Hauptbild
Foto: Stan Meus, Christiane Schröter, Matthias Vieweg und Anne Ellersiek. © foto-ed .de
Foto: Stan Meus, Christiane Schröter, Matthias Vieweg und Anne Ellersiek. © foto-ed .de
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Biedermeierlicher Sonntagsspaziergang in Schwarz Rot Gold

Publikationsdatum
Body

Das Südthüringische Staatstheater Meiningen ruft mit seiner Neuinszenierung von Albert Lortzings „Regina“ eine weithin unbekannte Seite des populären Spielopern-Komponisten in Erinnerung.

Albert Lortzings „Regina“ ist schon ein besonderes Stück deutscher Operngeschichte. Mit Betonung auf deutsch und auf Oper. Da hat einer, der fürs Gemüt und die Behaglichkeit zuständig schien, 1848 eine Oper geschrieben, die überraschend national und revolutionär daherkommt. Obwohl es weder die dazugehörige Nation noch eine „richtige“ Revolution gab. Aber mit Robert Blum einen am 9. November(!) 1848 erschossenen revolutionär demokratischen Helden. Dessen Freund Lortzing (1801–1851) lässt mit seinen (sozusagen beim Zimmern und Jagen) bewährten musikalischen Mitteln Arbeiter streiken, den Bourgeois mit Bürgersinn die Oberhand behalten, revolutionswütige Haudraufs unter Führung eines vom System Enttäuschten (mit hinreichend problematischer Jugend für mildernde Umstände) die Tochter des Chefs kidnappen und damit seinem Rivalen die Braut vor der Nase wegschnappen. Und er lässt das alles – ganz spielopernunüblich – eskalieren. Bis kurz vor den großen Knall, bei dem der aufständische Entführer sich selbst und die Begehrte in die Luft sprengen will. Dass Regina ihren Entführer am Ende erschießt, und damit den einzigen Toten in einer Lorzting-Oper verantwortet, sich alle immerfort auf die Unterstützung ihres Herrgotts berufen und in einem donnernden Finale das Vaterland bis an die Schmerzgrenze („Ein Volk, ein Herr, ein Wetterschlag“ oder „Ein Volk, ein Heer, ein Herzensschlag“ und so ähnlich…) hochleben lassen, gehört zu den Besonderheiten dieses Werkes.

Zu Lebzeiten Lortzings hatte das keine Chance. Die Version, die dann 1899 auf Wunsch des Kaisers in Berlin herauskam, war (so ähnlich wie bei Verdis Maskenball) kaum wiederzuerkennen. Lag diese wilhelminische Version deutlich rechts neben der Vorlage, platzierte man in der frühen DDR (in Rostock 1953) eine andere links daneben. Das Original kam tatsächlich erst mit 150 Jahren Verspätung in der Inszenierung von Peter Konwitschny 1998 in Gelsenkirchen auf die Bühne. Hierzulande glaubt man sich halt in Sachen Nationaloper mit dem „Freischütz“ und den „Meistersingern“ ausreichend versorgt. Dabei sind Lortzings Text und Musik mit ihrem revolutionären Biedermeier erstaunlich dicht am holprigen Stolperpfad unserer Geschichte.

Die noch täuschend spielerische Gemütlichkeit der Ouvertüre wird jetzt in Meiningen mit einer nachgestellten Exekution von Robert Blum im kleinen Kreis gebrochen. Von da an entscheiden sich Regisseur Lars Wernecke und sein Ausstatter Dirk Immich für eine historisch illustrierende Ästhetik, mit der man auch vor 50 Jahren jeden Zaren hätte zimmern lassen können.

Lortzing am Puls der Zeit

Die Fabrik, in der am Anfang losungsstark der Streik geprobt wird, ist durch ein paar metaphorische Zahnräder im freischwebenden Glasdach angedeutet. Der Fabrikbesitzer Simon hat den Habitus eines hanseatischen Senators. Richard hat die Aufmüpfigen im Griff, sieht aus wie der Geschäftsführer und geborene Schwiegersohn und Erbe und wird es auch prompt. Doch aus dem Happyend wird nichts, weil die Freischärler es nicht wollen. Wie es im Opernleben so geht, schließt sich der gerade als Schwiegersohn abgewiesene (die Stelle ist ja besetzt) Stephan an und macht seinen privaten Frust zum Treibstoff für seine Revolte. Karl Moor lässt grüßen. Und „Fidelio“ und „Freischütz“ auch. Aber ob nun wirklich Revolutions- oder vielleicht doch eher Konterrevolutionsoper – am Puls der Zeit war Lortzing damit.

Wie so oft hat der negative Held des Stückes, Stephan, die ergiebigere Musik – in Meiningen mit Matthias Vieweg auch den deutlich besseren Sänger, denn Daniel Szeili (Richard) gewinnt seinen Kampf um einen überzeugenden Strahlemann nur gelegentlich. Ansgar Haag hatte die Sängerin der Titelpartie Anne Ellersiek zwar angesagt, dennoch konnte sie mit Eloquenz und Leichtigkeit überzeugen. Christoph Stegemann steuert souverän die etwas steife Fabrikbesitzerswürde bei. Stan Meus ist als diensteifriger Arbeiter Kilian ebenso in seinem Element wie Christiane Schröter als dessen Mutter und Carolina Krogius als Dienstmädchen. Mikko Järviluoto komplettiert als finsterer Freischärler Wolfgang das Protagonisten Ensemble. Höchst geschlossen und präzise spielte der Meininger Chor (Einstudierung Matthias Köhler) seine Rollen als streiklustige Arbeiterschaft und als patriotisch entflammtes Volk.

Zwar gibt es im dritten Akt mit einer stilisierten XXL Adaption von Carl Spitzwegs berühmtem „Sonntagsspaziergang“ den Versuch, Lortzings Melange aus privatem Clinch und revolutionärem Impetus auf den deutschen Biedermeier-Punkt zu bringen. Doch zusammen mit dem getanzten schwarz-rot-goldenen Bänderflechten auf der Festwiese, bleiben das die seltenen Versuche, vom brav beschrittenen Erzählpfad auch mal in die ironisch komödiantischen Vorlagen abzuweichen, die Lortzing durchaus anbietet. Was im Meininger Graben bei der Hofkapelle unter Lancelot Fuhry durchaus nach Aufbruch klingt, bleibt auf der Bühne im allzu Biedermeierlichen stecken. Und doch: „Regina“ ist ein Teil von Lortzing. Und der gereicht ihm zur Ehre! 

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!