Dieser Premierentermin am Vormittag war etwas ganz Besonders. Nicht nur, weil Orchester - Chef Josep Caballé-Domenech selbst am Pult seines klein besetzten Orchesters stand, das Haus knacke voll war, mitgesungen werden durfte (und sollte) und alles nach einer halben Stunde schon wieder vorbei war. Es ist auch nur eine kleine Geschichte für die Kleinen im Saal, die da von dem im vorigen Jahr gegründeten Kinder- und Jugendchor gesungen und gespielt wurde.
Sie handelt von zwei armen Halbwaisen Pepíček (Laura Petereit) und Aninka (Maria Gedicke), die das Milchgeld für ihre kranke Mutter erst ersingen müssen und vom Leierkastenmann Brundibár daran gehindert werden. Als sie sich mit Hilfe von Tieren und anderen Kindern doch das Geld verdienen, will Brundibár den Sängerlohn stibitzen und wird durch die Solidarität der Schwachen vertrieben. Was in einem Hohelied auf die Freundschaft endet. Genau dieses „Ihr müsst auf Freundschaft bauen, den Weg gemeinsam gehn …“ wird vor Beginn der Vorstellung vom Chorleiter Peter Schedding mit den Kindern im Saal zum Mitsingen einstudiert und dann am Ende – sozusagen als Rausschmeißer wie beim Musical – auch gesungen.
„geht doch“
Die Musik ist eingängig – Hans Krása, der Prager Jude und hochbegabte Zemlinsky-Schüler, der 1942 von den Nazis in Auschwitz ermordet wurde, verstand sein Handwerk. Den jungen Darstellern machte die ganze Sache offensichtlich Spaß und wenn es denn im Saal mal eine leichte Unruhe gab, dann hatte das mit dem zu tun, was auf der Bühne passierte. Im Ganzen gehört die Vorstellung wohl zu den Beispielen von Nachwuchswerbung für die Oper aus der Rubrik „geht doch“. Wobei man den Effekt dieser Petitesse für sich genommen noch steigern könnte, wenn es nicht gleich im Großen Haus stattfinden würde. Und obwohl man sie fast immer zum Teufel wünscht, wären diesmal Mikroports für die jungen Solisten, die sich durchweg wacker geschlagen haben, kein Schaden gewesen.
Und wenn wir schon mal dabei sind: für die Wohlstandskinder von heute ist es schon nicht so einfach sich vorzustellen, dass man sich simple Milch nicht leisten kann. Da hätte der Bösewicht im Stück, den Olaf Schröder mit roten Haaren an seinem Leierkasten gibt, ruhig etwas böser aussehen dürfen. Abgesehen von seinem Versuch, den beiden Geschwistern ihren ersungenen Sängerlohn zu klauen, leiert der auch nur für seinen Lebensunterhalt so vor sich hin. Aber sei’s drum.
„…kaum zu begreifen, auch wenn man es versteht …“
Bei dieser Produktion ist ohnehin eher der Weg das Ziel. Und da ist das Stück eine Steilvorlage für Pädagogen der Oper und der Schulen (es waren sogar Vorschulkindern mit von der Partie), um etwas über das dunkelste Kapitel der deutschen (Musik-)Geschichte zu lernen. So richtig die kurze Ansprache der VVN Vorsitzenden vor der Vorstellung auch gedacht war – das dürfte über die Köpfe dieses Publikums hinweg gegangen sein. Regisseur Matthias Hüstenbeck versucht dann das Unbegreifliche begreifbar zu machen. Das Stück beginnt mit zwei Jugendlichen, die eine Ausstellung besuchen, in der an die Kinder erinnert wird, die von den Nazis in den Konzentrations- und Vernichtungslagern ermordet wurden. Ein Mann, vielleicht sogar ein Überlebender erzählt ihnen dazu eine Geschichte. Es ist die einer Oper für die sich die Kinder von heute dann mit Kostümen aus den abgestellten Koffern in eine frühere Zeit versetzten. Das bedarf der Vorarbeit, um es zu verstehen. Dabei ist es kaum zu begreifen, auch wenn man es versteht.
Diese so nette Kinder-Oper für die Allerkleinsten, bei deren heimlichen Uraufführung Hans Krása schon im Lager Theresienstadt war, ist von ihm dort über 50 mal mit jüdischen Kindern aufgeführt worden, die immer wieder von da aus in die Gaskammern von Auschwitz deportiert wurden. Wie am Ende auch Krása selbst. Eigentlich verschlägt es einem die Sprache, auf welche Weise hier eine Stückgeschichte mit der Zeitgeschichte kollidiert. Es ist aber auch selten so nötig wie in diesem Falle, darüber zu reden. Den größten Effekt hat das vielleicht bei der kleinen Gruppe Achtklässler, die diesmal schon zum älteren Teil des Publikums gehörten.
Dass die Oper in Halle dafür den Anstoß liefert ist aller Ehren wert. Ideal wäre eine Kombination von Brundibár mit Hans Krásas einziger und „richtiger“ Oper „Verlobung im Traum“, die vor kurzem in Halles Partnerstadt Karlsruhe mit großem Erfolg (und Vergnügen) ausgegraben wurde. Halle hätte damit ein starkes und obendrein generationsübergreifendes Plädoyer für den zu Unrecht nahezu vergessenen Hans Krása gehabt.
Nächste Vorstellungen: 9., 11.,November 2014 und dann am 11. und 14.1. Januar 2014, siehe auch www.buehnen-halle.de