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Camille Schnoor (Mimì), Lucian Krasznec (Rodolfo). Foto: © Marie-Laure Briane
Camille Schnoor (Mimì), Lucian Krasznec (Rodolfo). Foto: © Marie-Laure Briane
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Aktionismus statt Italianità – Misslungene Aktualisierung von Puccinis „La Bohème“ in München

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Ganz richtig: Klassiker werden gern als „unsterblich“ eingestuft, weil sie für fast jede Zeit ihre Gültigkeit beweisen können. Wenn also Münchens Komische Oper, das Gärtnerplatztheater eine neue Interpretation des Musikdramas um junge Künstler und eine kleine tuberkulöse Blumenstickerin ansetzt, dann darf das Publikum eine Sicht von 2019 erwarten.

Zutreffend stellt die Dramaturgie im Programmheft klar, dass die heutige soziale Grundsicherung das Klischee vom hungernden und frierenden Mansarden-Künstler unglaubwürdig gemacht hat. Wohl deshalb griffen Regisseur Bernd Mottl und sein Ausstatter-Duo Friedrich Eggert (Bühne) und Alfred Mayerhofer (Kostüme) in die andere Klischee-Kiste: „Geldige Kunst-Schickeria“. Also: die vier Jungs in trendigen, grell-schrägen Klamotten; die Mehrzimmer-Wohnung zwar kein Loft, aber vom Maler Marcello flächendeckend „informell“ ausgemalt, so dass man an großkotzige „Wohn-Nomaden“ denken darf; dazu noch Rudolfo am Tablet und Schaunards im Original Hunger stillende Einkäufe hier in Galerie-Lafayette-Einkaufstaschen und um irgendwie „anders“ zu wirken, haben die Jungs auch alle Fenster ausgehängt, um die Schnee-Kälte rein zu lassen… dabei bleibt es auch, als Mimi hereinkommt, ohne Kerze, ohne Zugluft, aber eben doch mit „eiskaltem Händchen“.

Von da an häufen sich dann die unlogischen Spielzüge: Marcello kann mit einem Geldbündel die Miete bezahlen; alle gehen in eine hyper-trendige Bar, wo die Kinder um Parpignol, einen Glitzerkostüm-Weihnachtsmann, sinnfrei auf „action“ machen – und der kommt dann zurück und legt einen Strip hin, damit alle seinen bis auf ein grell rotes Satin-Höschen nackten Muskel-Body bewundern können – eine banale Zutat für die Klientel des umgebenden Glockenbachviertels. Auf diesem Niveau läuft über die „Underground-Disco“, wo Marcello malt, und am Ende Collines Mantel-Verkauf nur ein sinnentleerter Fake ist, die weitere Handlung ab. Immerhin hängen die Jungs zu Mimis Sterben dann doch ein paar Fenster wieder ein… insgesamt eine missglückte Aktualisierung.

In diesem Ambiente war es schwer, den doch zeitlosen Gefühlskosmos von Puccinis Musik zum anrührenden Leuchten zu bringen: Freaks glaubt man halt wenig. Hinzu kam aber, dass Anna Russels unsterbliche Wagner-Bosheit „Anything you can sing – kann ich lauter“ alles dominierte.

Als Theaterfreund fragt man sich, was alle musikalischen und dramaturgischen Assistenten während der Proben gehört – oder: nicht gehört haben: dass in drei der vier Bilder aus einem Kubus herausgesungen wird; das könnte „sängerfreundlich“ sein, doch scheint niemand Chefdirigent Anthony Bramall gesagt zu haben: alles zu laut – und dann noch premieren-angespannt „viel zu laut“. So führten Camilla Schnoor (Mimi) und Lucian Krasznec (Rodolfo) vor allem Stimmkraft vor – von der Spannweite Piano bis Fortissimo nur Letzteres und das meist direkt ins Publikum. Prompt fehlte alle Beseelung, lediglich Matija Meićs Marcello gelangen ein paar warmherzige Bariton-Passagen. Obwohl im Premierenpublikum doch die reiferen Jahrgänge dominierten und nicht die jungen Ohrstöpsel-Geschädigten, bekam diese nur laut-schrille Schickeria-Story einhelligen Beifall. Puccini hat Feineres und Tieferes komponiert.

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