Der japanische Komponist Toshio Hosokawa ist im Grunde ein Mann der Stille. Davon war sich unter anderem in groß dimensionierten Werken in Donaueschingen oder bei der Münchener Biennale zu überzeugen, wo seine Oper „Vision of Lear“ Dramatik auf die Ebene der Bewegungslosigkeit, des subtilen musikalischen Eingriffs verbannte. Das Statisch-Zeremonielle japanischer Klosterrituale oder des No-Theaters fließt immer wieder in seine Musik, die sich anschickt, eine genuine zeitgenössische japanische Musiktradition mitzubegründen. Keine Frage: Hosokawa, Jahrgang 1955, ist der derzeit bedeutendste oder zumindest bekannteste Komponist dieses Landes.
Der japanische Komponist Toshio Hosokawa ist im Grunde ein Mann der Stille. Davon war sich unter anderem in groß dimensionierten Werken in Donaueschingen oder bei der Münchener Biennale zu überzeugen, wo seine Oper „Vision of Lear“ Dramatik auf die Ebene der Bewegungslosigkeit, des subtilen musikalischen Eingriffs verbannte. Das Statisch-Zeremonielle japanischer Klosterrituale oder des No-Theaters fließt immer wieder in seine Musik, die sich anschickt, eine genuine zeitgenössische japanische Musiktradition mitzubegründen. Keine Frage: Hosokawa, Jahrgang 1955, ist der derzeit bedeutendste oder zumindest bekannteste Komponist dieses Landes.Er gewann nun einen von BMW gestifteten Kompositionspreis, mit dem es allerdings eine etwas eigenartige Bewandtnis hat. Denn nachdem man bei der ersten Ausschreibung durch die Münchner „musica viva“-Reihe so manche Prob-leme mit der Qualität der eingesandten Arbeiten hatte, entschloss man sich, die Preise ohne Wettbewerb gezielt zu vergeben. Diese gingen neben Hosokawa an Hanspeter Kyburz und an die Engländerin Rebecca Saunders (die für den ursprünglich vorgesehenen Georges Aperghis einsprang). Mit solcherart eingewebtem Gütesiegel sollten und sollen groß dimensionierte Stücke für Chor und Orchester entstehen, um die Gattung Oratorium auf ihre Lebensfähigkeit an der Wende zum dritten Jahrtausend abzuklopfen. Hosokawa wurde als Erster fertig.So stand im 4. Orchesterkonzert der „musica viva“ sein Stück „Voiceless Voice in Hiroshima“ für Chor, Soli, Sprecher und großes Orchester als Uraufführung an. Es war nur teilweise eine, denn Hosokawa griff auf sein 1989 bis 1991 komponiertes Hiroshima-Requiem zurück, das er allerdings maßgeblich erweiterte. Ein Teil, der Hosokawa „vom gegenwärtigen Stand-punkt aus zu optimistisch“ erschien, wurde gestrichen, drei neue Teile traten zur jetzigen Fünfsätzigkeit hinzu.
Radioaktive Zerfallsrhythmen, die Ausbreitung von Detonationswellen, ihr Anwachsen und ihr Verebben, dazu das Geheul von Sirenen bildeten die formale Hüllkurve zu diesem Traueroratorium. Immer wieder schien sich dieses Requiem des unfassbaren Ereignisses zu vergewissern, als könne das Nachstellen der Schreckensgewalt, ihre Vergegenwärtigung die Wucht des Unbegreiflichen mildern. Arnold Schönbergs „Überlebender aus Warschau“, Luigi Nonos „Ricorda cosi ti hanno fatto in Auschwitz“, seine „Canti di vita e d’amore: Sul Ponte di Hiroshima“, Herbert Eimerts elektroakustische Komposition „Epitaph für Aikichi Kuboyama“ versuchten sich schon vor etwa fünf Jahrzehnten dem Unsagbaren ästhetisch zu stellen. Mit dem zu Ende gehenden Jahrhundert, so als müsse man nun endgültige Aufräumarbeit betreiben, stellte sich ein neuer Schub von Werken ein, die die unselige Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs reflektierten.
Öfter schon erwies sich dies als heikel. Denn Betroffenheit, die ohne weiteres auf Einverständnis rechnen kann, ist ein schlechtes Triebmittel für Kunst, wenn diese nicht vom Material her dagegenhalten kann. Drastik droht hohl zu werden, kann ins Plakative des Schilderns abgleiten. Und Hosokawa, 1955 in Hiroshima geboren, ist ein zumindest mittelbar Betroffener. Seine Eltern hatten das atomare Desaster miterlebt, hatten lange versucht, die erlebten Schrecken gegenüber den Kindern zu verschweigen. So bewegte sich das Oratorium auch immer wieder auf dem schmalen Saum zwischen bloßer Abbildung und tief empfundener, künstlerischer Aufarbeitung. In Werken mit geringerem emotionalen Druck wandelte Hosokawa bislang stets in Bereichen subtiler, feinhöriger Klangzeichnung, er brach sensibel die Zeitstrukturen auf, öffnete unbekannte Erlebniswelten. Hier aber war er genötigt, dem Pathos oratorischen Nachdrucks mit konventionelleren Ausdrucksstrukturen immer wieder Tribut zu zollen.
Doch Hosokawa versteht sein Handwerk und er kennt sich aus in solch ästhetisch bedenklichen Zonen. Sie wurden überlagert von letztlich nachhaltigeren strukturellen Ideen. Jeder der fünf Sätze, Nacht, Tod und Auferstehung, Stimme des Winters, Zeichen des Frühlings und Stimme der buddhistischen Tempelglocken, ist von der Wellenbewegung einer imaginären Detonation gezeichnet. Schon der Titel „Voiceless Voice“ benennt das Paradoxon, dem sich der orchest-rale und chorische Klang immer wieder stellt. Stumm werden angesichts klanglicher Massierung, die blinde Gewalt meint, ist für jeden Satz leitendes Prinzip. Das führt dazu, dass die Worte im Chor oder die Textrezitationen zweier Kinder, die kindliche Erinnerungen an den Bombenabwurf vortragen, immer wieder zugeschüttet werden: sei es, dass sie, wie im collagierten zweiten Satz, sich im eigenen Gewirr verhaken und von klanglichen Bruitismen niedergeschlagen werden, sei es, dass sie, wie im dritten Satz, auf ein Gedicht Celans gar nicht zu Klang kommen können, sondern in Zisch- und Explosionsgeräuschen der Konsonanten ersticken.
Und alle fünf Sätze verebben am Schluss in langem Nachzittern. Hosokawa also komponierte fünf Detonationen mit eruptiver Tongewalt und immer wieder das Schweigen danach, die Leere, die Ruhe, in der das Unfassbare mahnend aber auch drohend nachschwingt. Diese Nachhaltigkeit, die in die schroffe und herbe Dunkelheit des ersten Satzes, in die entsetzte Versprengtheit des zweiten, in die eiskalte Landschaft des dritten, in die blütensüchtige des vierten und in die Glockenmahnungen des fünften Satzes eindringt, schmiedet die Komposition zu einem Ganzen, das wie ein Kreis mit unterschiedlichen Facetten das Entsetzen umfängt: bis hin zum Atemstillstand am Schluss der Sätze, zur letzten Stille in gedehnter Zeit im letzten Satz.
Hoffnungslosigkeit und dennoch Hoffnung, vielleicht ist das die Botschaft von „Voiceless Voice in Hiroshima“. Die Hoffnung liegt absurderweise darin, dass auch die atomare Detonation eingebunden ist in den immerwährenden Ablauf der Natur, in Werden und Vergehen. Zur pathetischen Mahnung eines „Nie wieder“ mochte sich Hosokawa, vermutlich zu Recht, nicht aufschwingen. Aber dass die Natur, zumindest so lange wir sie nicht völlig zu Schanden geritten haben, alles einzubinden versucht, solange neue Kräfte, neue Kinder ihre Stimmen erheben, waltet das Prinzip des Lebens. Das ist Hoffnung ohne Illusion, damit wohl eine nachdrücklichere. Vom Nullpunkt Hiroshima aus dachte Hosokawa in diese Richtung und bot dazu ein intensiv durchdachtes musikalisches Pendant.