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Filmforum „Acht Brücken“: Mouse on Mars spielte live zu „Warm-up“ von Josh Evans (USA, 1997). Foto: S. Szary
Filmforum „Acht Brücken“: Mouse on Mars spielte live zu „Warm-up“ von Josh Evans (USA, 1997). Foto: S. Szary
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Auch Vater Rhein darf endlich mitspielen

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Köln glänzt mit dem Neue-Musik-Festival „Acht Brücken“
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Die Neue Musik erobert die Stadt. Wenn die Leute schon nicht in den Elfenbeinturm der ungewohnten Klänge strömen, dann ergießen sich die Klangströme eben von drinnen nach draußen. Wer auf der Straße wandelt, entgeht der Musik nicht. Er muss stehenbleiben, zuhören – oder ganz schnell weitergehen. Und schon trifft er auf die nächste Klangquelle, die, nur als Beispiel, bei den Donaueschinger Musiktagen sogar gleich an der Quelle der Donau tönt.

Aber wir sind in diesem Fall nicht bei den dortigen traditionellen Musiktagen, sondern in Köln mit seinen Brücken über den majestätisch dahinfließenden Rhein: „Acht Brücken. Musik für Köln“ heißt ein seit drei Jahren regelmäßig dort organisiertes Musikfestival, das zwar auch und glücklicherweise in den Konzertsälen stattfindet, aber ebenso oft und gern ins Freie zieht, um neues, junges, neugieriges Publikum zur Neuen Musik zu verführen.

Ein Riesenprogramm für knapp zwei Wochen mit zwei zentralen Themen: elektronische Musik und Iannis Xenakis. Elektronische Musik – das ist ein zutiefst zu Köln gehörendes Thema. Die Elektronik ist aus dem heutigen Musikschaffen kaum noch auszublenden. Kaum ein junger Komponist, der nicht auf die erweiterten Klangmöglichkeiten zugreift. Mit Herbert Eimert, Karlheinz Stockhausen und, in Frankreich, Pierre Henry hat es nach dem Zweiten Weltkrieg angefangen, heute kann man die Nachfolger nur in Dutzenden zählen, die sich dem inzwischen etablierten Medium zuwenden.

Wer sich in Köln einen umfassenden Überblick verschaffen wollte, konnte diesen am ertragreichsten in Björn Gottsteins „Elektroakustischem Salon“ im Filmforum Foyer gewinnen: dreizehnmal jeweils vier Stunden an ebenso vielen Tagen – das sollte genügen. Bekannte Namen wie Stockhausen, Eimert, Henry, Josef Anton Riedl, Pierre Schaeffer, György Ligeti, Edgard Varèse und Xenakis verbanden sich mit drei Dutzend jüngerer Komponisten zu einer Tour de Force durch das weite Feld neuer, manchmal auch nicht mehr so neuer Klänge und Geräusche, das von Gottstein kundig und intelligent in dreizehn thematische Komplexe gegliedert wurde, darunter „Musikalische Maschinen“, „Synthetische Welten“, „Medienarchäologie“, „Musikalische Algorithmen“ (Xenakis) oder „Raumklang – Klangraum“ und sogar „Filmmusik und Musikfilm“. Man sollte bei Gelegenheit eine Kassette von allem erstellen inklusive der informativen Kommentare Gottsteins im Programmbuch – ein wichtiges Dokument.

Während der „Elektronische Salon“ gleichsam als strenge Klausur im geschlossenen Raum stattfand, drängte anderes nach draußen, in die Stadt, zu den titelgebenden Brücken. Höhepunkt „Ein musikalischer Nachtspaziergang“ mit fünf Konzerten im Hafenamt Rheinhafen, im Bootshaus „Alte Liebe“, im „Hochwasserpumpwerk der Stadtentwässerungsbetriebe“ oder in der „Lagerstätte für die mobilen Hochwasserschutzelemente“ an der Rodenkirchener Brücke. Man sieht: Auch der Fluss durfte mitspielen bei der Musik in der Stadt, und der Zuspruch, den der bunte, oft auch kunterbunte Veranstaltungsreigen bei den Kölnern fand, bewies, dass das „Acht Brücken“-Spektakel im dritten Jahrgang bei den Musikinteressierten inzwischen bestens angekommen ist.

Der Neue-Musik-Apologet neigt natürlich dazu, jedwede Popularisierungsbestrebungen für „seine“ Musik-Künste für bedenklich zu halten. Das streng komponierte Werk gehört in den geschlossenen Raum, weil nur dort die gebotene Konzentration auf das Werk garantiert ist. Das wissen auch die Programmgestalter der „Acht Brücken“ unter der Gesamtleitung des Intendanten der Kölner Philharmonie, Louwrens Langevoort. So hörte man die eindrucksvollsten Konzerte denn doch wieder in festen Räumen, in der Philharmonie und im Sendesaal des Westdeutschen Rundfunks vor allem.

Es gab auch mehrere Uraufführungen. Das Klangforum Wien, das Ensemble Modern (Frankfurt) und das Ensemble musikFabrik (Köln) vereinigten sich für die Premiere von Benedict Masons neuem Stück, das sinnigerweise als Titel auch „Ensemble“ heißt: Drei gleichrangige Formationen in identischer Besetzung verschmelzen zu einem einzigen „Klangkörper“, der dann in vielen Ausformungen des Materials, Verschiebungen der Abläufe, rhythmischen Differenzierungen und wechselnder strukturellen Dichte Gestalt gewann, brillant gespielt von den drei Spitzenensembles der Neuen Musik. Nicht weniger überzeugend York Höllers „Crossing“ für Ensemble und Elektronik: ein ständiges „Überkreuzen“ instrumentaler und von einem Keyboard erzeugter elektronischer Klangstrukturen, alles besitzt feste Gestalt, klare Durchsicht, lebendige Gestik – eindrucksvoll. Höller wurde vom Publikum anhaltend und begeistert dafür gefeiert. Auch Enno Poppes neues Werk mit dem Titel „Koffer“ nahm durch instrumentale Phantasie und Virtuosität für sich ein. Fast dreißig weitere Uraufführungen, zwangsläufig mit unterschiedlichen Ergebnissen, dreißig Werke von Xenakis, ein gewichtiger Stockhausen-Komplex, Bernd Alois Zimmermanns „Requiem für einen jungen Dichter“, etliches von Giacinto Scelsi, viele junge Komponisten und eine durchweg hochkarätige Qualität der Interpreten – das alles würde andernorts für drei bis vier Festivals Neuer Musik ausreichen! Die traditionsbewusste Neue-Musik-Stadt Köln hat sich mit ihren „Acht Brücken“ wieder sehr nachdrücklich zu Wort und Ton gemeldet.

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