenzialisten-Hits von „Faktizität“ („Geworfenheit“) bis „Fröste der Freiheit“, das samplet Distelmeyer in zwei Vers-Zeilen: „Wir kommen ungefragt/und gehen ungefragt“ und freut sich jetzt schon diebisch, wenn dereinst vielleicht im privatisierten Format-Radio eine Single mit dem Titel „Eintragung ins Nichts“ angesagt werden muss. So unwahrscheinlich ist das nicht: „Old Nobody“ hat es immerhin schon unter die Top Twenty der Album-Charts geschafft.
Ein Erfolgsgeheimnis Distelmeyers wurde bisher vielleicht zu wenig beachtet: dass er es nämlich schafft, das, was sonst nur peinlich ist, so mit kleinen dialektischen Widerhaken auszustatten und so elegant vorzutragen, dass auch Mr. Cool sich wieder „beschweren“ und seinen Hypochondrien frönen kann: „der Schmerz sagt ich/der Körper schlägt Alarm/und macht von sich reden.“
Freilich: Distelmeyer ist kein „slam-poetry“-Maestro, auch wenn er sich nicht scheut, sein Publikum schier endlosen „talking cure“-Exzessen zu unterziehen, sondern ein Musiker, dessen Sprödheit plötzlich sehr sexy wird, wenn sie vor einer treibenden Gitarrenfront in Bewegung kommt. Blumfeld sind eine Band!, das ist mehr als nur ein politisch korrektes Statement; selbst der größte Distelmeyer-Skeptiker wird sich dem treibenden Sound nicht entziehen können; nur dass es jetzt eben auch watteweiche, warme Keyboard-Klänge gibt, die von „love, devotion, surrender“ künden, mit der Gitarrenhärte bestens koexis- tieren und ein weiteres Blumfeld-Paradox verkörpern: dass sich nämlich Hingabe und hinhaltender Widerstand nicht ausschließen müssen.
Die Blumfeld-Probe aufs Exempel ist das Konzert. Wer beim Studium der Alben einen Bruch zwischen Punk und Pop herauszuhören meint, der kann live das Wunder lebensgeschichtlicher Kontinuität miterleben. Distelmeyer als Wilhelm Meister des MTV-Zeitalters, der sein eigenes Leben als Bildungsroman (für alle!) weiterschreibt.
- Blumfeld: Testament der Angst
ZickZack/eastwest.