Zu Beginn ist die Bühne leer. Nach und nach betreten schwarz gekleidete Personen die Szenerie, dehnen sich und bereiten sich auf den Auftritt vor. Die Kostüme kommen vom Schnürboden, die Scheinwerfer werden durchgecheckt. Am Ende des fantasievollen Abends räumen Bühnenarbeiter bei offenem Vorhang wieder alle Requisiten weg. Auf die Imagination folgt die Desillusion. Und der Haushofmeister knipst das Licht aus. Diese „Ariadne auf Naxos“, mit der der Intendant und Regisseur Andreas Homoki seine letzte Züricher Spielzeit beginnt, erzählt viel von der Faszination des Theaters. Vom Staunen und Verführenlassen, von Emotion und Empathie. Nach seiner verkopften „Carmen“ in der letzten Saison gelingt Homoki mit seiner poetischen, klugen Inszenierung der Strauss-Oper ein echter Wurf.
Andreas Homokis einfühlsamer Wurf: „Ariadne auf Naxos“ in Zürich
Dabei ist das Werk nach einer Idee und einem Libretto von Hugo von Hofmannsthal nicht gerade unkompliziert – ein „Schmerzenskind“ hatte es der Dichter nach der negativ aufgenommenen Uraufführung am 25. Oktober 1912 am Stuttgarter Hoftheater genannt, die mit Molières Komödie „Der Bürger als Edelmann“ kombiniert war. Erst das von Richard Strauss nachkomponierte Vorspiel brachte die Oper auf die Erfolgsspur, auch wenn die spezielle Mischung von Komödie und Tragödie stets eine große Herausforderung für die Regie und die musikalische Leitung bedeuten. Beim Vorspiel hat die Philharmonia Zürich unter Markus Poschner, dem designierten Chefdirigenten des Sinfonieorchesters Basel, noch Mühe, den quirligen Konversationston von Richard Strauss zu treffen. Die Holzbläser sind klanglich eine Spur zu massiv, die Girlanden geraten zu schwer, die Balance ist noch nicht genau austariert (Klarinette zu laut). Das Timing im 37-köpfigen-Orchester aber gelingt von Beginn an ausgezeichnet, so dass die schnellen Stimmungswechsel im Vorspiel gut funktionieren.
Der reichste Mann von Wien habe verfügt, dass neben der extra komponierten Tragödie „Ariadne auf Naxos“ noch ein derbes Lustspiel aufgeführt werden soll, erklärt Kurt Rydl als Haushofmeister, was den Musiklehrer (schön altbacken: Martin Gantner) und den Komponisten (mit tragfähigem, in der Höhe etwas scharfem Sopran: Lauren Fagan) aus der Fassung bringt. Zerbinetta (präsent und quirlig: Ziyi Dai) und ihre Gaukler sind wie auch der Tanzmeister (frech: Nathan Haller) entspannter. Homokis Regie lässt den Witz der Vorlage durch gute Personenführung und spielfreudige Interaktion im Ensemble durchscheinen. Dass Zerbinetta den Komponisten küsst, verleiht seinen Worten „Was wollen Sie in diesem Augenblick damit sagen“ eine besondere Bedeutung, zumal auch Strauss‘ Musik an dieser Stelle verharrt. Die Verwandlung, von der der Komponist erzählt, wird auch szenisch erlebbar.
Die wüste Insel, auf der sich Ariadne befindet, ist in Zürich ein Schlafzimmer (Bühne: Michael Levine). Hier tummeln sich nicht nur die drei Nymphen (klangschön und im Ensemble gut abgestimmt: Siena Licht Miller/Dryade, Rebeca Olvera/Echo, Yewon Han/Najade) im Brautkleid, sondern auch Ariadne selbst hat sich unter der Bettdecke verkrochen (Kostüme: Hannah Clark). Von Theseus verlassen, ersehnt die Braut den Tod – in Zürich hantiert die Unglückliche mit Schlaftabletten. Unheimlich, wie sich dieser schwebende Teppich mit dem zerwühlten Ehebett vor dem schwarzen Bühnenhintergrund plötzlich zu bewegen beginnt. Die Bodenhaftung ist ihr in der Depression abhandengekommen. Die Koordinaten dieser Frau, der Daniela Köhler große Melodiebögen und kräftige Farben schenkt, sind verschoben. Empathie zeigen nicht nur Zerbinetta und ihre spielfreudige Commedia dell‘arte-Truppe, wenn etwa Yannick Debus als Harlekin ganz ungebrochen das tröstende Lied „Lieben, Hassen, Hoffen, Zagen“ singt. Homoki hat auch den Komponisten aus dem Vorspiel als stumme Figur, die einfühlsam das Geschehen verfolgt, in die Oper geholt. Auch die komödiantischen Einsprengsel gelingen mit leichter Hand. Zu Zerbinettas Bravourarie „Großmächtige Prinzessin“ werden die Bühnenarbeiter von der brillanten Ziyi Dai mit weißen Zylindern und Neckereien versorgt. Die Koloraturen der Chinesin sind perfekt modelliert.
Die zunehmende Dramatik ist bei Markus Poschner und der Philharmonia Zürich in guten Händen. Der Streicherklang wird dichter, die Farben beginnen zu leuchten. Zum Auftritt von Bacchus ist das Schlafzimmer eins zu eins nachgebaut und vertikal gespiegelt – ein starkes Bild für die veränderte Gefühlswelt von Adriane. Im großen Crescendo geht John Matthew Myers‘ Tenor leider gegenüber dem Bayreuth-erfahrenen Sopran von Daniela Köhler ein wenig verloren. Dem überraschenden Liebesglück der beiden steht trotzdem nichts mehr im Weg. Und auch Zerbinetta schnappt sich den verdutzten Komponisten.
- Weitere Vorstellungen: 25./28. Sept., 3./6./10./13./18./22. Okt. 2024, www.opernhaus.ch
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