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Bacchantisches Frühlingsblütenscherzo

Untertitel
„Auf den Marmorklippen“ von Battistelli in Mannheim uraufgeführt
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Unter Adam Fischers energischem Dirigat stärkt das Orchester den Vokalisenchor von den Bassgründen aufwärts zum schimmernden Diskant. In wirbelnder Projektion kreisen Klippen und Inseln um den imaginären Standort des Betrachters; die drehende Bühne hinter dem Schleier gebiert Arme, weiße Zweige, und ein flammender Baum öffnet seinen Mund, formt brockenhaft Worte aus Ernst Jüngers Erzählung „Auf den Marmorklippen“, deren Konflikt zu weiteren, die Spannung haltenden Bildern anstacheln sollte: Zwei Brüder, die das romantische Konzept einer poetischen Wissenschaft verfolgen, spüren den feindlichen Atem des Tyrannen, der aus den Wäldern nach Süden vorrückt und unter der biederen Maske eines Oberförsters das Leben der Küstenbewohner zurückzwingt in ein ahistorisches Vorgestern, einen Zustand vor aller Schrift, allem Recht, aller Zivilisation.

Unter Adam Fischers energischem Dirigat stärkt das Orchester den Vokalisenchor von den Bassgründen aufwärts zum schimmernden Diskant. In wirbelnder Projektion kreisen Klippen und Inseln um den imaginären Standort des Betrachters; die drehende Bühne hinter dem Schleier gebiert Arme, weiße Zweige, und ein flammender Baum öffnet seinen Mund, formt brockenhaft Worte aus Ernst Jüngers Erzählung „Auf den Marmorklippen“, deren Konflikt zu weiteren, die Spannung haltenden Bildern anstacheln sollte: Zwei Brüder, die das romantische Konzept einer poetischen Wissenschaft verfolgen, spüren den feindlichen Atem des Tyrannen, der aus den Wäldern nach Süden vorrückt und unter der biederen Maske eines Oberförsters das Leben der Küstenbewohner zurückzwingt in ein ahistorisches Vorgestern, einen Zustand vor aller Schrift, allem Recht, aller Zivilisation.Die Theatertruppe „La Fura dels Baus“ um Valentina Carrasco und Carlos Padrissa hat revolutionäres, avantgardistisches Blut in den Adern, schien also wie geschaffen, das surreale Wurzelwerk von Jüngers Text, das radikal-kontrapunktische Ineinandergreifen von Mythen verschiedener Kulturen bloßzulegen. Was aber wird aus der „lenguaje furero“ (die im violetten Zucken der Schlangenleiber vor der Denkerhütte noch einmal auflodert), wenn sie Vokabeln des deutschen Feld-, Wald- und Wiesenregietheaters übernimmt? Da müssen die gelehrten Brüder, als gäbe es kein anderes Symbol für geistige Arbeit, Bildschirmhöhlen anstarren, in denen Sandkörner darauf warten, beim Stichwort „Die Wüste wächst“ herausgeschüttelt zu werden.

Dass – nach dem bacchantischen Frühlingsblütenscherzo und Erios herzpochender Schlangenbeschwörung – auch der Strom musikalischer Inspiration sich verdünnt, mag tiefergehende Ursachen haben. Die Frage: Wie hältst du’s mit dem Wort? wäre imstande gewesen, Giorgio Battistelli und seinen Librettisten Giorgio Van Straten in eine ernste produktive Krise zu stürzen – wenn sie sich diese Frage gestellt hätten. Es gibt Komponisten, die Rhythmus, Klang und Sinn eines Textes in- und auswendig beherrschen, ehe sie die erste Note niederschreiben. Dieses Ethos fehlt hier. Battistellis emphatisches Interesse für Jünger bleibt fruchtlos, sooft er beim Zitieren den Wort-Akzent mit Jauchzen verfehlt. Es ist nicht gut, Lieblingssätze aus dem komplexen episch-rhapsodischen Gefüge von Jüngers Buch zu reißen und sie ohne Rücksicht auf Ton, Tempus und Kontext als notdürftig passende Dialogfetzen an den Faden einer krass vereinfachten Handlung zu heften. Was not tut, ist: zwischen den Zeilen lesen, den Stoff durchdringen, in Auseinandersetzung mit ihm eine eigene dramatische Sprache finden.

Battistelli ficht das nicht an, er malt mit grandios grobborstigem Pinsel über das ungelöste Problem hinweg. Charakteristische, im Wortsinne merk-würdige Stellen sind selten, aber es gibt sie – man höre die tastenden Harmoniewechsel in der Szene des Fürsten Sunmyra, dem Yuriy Svatenko filigrane Tenortöne gab, oder den schmerzlichen Blumennamen „Waldvögelein“, eine überraschende Klangfigur in den dornigen Partien der Brüder Minor und Otho. Thomas Beraus metallische Strahlkraft, Thomas Jesatkos dunkle Klarheit könnte man besser erkennen, wenn das dick instrumentierte Orchester nur ein wenig gedämpft würde.

Der beschützende Hirte Belovar ist in der Interpretation von Winfried Sakai die zentrale Gestalt des Abends, mit einer vokalen Aura, die auf der Feindseite ein starkes Pendant bräuchte – aber die avancierte Idee des Komponisten, das vertrackt-ungreifbare Wesen des Oberförsters perspektivisch zu zersplittern, missriet zum hilflosen Rufen vierer Grobiane. Alfred Tewes, Vasile Tartan, Stephan Somburg und Hyun-Seok Kim verwandten redlich ihre Kräfte auf eine kompositorisch besserungswürdige Aufgabe und ertrugen es, dass man sie periodisch als hammerbewehrte Kuckucke aus dem Schnürboden-Uhrwerk herabließ. Die emporknurrenden, an Leinen zerrenden Choristen-Hunde gehörten indes weder zum Oberförster noch zu Belovar – sondern in den Zirkus, ebenso wie die Kampfszene, die dank vorbeifliegender Prospekte und Maschinen vom Publikum in heiterer Stadion-Atmosphäre als spektakuläre Festivität begrüßt wurde. Dumpf-ermüdend beschallte die Musik ein notdürftig von Trockeneis verhülltes Grand Guignol, das zu allem passen mochte, nur nicht zur literarischen Vorlage.

Wie anders wäre es gewesen, die Schlacht indirekt zu erleben, gespiegelt im Entsetzen von Belovars junger Frau oder seiner weissagenden Mutter – beide kommen in der Oper nicht vor. Was für Figuren, was für Charakterstudien hätten das werden können! Freilich: dass sich nun solche Fragen überhaupt stellen, dass ein inkommensurables literarisches Œuvre diskutiert und nicht tabuisiert wird – darin liegt das Verdienst der Mannheimer Uraufführung. In ihren gescheiterten mehr noch als in ihren gelungenen Momenten zeigt sie, dass Jüngers Prosa (aus der die „Marmorklippen“ nur als bekanntester Titel herausragen) ein dramatisches Potenzial enthält, das der Entdeckung wert wäre. Angesichts von Battistellis Partitur muss man aber weiter fragen: Hätte auch ein Komponist, der an seiner Musik ebenso kompromisslos und unbeirrbar feilt wie Jünger es an seiner Sprache tat, eine Chance, aufgeführt zu werden? Wie simpel in der Struktur, wie ungefährlich für den normalen Betrieb muss Neue Musik heute sein, um im Repertoiretheater unterzukommen? Dürften Querdenker wie Schönberg, Bernd Alois Zimmermann, Luigi Nono (dessen Librettist Massimo Cacciari einen blitzgescheiten Essay über Jünger schrieb) – dürften diese Leute, wenn sie heute jung und ihre Werke unbekannt wären, auch nur die leiseste Hoffnung auf einen Partner hegen, der ihre Klangvorstellungen realisiert?

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