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Junger Wilder: der lettische Dirigent Andris Nelsons. Foto: Marco Borggreve
Junger Wilder: der lettische Dirigent Andris Nelsons. Foto: Marco Borggreve
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Andris Nelsons eröffnet Beethovenfest Bonn

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Wenn in Salzburg der Festspielsommer ausgeklungen ist, Bayreuth seine Pforten wieder für ein Jahr geschlossen hat und das Lucerne Festival sich im Endspurt befindet, dann schlägt die Stunde des Bonner Beethovenfestes. Wer jetzt noch nicht auf einem Festival war, der muss nun Karten reservieren. Der Vergleich mit diesen Festival-Klassikern ist so abwegig nicht, denn auch das Beethovenfest ist ein Klassiker und hat sich nach der Neugründung als jährliches Festival durch Franz Willnauer (1999) und Ilona Schmiel (seit 2004) längst in die obere Liga gespielt.

Das Beethovenfest war stets auch ein Festival mit politischen Implikationen. Als Franz Liszt im Jahr 1845 zur Einweihung des Beethoven-Denkmals anlässlich des 75. Geburtstages Beethovens auf dem Münsterplatz ein dreitägiges Musikfest initiierte, geschah dies auch aus deutschnationalem Impetus heraus. Wie anders 2012, wo das Eröffnungskonzert explizit dem europäisch-völkerverbindenden Gedanken gewidmet war, wie es die Europa-Ministerin des Landes Nordrhein-Westfalen, Angelica Schwall-Düren, in ihrer Ansprache betonte. Soviel zum Hintergrund, vor dem man  Beethovens Neunte, deren Schlusschor mit Schillers Ode „An die Freude“ als instrumentale Fassung schließlich offizielle EU-Hymne ist, zur Eröffnung des Beethovenfests mit  dem City of Birmingham Symphony Orchestra und dessen Orchestra Chorus als Eröffnungsmusik hörte. Kulturpolitisch bewegt das Festival derzeit die Gemüter der Bonner Bürger vor allem durch die Pläne für ein neues repräsentatives Konzerthaus am Rheinufer, das die neue Heimstatt für ein Festival mit internationaler Ausstrahlung werden soll und zwar spätestens zum 250. Geburtstag des Komponisten im Jahr 2020.

Der Festivalstart jedenfalls glückte: Andris Nelsons, langjähriger Gastdirigent des City of Birmingham Symphony Orchestra, zelebrierte Beethovens Neunte Sinfonie  als ein Stück Überwältigungsmusik. Daran hatte neben dem leidenschaftlich aufspielenden City of Birmingham Symphony Orchestra  vor allem der City of Birmingham Symphony Orchestra Chorus Schuld, der den Schlusschor ohne steife Notenblätterei und in perfekter Aussprache quasi als Massenszene inszenierte: Man wurde das Gefühl nicht los, sich mitten in einer Großdemonstration auf dem Bonner Schlossgarten zu befinden. Die Freude über ein vereintes, supranationales Europa, das seine Konflikte derzeit bestenfalls noch auf dem Finanzsektor und nicht mehr direkt auf dem Schlachtfeld austrägt, war authentisch.

Auch die Freude, die Nelsons und sein Orchester am gemeinsamen Tun finden, war offensichtlich: Der lettische Dirigent machte seinem Ruf alle Ehre, ein Dirigent zu sein, der auch einmal einem spontanen Einfall folgt und sein Orchester dabei souverän mitnimmt. Nelsons dirigierte Beethovens Neunte nicht, er modellierte sie – mal hob er da überraschend ein Seitenthema hervor, mal setzte er dort einen ungewohnten Akzent. Subjektive Aussage war Nelsons dabei wichtiger als klassische Ausgewogenheit.
Der Neunten Sinfonie vorangestellt hatte Nelsons Johannes Brahms „Nänie“ für Chor und Orchester, die dem Chor die Gelegenheit bot, zu zeigen, dass er auch in großer Besetzung feinste Nuancen darzustellen vermochte. Für Birmingham-Chorleiter Simon Halsey galt auch in Bonn Simon Rattles Diktum: „Der Chor muss für das Orchester a cappella singen, und wir spielen mit“.
Ein gelungener Kontrast zur „wilden“ Eröffnung des Beethovenfestes war der Folgeabend des London Symphony Orchestra unter Michael Tilson Thomas. Der Mahler-Spezialist gestaltete Mahlers Symphonie Nr. 1 D-Dur kultiviert und raffiniert bis ins Detail, sozusagen als ein Tableaux vivant, ein lebendes Bild, in dem alles bereits ausgestellt war, was Mahlers Musiksprache ausmacht. Raffinesse und Eleganz zeichneten auch das Spiel von Emanuel Ax aus, der in Ludwig van Beethovens Konzert für Klavier und Orchester Nr. 3 mit den Londonern spielte, als wären Klavier und Orchester ein einziger, atmender Klangkörper.

Bespielt wurde an diesem Auftaktwochenende nicht nur die Beethovenhalle, sondern junge Musiker fanden sich am Münsterplatz und anderswo in der Innenstadt Bonns zu Straßenkonzerten ein. Bei allem Anspruch ganz oben mitspielen zu wollen, inszeniert Intendantin Ilona Schmiel ihr Festival auch als ein Fest der Bürger für die Bürger. Dass dabei auch alle Register des Stadt- und Kulturmarketing gezogen werden, werden Beethoven und seine Musik verkraften. In seiner Geburtsstadt Bonn wird seine Stimme in den nächsten vier Wochen unüberhörbar sein. Wenn dann am 7. Oktober 2012, das Festival wieder mit der Neunten ausklingt –  dieses Mal dargeboten von WDR Rundfunkchor Köln, NDR Chor und Philharmonia Orchestra London unter Esa-Pekka Salonen – werden 66 Konzerte an 27 Spielstätten über Bonns Bühnen gegangen sein: Das Spektrum reicht dabei von einer Cage-Nacht, über Uraufführungen, Kammermusik, Sinfonik, Jazz und nicht zuletzt Paul Hindemiths Einakter-Triptychon an der Bonner Oper.

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