Wer „You’ve Lost That Loving Feeling nur für einen Love-Song hält, der steckt schon in der Falle. Pathos und Melancholie sind nur die bitter-süßen Masken für ein Gefühl, das wie ein schwarzes Loch eine unheimliche Schwerkraft entfaltet, ohne je selbst sichtbar werden zu können: Paranoia. Wie alle traumatisch Versehrten, steht auch der Paranoiker im Bann des Wiederholungszwangs: nichts ist so klebrig wie das, was man (noch) nicht verarbeitet hat. Kein Wunder, dass dieser düster-hypnotische Righteous-Brothers-Klassiker immer neue Cover-Versionen herausfordert. Erst in der Variation wird das Thema sichtbar. Ex-„Doll by Doll“ Jackie Leven, trotz Jahrespreis der Deutschen Schallplattenkritik (1997, für „Fairytales For Hard Men“), immer noch ein großer Unbekannter, erkennt die verrückte Perspektive des panisch Liebenden schon in der ersten Zeile, die den drohenden Verlust thematisieren soll: „You never close your eyes anymore when I kiss your lips“; so kann nur einer reden, der selbst die Augen offen hält. Der Teufelskreis der Obsession besteht aus Kontrollbedürfnis und Hingabeverlangen. Jackie Leven macht das neurotische Szenario, bei dem nie so genau weiß, ob die zerfallende Identität Ursache oder Konsequenz des katastrophischen Geschehens ist, hörbar. Der Song wird zum Mini-Drama aus lauter Fragmenten. Jedes Instrument steht für eine Stimme. Es trägt zum Geschehen bei – und distanziert sich zugleich von ihm. Mit „Père Ubu“-Mastermind David Thomas hat Jackie Leven einen Kooperateur gefunden, der es an permanent gefährdeter Intensität ohne weiteres mit ihm aufnehmen kann: „a perfect match“ für alle anzunehmenden Liebesunfälle gewissermaßen. Aber es ist nicht nur diese fast unüberbietbare Righteous Brothers-„Überschreibung“, die „Defending Ancient Springs“ (bei Cooking Vinyl) zu einem Ereignis macht. Wer Jackie Leven einfach in die Van Morrison-Nachfolge stellt (was sicher als äußerstes Kompliment gemeint ist), tut ihm beinahe unrecht. Denn Jackie Leven ist eigen, weniger „über-irdisch“. Wenn er ein Mystiker ist, dann einer der allerkonkretesten Geschichten, deren Dialektik er en detail verfolgt. Dass dabei die Geografie sich mit der Biografie mischt, dass sich Räume und Geschichten fast unlöslich verbinden, trägt zur auratischen Kraft dieser Songs bei.
Wer „You’ve Lost That Loving Feeling“ nur für einen Love-Song hält, der steckt schon in der Falle. Pathos und Melancholie sind nur die bitter-süßen Masken für ein Gefühl, das wie ein schwarzes Loch eine unheimliche Schwerkraft entfaltet, ohne je selbst sichtbar werden zu können: Paranoia. Wie alle traumatisch Versehrten, steht auch der Paranoiker im Bann des Wiederholungszwangs: nichts ist so klebrig wie das, was man (noch) nicht verarbeitet hat. Kein Wunder, dass dieser düster-hypnotische Righteous-Brothers-Klassiker immer neue Cover-Versionen herausfordert. Erst in der Variation wird das Thema sichtbar. Ex-„Doll by Doll“ Jackie Leven, trotz Jahrespreis der Deutschen Schallplattenkritik (1997, für „Fairytales For Hard Men“), immer noch ein großer Unbekannter, erkennt die verrückte Perspektive des panisch Liebenden schon in der ersten Zeile, die den drohenden Verlust thematisieren soll: „You never close your eyes anymore when I kiss your lips“; so kann nur einer reden, der selbst die Augen offen hält. Der Teufelskreis der Obsession besteht aus Kontrollbedürfnis und Hingabeverlangen. Jackie Leven macht das neurotische Szenario, bei dem nie so genau weiß, ob die zerfallende Identität Ursache oder Konsequenz des katastrophischen Geschehens ist, hörbar. Der Song wird zum Mini-Drama aus lauter Fragmenten. Jedes Instrument steht für eine Stimme. Es trägt zum Geschehen bei – und distanziert sich zugleich von ihm. Mit „Père Ubu“-Mastermind David Thomas hat Jackie Leven einen Kooperateur gefunden, der es an permanent gefährdeter Intensität ohne weiteres mit ihm aufnehmen kann: „a perfect match“ für alle anzunehmenden Liebesunfälle gewissermaßen. Aber es ist nicht nur diese fast unüberbietbare Righteous Brothers-„Überschreibung“, die „Defending Ancient Springs“ (bei Cooking Vinyl) zu einem Ereignis macht. Wer Jackie Leven einfach in die Van Morrison-Nachfolge stellt (was sicher als äußerstes Kompliment gemeint ist), tut ihm beinahe unrecht. Denn Jackie Leven ist eigen, weniger „über-irdisch“. Wenn er ein Mystiker ist, dann einer der allerkonkretesten Geschichten, deren Dialektik er en detail verfolgt. Dass dabei die Geografie sich mit der Biografie mischt, dass sich Räume und Geschichten fast unlöslich verbinden, trägt zur auratischen Kraft dieser Songs bei. Anders als Jackie Leven steht das Trio Appliance ganz am Anfang. „Manual“ (bei Mute/Intercord) ist ihr Debüt-Album. Der Reiz dieser Musik, die prima vista so reduziert, so äußerst sparsam daherkommt, verdankt sich der Macht der Kontraste. Vordergründig ist Appliance eine klassische Gitarre-Bass-Drum-Band, John Peel hat mit ihnen eine seiner sagenumwobenen Sessions aufgenommen. Wer von ganz weit her und vollkommen flüchtig zuhört, könnte sich an eine der Rockbands der 70er Jahre erinnert fühlen, die das „Erdige“ umstandslos mit dem „Spacigen“ verbinden wollten. Aber der Sänger und Gitarrist James Brooks und der Schlagzeuger David Ireland sind in den 80ern mit „Bands“ wie Kraftwerk oder Neu sozialisiert worden. Und sie sind keine authentizitätssüchtigen Ausdrucksmusiker, sondern eher Sammler und Bastler. Darauf verweist schon der Name: Appliance heißt soviel wie Vorrichtung oder Gerät oder auch Hilfsmittel. Die zweite Ebene ist bei Appliance wichtig: die der Effektgeräte und Lautgeneratoren; freilich nicht der allerneuesten, sondern die der schon historisch gewordenen, die längst mit Patina versehen sind. Auf der Suche nach ihnen durchstreifen die drei Musiker Flohmärkte und Second-Hand-Läden. Freilich steht die „alte“ Technik stets im Dienst der Musik, der Idee; sie macht sich nie selbstständig. „Kultisch“ ist diese Musik, weil sie auf die Tiefenwirkung von Wiederholung und kleinsten Rückungen glaubt.Auch das Debüt von Emiliana Torrini („Love in the Time of Science“, bei Virgin) verdankt sich einem existentiellen Crossing: ihr Vater ist Italiener, ihre Mutter Isländerin. Sie wuchs an der Kreuzung der Kulturen auf. Nicht programmatisch, als „Konzept“, sondern unaufgeregt, mitten im Alltag. Ihr Vater hörte italienische Pop-Musik, die sie selbst „tacky“ nennt (also klebrig-süß oder gar schäbig), die Familie, wie könnte es anders sein, die große Oper der noch größeren Gefühle. Die Großmutter mütterlicherseits versuchte sie in Dixieland einzuführen. Und Emiliana selbst war ein ganz normaler Teenager, der en passant alles hörte, was gerade up to date war. Eine komplizierte Genealogie – und doch ein einfacher Effekt. Denn wer Emiliana Torrini singen hört, hat ein déjà-vu-Erlebnis. Er meint Björk vor sich zu sehen. Und auch die Musik ist äußerst „björky“, wenn auch in einer „light“-Version, was aber alles andere als abschätzig gemeint ist. Es kann ja nicht schaden, wenn isländischer Avantgardismus, der selbst schon kosmopolitisch, vertrackt und lustvoll-synkretistisch war, via Emiliana Torrini mediterran-mainstreamtauglich würde. Ein wunderschönes, leichtes Album für viele Gelegenheiten jedenfalls.
Zum Schluss noch ein Album des Jahres 1999, dessen Verfallsdatum weit ins nächste Jahrtausend reicht: Missy Elliotts „da real world“, auf ihrem eigenen „Gold Mind“-Label erschienen (hierzulande via EastWest erhältlich). Man hat Missy Elliott schon mit Björk und Madonna verglichen: Sie ist für das weite Feld des HipHop, was Björk für „Alternative“ und Madonna für puren Pop ist: nicht nur das definitive „role model“, sondern auch die selbstbewusste Produzentin und Promoterin der eigenen Musik. Missy Elliott hat eine eigene „factory“ und sie ist – anders als ihre Videos suggerieren, die innig ironisch mit allen denkbaren Fantasmen spielen – vor allem „workaholic“. „da real world“ war die aufregendste HipHop-Platte des vergangenen Jahres; gerade weil sie die Genre-Grenzen porös machte. Missy Elliott kann, wenn es sein muss, „soulful“ wie Aretha Franklin sein; und sie führt das, was ihr die „brothers“ vorgemacht haben, zu einem konsequenten und perfekten Ende: das Nebeneinander der „Spuren“, all der Ideen, Sound-Effekte und reinen Geräusche, die in einer Metropole koexistieren, die längst virtuell und nach wie vor tosend real ist.
Nirgendwo sonst kommt das kollektive Unbewusste einer urbanen Existenz deutlicher und komplexer zur Sprache als bei Missy Elliott – und das in Pop-Songs, die so suggestiv sind, dass sie sofort in die Strassen zurückkehren und man ihnen den Studio-Schweiß, der vergossen wurde, nicht mehr anmerkt. Das „Posen“ hat Missy Elliott von ihren HipHop-Kollegen gelernt: es gehört zum Geschäft, wird aber von ihr lustvoll-subversiv unterlaufen: die „Queen Bitch“, die durchtriebenste aller Frauen, als die sie sich demonstrativ darstellt, ist nicht mehr Sex-Objekt, sondern Souveränin.