Dramatik. Saitengemetzel. Unerhörtes. Rockwucht. Jazzsensibilität. Das Finale des BMW Welt Jazz Award entschädigte für manch schwachen Auftritt in einem Wettbewerbs-Jahrgang, der eigentlich mit einem so vielversprechenden Motto überschrieben war: „Playing My Guitar“. Die beiden mit Abstand besten Bands der sechs Konzerte umfassenden Vorrunde spielten am 18. April um die Gunst der Jury, die sich dann mit ihrer Entscheidung so sehr schwer tat, wie selten zuvor – letztendlich aber dem Franzosen Manu Codjia und seinem Trio den Pokal und ein stattliches Preisgeld von 10.000 Euro zusprach. Eine enge Angelegenheit. Auch das österreichische Trio FAT um den Gitarristen Alex Machacek hätte sich den Sieg redlich verdient.
Vom Quantensprung, der in technischer wie stilistischer Hinsicht auf der Jazzgitarre seit einigen Jahren zu bemerken ist, war beim BMW Welt Jazz Award über weite Strecken wenig zu spüren. Einige derer, die den weltweit renommierten Wettbewerb über die letzten sieben Jahre eifrig verfolgt hatten, fragten sich schon, wie mancher Teilnehmer es überhaupt in die Runde der sechs Bands geschafft hatte, die um den Einzug ins Finale spielten. Man muss die Jury, die im Vorfeld bei einer „Blindverkostung“ das Programm zusammenstellt, ein wenig in Schutz nehmen. Vermutlich versprechen die wenigen Stücke, die der fünfköpfige Ausschuss pro Band zu hören bekommt, oft mehr, als dann im Konzert zu halten ist.
Den in Israel lebenden Palästinenser Michel Sajrawy, dem der Auftakt des BMW Welt Jazz Awards zufiel, hatte man eventuell ausgewählt, weil er eine etwas andere, eine nahöstliche, Note anzubieten hatte. Aber was der Mann dann an Klischees zusammenstöpselte, was er und seine Begleiter spielten, hatte soviel Chancen auf die Endrunde wie ein Wassertropfen darauf, die Wüste Negev zu überleben.
Von ausgesuchter Langeweile war der Matinee-Auftritt des Schweizer Gitarristen Franz Hellmüller, der mit den beiden Italienern Stefano Risso (Bass) und Marco Zanoli (Schlagzeug) nach München gekommen war. Die klammen Hände, die der zuvor im Doppelkegel der BMW Welt ausgefallenen Heizung geschuldet waren, können nicht entschuldigen, dass man mit der Musik nicht warm wurde. Die folgte mit jedem Stück einem ganz ähnlichen Aufbau und zeigte einfach kein Gesicht – und wenn doch, dann eines, das man schnell vergessen hat.
Von den Zuhörern gefeiert (und am Ende mit dem Publikumspreis bedacht) wurde die in New York lebende Chilenin Camila Meza, die mit einer Mörderband im Nacken punkten konnte. Die Frau verströmt einen hinreißenden Charme und zeigt ans Herz gehende Spielfreude in ihren jazzig getönten Singer-Songwriter-Nummern, die auch Ausflüge in den Rock und die Musica Popular Brasileira unternahmen. Allein, als Gitarristin spielt sie dann doch zu schulmäßig, zu grundsolide, um mit der Konkurrenz mithalten zu können.
Der in Kopenhagen lebende Schwede Carl Mörner Ringström versprach im Vorfeld scherzhaft, er würde München bei seinem Auftritt schreddern. Die Stadt hat nicht mal ein paar Kratzer abgekriegt. Das erst kurz zuvor zusammengestellte, etwas zu brave „Majestic Orchestra“ des imposanten Saitenstürmers braucht wohl noch Zeit, bis es einen Sinn für die nötige Dramaturgie entwickelt hat.
Das Finale des BMW Welt Jazz Awards war dann ein fulminantes Rockkonzert mit jazzigem Unterton – und ein erneuter Beleg dafür, wie problematisch Wettbewerbe in der Kunst sein können. Was will man da als Jury bewerten? Warum zieht man bei zwei starken Kombattanten einen vor – wenn der andere den Sieg genauso verdient hätte? Per Auslosung musste FAT, ein Trio mit dem Gitarristen Alex Machacek, dem Bassisten Raphael Preuschl und dem Schlagzeuger Herbert Pirker zuerst auftreten und spielte eine abstrakte aber schlüssige, komplex angelegte und doch sehr elastische, offene Musik von bizarrer Schönheit. Die Drei beherrschen in punkto Dynamik die Wellenbewegung – aus sanftem Treiben wächst sich manche Woge zum Tsunami aus. Und dann beruhigt sich die See auf wundersame Weise.
Das fabulöse Trio FAT musste das Siegertreppchen dann aber doch dem ivorischen Franzosen Manu Codjia überlassen, der musikalisch vom Bassisten Jérôme Regard und vom Schlagzeuger Philippe Garcia unterstützt wurde. Man hatte an diesem Abend den Eindruck, dass Codjia irgendwie um sein Leben spielte – komisch nur, dass er die Nerven behielt, als ihm bei seiner Version von Leonard Cohens „Hallelujah“ die hohe E-Saite riss. Als ob nichts geschehen wäre, brachte er die Nummer mit allen harmonischen und melodischen Finessen über die Runden. Der 39-Jährige bot ein biographisches Programm, Nummern, mit denen er musikalisch sozialisiert wurde, Michael Jacksons „Beat It!“, oder Bob Marleys „Redemption Song“. Er hat diesen Klassikern ihren Charakter gelassen und sie doch mit seinen ganz eigenen Klangvorstellungen ausgestattet, sie so verinnerlicht, als ob es seine Stücke wären. Als Gitarrist hat er ganz schön zugelegt, seit er sich vom Vorbild Bill Frisell löste. Mittlerweile besitzt das, was er spielt, hohen Wiedererkennungswert. Sein Konzept könnte auch leicht als Vorankündigung für den nächsten Jazz-Wettbewerb des Autobauers herhalten: „Inspired By Legends“ wird der BMW Welt Jazz Award 2016 überschrieben sein – ein heikles Thema, führt im sonst so kreativen Jazz die Heldenverehrung doch oft zu unreflektierter Auseinandersetzung mit den Originalen.