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Yannick-Muriel Noah als „Salome“ am Theater Bremen. Foto: © Jörg Landsberg

Yannick-Muriel Noah als „Salome“ am Theater Bremen. Foto: © Jörg Landsberg

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Auf der Spur vom Geheimnis der Liebe – Ulrike Schwab inszeniert am Theater Bremen „Salome“ von Richard Strauss

Vorspann / Teaser

Am Theater Bremen stehende Ovationen wie lange nicht mehr. Ein Zuschauer jedoch meinte, die Story sei doch klar, warum der ganze Schnickschnack? Und eine Zuschauerin: Zuviel alles, Salome spricht doch für sich, da muss man nicht so kompliziertes dazu machen. Oh doch, und genau da setzt die Inszenierung der jungen Ulrike Schwab an:

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Salome ist sich selbst ein Rätsel, ein Geheimnis und repräsentiert in der so genannten „Femme Fatal“ der vorletzten Jahrhundertwende ein ebenso zeitgebundenes wie auch zeitloses Frauenbild, das wir alle in unseren Köpfen tragen. In einem fantastischen Bühnenbild von Rebekka Dornhege Reyes aus Baugerüsten, antiken Säulen, immer wieder fragenden Schriftbildern, laufenden leuchtend roten Schriftbändern von Frauennamen der Mythologie und der Antike wie Penthesilea, Medea und modernen Idolen wie Madonna und Marylin handelt die Regisseurin ihre Frage nach Salome ab.

Auf dem Fest des Herodes – in Judäa unmittelbar vor der Geburt Jesu – verlangt die sechzehnjährige Prinzessin Salome den Kopf des Jochanaan, der den Messias ankündigt und der sich der schwärmerischen Liebe des „Kindes mit der Isoldenstimme“ (Strauss) verweigert. Sie ist in korruptem Reichtum aufgewachsen, kennt nur Macht und Gewalt. Aber ihr widerfährt auch das Gefühl der Liebe, deren Geheimnis sie an diesem enthistorisierenden Abend in faszinierender Weise nachgeht. Sie trägt zahllose symbolträchtige Klamotten, eine riesige Rose als Oberteil, schwarze Flügel, glitzernde Röcke, goldene Überwürfe, einen Pulli aus Frauenporträts der Kunstgeschichte, aber immer wieder kommt sie auf ihren schwarzen Body zurück (Kostüme von Lena Schmid und Marina Stefan).

Die auf Madagaskar geborene kanadische Sopranistin Yannick-Muriel Noah als Gast von der Oper Bonn bezieht uns als Salome von Anfang an ein als das Umfeld ihrer Einsamkeit und Verzweiflung. Geradezu sensationell ihre Stimmnuancen zwischen krassem Zorn und unfassbarer Liebe. Sekundenschnell kann sie ihren Ausdrucksumfang wechseln, wenn sie „Liebe“ singt, dann ist der Ton Liebe. Ebenso ihre Körperhaltung, ihre Gegenstände zerstörende Wut und ihre Mimik: da wird mit einer unglaublichen Genauigkeit allen Befindlichkeiten nachgegangen.

Das gilt auch für die anderen Sänger:innen: Christian Andreas Engelhardt als Herodes steigert sich gewaltig in seinen verzweifelten Versuch, Salome seine reichen Alternativen anzubieten, Nadine Lehner als Herodias bietet Herodes erfolglos einen unerhört karikaturalen Tanz, Michal Partyka als weltfremder, aber stimmmächtiger Jochanaan singt seine Visionen erstmal aus dem Publikum und großartig – auch aus dem Publikum – Oliver Sewell als Narraboth.

Durchgehend extrem genau sind die Subtextebenen gezeichnet, so die Gier, mit der Nadine Lehner einen Apfel „frisst“ und während sie Herodes und Salome zuschaut, eine Tüte Chips verschlingt, wenn Christian Engelhard mit jeder Geste zeigen kann, welcher Untergangsgesellschaft er vorsteht und vor allem, wenn durchschimmert, dass Jochanaan durchaus Nähe zu Salome zeigt: als Mahner und Aussteiger aus dieser maroden Gesellschaft ist er der Salome wesenverwandt. Zu seinem „Du bist verflucht“ gibt es eine lange Umarmung. Eine fabelhafte inszenatorische Idee ist es auch, wenn Strauss’ offen antisemitische Darstellung des Judenzankes über den Messias oder eben nicht den Messias mit einer Schweigeminute beantwortet wird – in der es erstaunlicherweise keinen einzigen Zwischenruf gab.

Und unerwartet die „Lösung“ von Salomes berühmtem Tanz: Noah schubst mal so eben den Dirigenten weg, übergibt dem eine Kamera und dirigiert dann das orientalisierende Orchester selbst. Dieses gefilmte Dirigat ist dann links und rechts im Zuschauerraum in Projektionen zu sehen, vor denen sich Herodes windet.

Natürlich gibt es keinen abgeschlagenen Kopf am Ende. Die krimi-ähnliche Lösung sei hier nicht verraten, nur so viel: wir erleben eine glückliche Salome mit Chancen für ein neues Leben: „Das Geheimnis der Liebe ist größer als das des Todes“. 

Das Orchester ist ebenso Bestandteil der Gesellschaft wie die Zuschauer:innen, Stefan Klingele leitet es auf der Bühne und findet perfekt zu den unerhörten Strauss’schen Klangfarben: riesig und gewaltig, aber auch kammermusikalisch klar und transparent. Der Jubel wollte kein Ende nehmen. Noch eine kleine Publikumsergänzung zu den beiden negativen Reaktionen, die ich anfangs zitiert habe: „Bremen hat heute Abend Operngeschichte geschrieben“.

  • Die nächsten Aufführungen: 10. und 14.2., 1., 8. und 17.3., 6. und 27.4. und 2.5. (zum letzten Mal)

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