Unter dem Motto „Ein schön new Lied – Musik und Reformation“ gab es bei 120 Konzerten und Rahmenveranstaltungen noch genügend Freiräume neben „Luther 2017.“ Mit Spitzenensembles, Jubiläumsveranstaltungen und regionalen Musikeinrichtungen zeigte das Bachfest auch 2017 eine künstlerisch bemerkenswerte Vielfalt und erreichte vom 9. bis 18. Juni eine Platzausnutzung von über 90 Prozent.
Rechtmachen kann man es bekanntermaßen nie Allen. Überdies ist die Wahrnehmung bei einem derart veranstaltungsdichten Festival immer abhängig von der eigenen Auswahl. Und da erwies sich das Aufgebot aus den eigenen Reihen der in ihren Netzwerken überaus starken Musikstadt Leipzig künstlerisch als erfreulich konkurrenzfähig gegenüber den gastierenden Ensembles. Man hört bei Gesprächen immer wieder, dass viele Besucher nicht primär als Musikliebhaber kommen, sondern auch aus religiösen oder historischen Gründen. Es ist also naheliegend, dass die im Vergleich zum Vorjahr um ca. 20% gestiegenen Kartenverkaufszahlen mit dem Reformationsjubiläum zu tun haben. Das Bachfest 2017 hatte mit 74.000 Besuchern einen Ertrag, der dem Kirchentag „Kirche auf dem Weg“ im Mai versagt geblieben war.
Ein Drittel der Besucher kam aus dem Ausland, doch der wahrscheinlich geringfügigere Anteil von Besuchern aus der Region wird vom MDR nicht genannt. Vielen kulturinteressierten Leipzigern sind die Eintrittspreise schlichtweg zu teuer. Das ist sicher plausibel für Ereignisse wie das Abschlusskonzert mit Bachs h-Moll-Messe (Spitzenpreis: 102 €), aber keineswegs für alle Veranstaltungen. Der Eintritt zu Einführungsveranstaltungen und das sehr gut besuchte Symposium zum 400. Geburtstag des vogtländischen Barockkomponisten Johann Rosenmüller waren frei. Von den Bemühungen des geschäftsführenden Intendanten Alexander Steinhilber um eine Öffnung zur Stadtgesellschaft zeugten zum Beispiel das Open-Air-Festival „Bach on Stage“ und Crossovers wie „BaRock the House!“ im Bachmuseum.
Für die künstlerische Planung des Bachfestes war es dieses Jahr eine besondere Herausforderung, unter der Fülle von Themen- und Jubiläen nicht beliebig zu werden. Reformation und deren richtungsweisender Einfluss auf die mitteldeutsche Sakralmusik wurden ebenso gewürdigt wie Claudio Monteverdis 450. Geburtstag mit „L’Orfeo“ als Gastspiel von La Capella Reial de Catalunya und Le Concert des Nations unter Leitung von Jordi Savall und der „Marienvesper“ mit dem Ensemble Pygmalion und Raphaël Pichon.
Es scheint so, als seien die Kernaufgaben einheimischer Musiktraditionen bereits so umfangreich, dass es aufgrund der Fülle zu Staus der Aufnahmefähigkeit kommt (Bach, Mendelssohn, Wagner, Reger u.v.a.). Aufgaben und Ansprüche steigern sich auch dadurch, dass das Bachfest an einem eigenen Mendelssohn-Schwerpunkt operiert, dieses Jahr mit einer Aufführung des „Paulus“. Es bleibt dabei leider nicht aus, dass zum Beispiel ein Spitzenkonzert wie jenes von Gregor Meyer mit Werken von Johann Rosenmüller trotz lautstarker Publikumsakklamationen in der Wahrnehmung schnell absinkt. Ungerechtfertigt am Rand standen ebenso ein hochklassiges Orgelkonzert in der Thomaskirche mit dem Leipziger Vokalquartett Thios Olimos und dem Organisten Daniel Beilschmidt. Das Konzert mit der Wiederaufführung von sechs Quartetten mit Gambe und Oboe von Johann Christian Bach fand trotz CD-Präsentation nicht ganz den zu erwartenden Widerhall (Quartette op.8 Nr.1-6, Coviello).
Unter mangelnder Aufmerksamkeit litten auch Herzensangelegenheiten aus den eigenen Reihen. Bacharchiv-Dramaturg Michael Maul entdeckte vor Jahren in Vilnius das Notenmaterial eines der ältesten deutschen musikalischen Bühnenwerke, „Pastorello musicale“ von Johann Sebastiani (Wallenrodt/Königsberg 1663). Die Erstaufführung dieser musikhistorisch Entdeckung hätte eine auch dramaturgisch sorgfältigere Einstudierung verdient als durch den Studiengang Alte Musik der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“.
Eine reizvolle Besonderheit und zu Unrecht etwas am Rande des Festivals stehen die Ausflüge „Bach unterwegs“. Mir Bussen kann man Ziele ansteuern, etwa die Lutherstadt Eisleben oder Burg Mildenstein und die Jugendstil-Dorfkirche Collmen. Dort gibt es Begrüßungen durch regionale Repräsentanten und ein etwa einstündiges Konzert. Diese Reihe erfreut sich großer Beliebtheit, allerdings wird auch hier nicht die Schwelle zwischen Kulturtouristen und Einheimischen gebrochen. Auf der Fahrt erfahren die Teilnehmer durch Studierende der Musikwissenschaft und die Reiseleitung zwar viel über Werkhintergründe, aber so gut wie nichts über die soziale und geographische Topographie des Luther- und Bachlandes.
Klar, für Leipzig sind kulturelle Glanzpunkte wie das Bachfest 2017 mit dem Schwerpunkt „Kantaten-Jahrgang 1724/25“ und das parallel vom 16. bis 18. Juni stattgefundene Richard-Strauss-Wochenende der Oper Leipzig von herausragender Bedeutung. Diskurse stören da möglicherweise das glanzvolle Image. Das zeigt zum Beispiel ein in den sozialen Netzwerken verbreiteter offener Brief von Christian Wolff an Bacharchiv-Präsident John Eliot Gardiner, in dem der Schreiber dessen angeblich mangelnde Wertschätzung für die regionale Musikpflege und des Festival-Angebots kritisiert. Gardiner bereicherte das Angebot mit zwei hochkarätigen Konzerten. Inoffiziell endete das Bachfest erst nach der von Herbert Blomstedt dirigierten h-Moll-Messe im Kulturzentrum Moritzbastei. In der Reihe „Klassik Underground“ sang Christina Landsamer begleitet von jungen Musikern des Gewandhausorchesters Bachs Kantate „Mein Herze schwimmt im Blut“ BWV 199, das der Künstler Tilo Baumgärtel mit einem Visual-Gig illustrierte. Hier mischten sich die letzten Gäste des Bachfestes mit der jüngeren Leipziger Szene bei einem Event, das selbst die härtesten Kritiker von Performance und Crossover überzeugt hätte.
Das Bachfest 2018 findet statt vom 8. bis zum 17. Juni 2018.