Für das Ehepaar Annette und Horst Vladar wurde die Kammeroper ein Lebenswerk – früher neben ihren Bühnenengagements, später im Ruhestand. In den 1970er, 1980, 1990er Jahren und bis in die Gegenwart war die Neuburger Kammeroper international eine der ersten Adressen für unbekannte Opern in Reihe. Am Samstagabend war die letzte Premiere im historischen Stadttheater von Neuburg an der Donau. Zur Aufführung gelangten die Einakter „Le diable au moulin“ (Der Teufel von der Mühle, Paris 1859) und „La Comédie à la Ville“ (So eine Komödie!, Gent 1849) des belgischen Komponisten François Auguste Gevaert. Eine empfindliche Lücke wird da entstehen – nicht nur für Neuburg an der Donau.

Neuburger Kammeroper 2025 – letzter Vorhang. Foto: Neuburger Kammeroper
57 Jahre Musiktheater-Archäologie: Die Neuburger Kammeroper hört auf wegen halbierter Subventionen!
Nach der Pandemie kürzte die Stadt Neuburg an die Donau die Förderung mit der Konsequenz, dass die fünf Vorstellungen nur noch alle zwei Jahre stattfinden hätten können. Also zog man die letzte Serie um ein Jahr vor – Nachfolge nach außen ungeklärt. „Leider hat der Beschluss des Neuburger Stadtrates die Zuschüsse nur noch alle zwei Jahre zu gewähren, dazu geführt, dass wir für den kommenden Sommer unsere letzte Produktion ankündigen müssen.“ Trauer und Enttäuschung verbergen sich hinter diesem lakonischen Satz auf der Website im Mai 2025.
Der letzte Vorhang
Wenn am 3. August 2025 der letzte Vorhang einer originellen wie wertvollen und liebenswerten Institution fällt, endet eine im Jahr 1969 begonnene Erfolgsgeschichte. Zur Eröffnung des renovierten Stadttheaters hatten der Bassist Horst Vladar, sein Bruder Heinrich Wladarsch und der damalige Kulturdezernent Anton Sprenzel die Idee zu Sommeroper mit einem freien Ensemble und Einstudierungen von älteren Werken, die so gut wie nie oder gar nicht gespielt wurden. Die Jahre vergingen, aber das Konzept blieb gleich. Horst Vladar widmete sich neben seiner Bühnenkarriere später auch der Regie. Seine Frau Annette wirkte als Tänzerin, Chefdisponentin und Fachvermittlerin für Tanz bei der Bühnenvermittlung der Arbeitsagentur – leidenschaftliche Theatermenschen sind sie also beide. In den Festengagements hatte sich das Paar immer Freiräume für die Neuburger Arbeitsphasen erbeten. Ein Großteil des Urlaubs und Jahreslaufs der Vladars – wie sie in Kollegen und Fachkreisen respektvoll genannt werden – war dem bis heute einmaligen Ensemble-Konstrukt gewidmet. Sie machten fast alles selbst: Stücksuche, deutsche Übersetzung, Aufführungsmaterial, Disposition, Casting, Spielleitung, Inspizienz und Administration. Ein imponierendes Arbeits- und Leistungspensum!
Der abrupte Entschluss für den drastischen Schnitt zur Beendigung des von Enthusiasmus beflügelten Unternehmens hatte gewichtige Gründe: „Unsere freiwilligen Mitarbeitenden vor allem im Orchester, im Chor und für alle Aufgaben hinter der Bühne könnten wir bei einer zweijährigen statt alljährlichen Aufführungsfolge nicht mehr wie bisher halten. Also haben wir beschlossen, einen letztmaligen Zuschuss für 2025 zu beantragen und damit unseren Beitrag zur Neuburger Kultur zu beenden,“ erläuterte Annette Vladar während der Probenphase. Der Zuschuss für Honorare, Ausstattung, Marketing, Probenzeiten und alle anderen Kosten eines Opernjahrs belief sich zuletzt auf 60.000 Euro. An einem mittelgroßen Subventionstheater sind das die Kosten für eine einzige, nicht besonders aufwändige Produktion – die Gehälter des festen Personalbestandes nicht inbegriffen. Der Erlös aus den Eintrittspreisen ging direkt an die Stadt.
Regisseur Horst Vladar spielt auch dieses Jahr mit in zwei kleinen Dienerrollen. Die beiden Stücke im Grenzgebiet von Oper und Operette stammen von dem belgischen Musiktheoretiker François Auguste Gevaert. Dieser Fund ist sogar hier ungewöhnlich, weil die Neuburger Kammeroper sich zumeist auf zwischen 1750 und 1830 entstandene Werke konzentrierte. „Le diable au moulin“ (Der Teufel von der Mühle, 1859) entstand für Paris, „La Comédie à la Ville“ (So eine Komödie!) zehn Jahre früher für Gent. Die wie immer von Annette und Horst Vladar ins Deutsche übersetzten Textbücher sind Dutzendware, aber wirkungsvoll. Michele Lorenzini versetzte den „Teufel“ in ein Mühlen-Interieur mit realistisch bedruckten Holzwänden, die „Komödie“ in ein Parkparadies mit gedrucktem Panorama, Hecken zum Verstecken und Rasenteppich. Die Kostüme diesmal eher gründerzeitlich und Belle Époque als Biedermeier.
Die Musik wirkt bestechend: „So eine Komödie!“ steht in direkter Verbindung zu Donizettis späten Pariser Komödien wie „Regimentstochter“ und „Rita“, im „Teufel“ rekapituliert Gevaert Feinheiten aus den Frühwerken von Georges Bizet und Charles Gounod. Es gibt mehrere Stücke mit Ohrwurmqualität. Der „Teufel von der Mühle“ ist ein cholerischer Kerl von eleganter Gutsherrenart, den eine Frau trotzdem gern nimmt, während auch Diener und Dienerin zusammenkommen. In „So eine Komödie!“ geben sich zwei Schauspieler als die vom Vater zweier Schwestern ersehnten Freier aus und empfehlen sich mit dieser Maskerade als die bessere Partnerschaftsoption. All das wird in schönen Musiknummern entwickelt.
Für die kommenden Jahre stände ein stabiles und substanzreiches Ensemble bereit. Mit Stephan Hönig hat Horst Vladar einen idealen Nachfolger für das Väter-Fach gefunden. Der Tenor Karol Bettley liefert sich mit dem hohen Bariton Gabriel Goebel ein enges Kopf-an-Kopf-Rennen um die Gunst des Publikums. Die Sopranistinnen Elisabeth Zeiler und Sarah-Léna Winterberg wären bei Besetzungen im – wie man früher sagte – ersten und zweiten Fach bestens austauschbar. Das Quintett klingt in den Ensemblestellen gut zusammen. Alle sind Persönlichkeiten, welche den nostalgischen Schmelz der Inszenierungen so bedienen wie die Erwartung an eine ehrliche wie zeitgemäße Darstellung der vormodernen Konflikte.
Dieses Jahr unter anderer musikalischer Leitung. Wegen Erkrankung konnte Alois Rottenaicher nicht mitwirken. Für ihn trat Georg Hermansdorfer, ein im Raum Rosenheim selbst überaus aktiver Opernarchäologe, ans Pult und führte die Mitglieder des Akademischen Orchesterverbandes München im tief gelegenen Graben durch die nicht einfachen Partituren. An eine historisch informierte Aufführungsform ist bei der nur knappen Probenzeit nicht zu denken. Aber es wird hörbar, warum mehrere Stücke zu ihrer Entstehungszeit so populär waren und zu Gassenhauern wurden.
Was für tolle Musik so einfach vergessen wurde
Ein letztes Mal staunte man bei der Neuburger Kammeroper in der bestehenden Konstellation darüber, was für tolle Musik so einfach vergessen wurde. Doch in einer am Ende eingefügten Strophe zeigt sich auch eine Spur Bitternis und Sarkasmus. Auf dem Stückplakat sieht man vor den Zahlen der Spieljahre bis 2025 ein Messer neben einem aufgeschlitzten Herzen. Hinter dem lächelnden Abschied steht auch latente Wut. Schließlich geht es um ein Lebenswerk, das bei halbierter Subvention und nunmehr zweijähriger statt wie bisher alljährlicher Spielform organisatorisch nicht mehr bewältigt werden kann. An Interessenten für die Nachfolge mit realistischem Konzept fehlt es nicht. Zur letzten Vorstellung erging von der Vereinsspitze eine Einladung an frühere Mitwirkende und nicht zuletzt die große Schar der für das Gelingen unverzichtbaren Ehrenamtlichen.
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