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„Ay, was für ein Leben!“ – Reimann in Berlin

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Reimanns Oper „Bernarda Albas Haus“, eigenwillig realisiert als „Lust auf Neues 5“ in Berlin. Peter P. Pachl hat es sich für nmz-online angesehen.

Schon zum fünften Mal hat das Regie führende Multitalent Maria Husmann mit jungen Gesangsschülerinnen einen eigenwillig innovativen Abend auf der alternativen Bühne Eden in Pankow realisiert. Anstelle einer Collage aus den Opern „Bernarda Albas Haus“, „Medea“ und „Troades“, gab es eine rundweg faszinierende, auf 80 Minuten verkürzte Gesamtaufführung von Aribert Reimanns Lorca-Oper: eine großartige Regie- und Ensemble-Leistung.

Aribert Reimann und Maria Husmann sind seit vierzig Jahren befreundet. Damals kam die junge Sopranistin in dessen Klasse an die Musikhochschule in Hamburg, wo Reimann als seinerzeit noch heftig umstrittene Innovation die zeitgenössische Musik in den Lehrplan integriert hatte. Maria Husmann war eine der ersten für neue Musik prädestinierten Sängerinnen, sie wurde von dem als Pianist gefragten Komponisten häufig bei Liederabenden begleitet und hat als Solistin an den Staatsopern in München und Stuttgart in dessen „Gespenstersonate“ das Fräulein verkörpert.

Aus Anlass des 80. Geburtstages von Aribert Reimann hatte Maria Husmann – als 5. Projekt ihrer Arbeit mit jungen Gesangstalenten, „Lust auf Neues“ – Ausschnitte aus drei Reimann-Opern angekündigt. Die Entscheidung, statt dessen dem Motto Federico García Lorcas, „Ay, was für ein Leben!“ folgend, eine komplette Bühnenaufführung von Reimanns siebter Oper „Bernarda Albas Haus“ zu realisieren, erwies sich als goldrichtig. Und dies, obgleich drei Sängerdarstellerinnen aufgrund der Grippewelle ausfielen und erst innerhalb der letzten Tage umbesetzt werden mussten.

Bernarda hat nach dem Begräbnis ihres zweiten Mannes für ihre fünf Töchter acht Jahre Trauer in Abgeschiedenheit von der Welt angeordnet. Deren Objekt der Begierde ist Nachbar Pepe, der Angustias, Bernardas Tochter aus erster Ehe, heiraten soll und der nachts heimlich am Fenster mit Angustias, aber auch mit Adela, ihrer jüngsten Schwester, kommuniziert. Martirio entwendet Angustias das unter dem Kopfkissen verwahrte Bild ihres Bräutigams. Sie gibt zu, dass auch sie Pepe liebt und verrät ihrer Mutter die Schwester Adela, die sich offen gegen die matriarchalische Herrschaft auflehnt. Bernarda schießt auf Pepe, der im Stall auf Adela wartet; der entkommt zwar, doch Martirio lässt Adela in dem Glauben, Pepe sei erschossen worden. Daraufhin erhängt sich Adela.

Der Raum des Eden wird diesmal längs bespielt. Die Zimmer der in ihren Betten hausenden, mitsamt ihrer Sexualität gefangenen Mädchen sind nur durch bewegliche Metallstäbe angedeutet. Die hermetische Raumanordnung gemahnt an die nur in ihren Grundrissen auf den Boden gezeichnete Stadt in Lars von Triers Film „Dogville“ und hat in Husmanns dezidierter Personenführung auch dessen ausweglose Unerbittlichkeit. Das Bühnenportal ist ein großer Fensterrahmen, der sehnsüchtige Blick der Schwestern in das Dorf erfolgt ins Publikum.

Die Vorhänge vor den Betonwänden und Fensterfronten des Eden sind diesmal entfernt, so dass die Mauer zwischen Frauen und Männern, die Kälte der Umwelt, wie auch ein alternatives Draußen als Utopie „mitspielen“ (mit Video-Projektionen von Susanne Bürner; Licht: Alexander Grau). Folgerichtig erhängt sich Adela am Ende in freier Natur.

Faszinierend in dieser Produktion ist, dass die Altersklassen des ausschließlich für Frauen geschriebenen Stücks von Lorca in dieser Aufführung auch vom jeweiligen Alter des gemischten Schauspieler-Sängerensembles rollendeckend eingelöst werden, von der Großmutter María Josefa (Eva Gilhofer), der alten Haushälterin La Poncia (Friederike Harmsen) und der verhärmten Mutter Bernarda (Liat Himmelheber), über die Töchter Angustias (Clara Kunzke), Magdalena (Iryna Dziashko), Amelia (Julia Schumacher), Martirio (Nele Schulz) bis zur jüngsten, erst zwanzigjährigen Sophia Körber als Adela. Sie leben diese Musik in der Ambivalenz von Sprache und Gesang, von Duett bis Quintett, mit den jähen, chromatisch zerhackten Phrasen und sich aufbäumenden Kanon-Elementen.

Die beim Dichter ausgeschlossene männliche Hemisphäre klingt bei Reimann durch einen Schnitterchor herein, den Dennis Kuhfeld für die Neuproduktion gesampelt eingesungen hat.

Ein durchwegs faszinierender, sehr erotischer, stimmig gefügter Bilderbogen, den der anwesende Komponist in einer sich anschließenden 20 Minuten währenden Eloge als bislang beste Inszenierung seiner Oper würdigte.

Die vielschichtige Partitur des dem Klavier als Instrument vielfältig verbundenen Komponisten ist in dieser Aufführung alleine dem Pianisten Frank Gutschmidt anvertraut. Die Originalpartitur verlangt u. a. vier Konzertflügel als klanglich abgeschlossene Instrumentengruppe, die bisweilen Glockenklänge über dem Grundton b erzeugt, wobei die Hämmer der präparierten Instrumente an die Saiten und diese an Papier oder Gummi schlagen, womit der Komponist anfangs einen schrägen Spanien-Bezug als eine Art von Gitarrengeklimper erzeugt. Der solistische Pianist versteht es, nicht nur die Struktur der Komposition, sondern auch ihre Farbigkeit hervorzukehren, was ihm anschließend höchstes Lob von Reimann eintrug.

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