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 GOLD! Andrey Doynikov. Foto: © Marie Liebig
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Beglückend normal: Start bei Staatstheater und Hofkapelle Meiningen

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Ein Besuch in der Theaterstadt Meiningen: Keine Spur von Corona-Larmoyanz. Stille Winkel atmen Geist und Kultur, sogar das empfehlenswert gut sortierte Antiquariat hat eingeschränkt wieder geöffnet. Man kann sich vom Ort verzaubern lassen und von der Meininger Hofkapelle bemerkenswert gut Beethoven hören. Hier sind die musikalischen Leistungen noch immer aristokratisch.

In manchen Kulturbetrieben verursachen die Pandemie-Auswirkungen neben organisatorischen und ökonomischen Katastrophen sogar persönliche Schmerzen. So für Meiningens Intendant Ansgar Haag, dem der Corona-Sturm das Crescendo zum strahlenden Sonnenuntergang und Ende einer 16-jährigen Direktionsblütezeit fast verhagelt hätte. Mit der Produktion von Thomas Adès‘ „The Tempest“ bzw. mit der Uraufführung von Torstein Aarstein-Nilsens Ibsen-Oper „Gespenster“ und Luke Bedfords „Through His Teeth“ (die Premiere am 25. September findet statt) bringt er es trotzdem auf zwei zeitgenössische Opern in einer Spielzeit. Über 750 Plätze, die im Normalfall trotz hoher Bürger-Identifikation zu einem beträchtlichen Anteil von Kulturreisenden, Bussen und Schulen aus Thüringen, Nordbayern und Hessen gefüllt werden, stehen dem gründerzeitlichen Tempel in der mit Eingemeindungen knapp 28.000 zählenden Stadt im Angebot. Jene kulturadelige Gesinnung, die Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen bei der Erfindung des (Schauspiel-)Regietheaters und der Förderung seiner Hofkapelle durchpulste, steckt noch immer in vielen Meiningern. Aber kommen Auswärtige weiterhin zum derzeit kurzfristig angekündigten Spielplan-Patchwork mit halbierten Spieldauern wie zu Sensationen wie Schoecks revidierte Oper „Das Schloss Dürande“? Nimmt man für 60-Minuten-Programme Wegstrecken von 80 Kilometern und mehr auf sich? Das sind neue Herausforderungen für den kulturellen Großbetrieb und drittgrößten Arbeitgeber vor Ort. Nirgends in der Stadt mit ihren ausgedehnten Parks und Wäldern wäre es unter regulären Bedingungen so voll und dicht gedrängt wie bei Vorstellungen im Theater-Portikus, dem Foyer und der vom Publikum gern frequentierten Galerie Ada. Immerhin kommen Privatreisende jetzt von selbst auf die Idee zu zwei Veranstaltungen auf einen Streich, etwa am letzten sommerlichen September-Sonntag.

Auffallend ruhig, aber nicht unaufmerksam ist am Nachmittag die Hauptzielgruppe im Grundschulalter bei Leonard Evers‘ Kinderoper-Dauerbrenner „Gold!“ nach dem Grimmschen Märchen „Vom Fischer und seiner Frau“. Die halbe Füllung der Zuschauerreihen zu beiden Seiten des Laufstegs, auf dem sich der Junge Jacob (Marianne Schechtel) von den ausufernden Wünschen seiner Eltern kirre machen lässt verstärkt sogar das theatrale Wohlgefühl. Andrey Doynikov erniedrigt das von Helge Ullmann auch als Deko-Element genutzte Schlagwerk nicht zum Pädagogik-Requisit. Wolfgang Nägeles Inszenierung bleibt bis zum Schluss genau, konzentriert und im ruhigen Puls. Dieses Theater besticht durch unaufgeregte Energie.

Freude an der großen Aura dieses Baus dann am frühen Abend: Die Gesichtsverhüllungen trägt man hier so nonchalant, dass sie nicht weiter stören. Die Gastronomie hat geöffnet, nur die reduzierte personelle Füllmenge wirkt im Ambiente von Gold, Cognac und türkisfarbenen Polstern etwas ungewohnt. Jenseits der Betriebsamkeit bei Meininger Premieren zeichnet sich die Atmosphäre noch mehr durch jene heitere Aufmerksamkeit aus, die sich mit den vom Theaterherzog Georg II. knapp unter liebhaberischer Protzerei gehaltenen Interieurs zum einnehmenden Stimmungsbild steigert.

Neben den Pilgerfahrten zum 250-Jahre-Jubilar im Konvoi auffrisierter Motoren wirkt der Meininger Beethoven-Tribut in sich ruhend und gesättigt. Den Ruhm, Beethoven auf einer Tournee unter ihrem Gründer Hans von Bülow dem halben Vergessen entrissen zu haben, proklamiert die Meininger Hofkapelle für sich. Die komplette Schauspielmusik zu Goethes „Egmont“ liefert unter dem langjährigen GMD Philippe Bach demzufolge keine drängende Befeuerung mit Ekstase-Kuppel, sondern Smaragde unter weichem Gaslicht. Die Musiker wissen alle genau, was sie tun – die Violinen zwischen Samt und zarter Rauheit, die Hölzer mit beglückenden Valeurs und das Blech mit noblem, weil nicht zu hellem Glanz. Die Detailfreuden der ertönenden Augenblicke verhindern zur finalen Siegessymphonie den übergroßen Schwall. Viel mehr als Dirigierpult-Choreographie zählt das gemeinsame Denken in Musik. Diese Fähigkeit der Meininger Hofkapelle macht es der glockig leichten Sopranistin Monika Reinhard leicht, über den personell leicht ausgedünnten Massen zu leuchten. Glanz ohne Lärm-Zugabe. Der Schweizer Giuliano Musio bleibt in seinem neuen Begleittext, entstanden für das Berner Kammerorchester 2019, innerhalb dieser überlegten orchestralen Balancierung eine Spur zu nüchtern, wenn er Goethe zu den historischen Fakten um den schließlich hingerichteten niederländischen Freiheitshelden addiert. Michael Jeske wirkte beim Vortrag leicht unkonzentriert, möglicherweise war das Teil einer in diesem Fall völlig unnötigen Neutralisierungsstrategie.

„Alle Spielplanänderungen finden Sie auf unserer Homepage,“ steht groß auf dem güldenen Saisonbuch des Meininger Staatstheaters. Von Gold sind auch die unkomplizierten Buchungs- und Anrechtsstrukturen, mit denen das Haus für sein regional weit verstreutes Publikum ein großes Herz zeigt, in dessen Kammern kein Platz für Corona-Larmoyanz ist. Erlebenswert.

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