Bei vierfachem Forte verlangt dieses Stück ein „drastisches liniengebrüll“ und „jaul-heul-kreischendes inferno“, schließlich „ekstatische zerrgesten turnend, blödwurmiges bodenwälzen, aufbäumendes versticken; alles von platzendem wahnwitz, stets unterschiedlich und heftig gedehnt“. Jenseits von angestammtem Instrumentarium, Aufbau und Ablauf eines Konzerts mit Ensemble und Dirigent verlangt Hans-Joachim Hespos in „seiltanz. szenisches abenteuer“ (1982) von den Mitwirkenden, dass sie einen großen Öltank bespielen, behämmern, zerlegen, schneidbrennen, schweißen. Die Aufführung soll für Akteure wie Publikum zum Risiko, Wagnis, Ritual und Exerzitium werden, nicht zuletzt weil keine althergebrachten philharmonischen Instrumente genutzt werden, die während Jahrhunderten zum Zweck der Hervorbringung von Musik entwickelt und optimiert wurden, um nach jahrelanger Übung meisterhaft beherrscht zu werden.
Musikferne Gegenstände und Materialien traktiert nun auch das Projekt „News from inside“ ab dem 23. Juni drei Abende lang im Rahmen der das gesamte Ruhrgebiet umfassenden Nacht der Industriekultur „Extraschicht“. Bespielt werden auf dem Gelände der Kokerei der Zeche Zollverein in Essen mehrere Stahltanks, jeder so groß wie ein Omnibus oder Pottwal. Die zirka zehn Meter langen Hohlkörper werden innen und außen durch Trasducer mit elektronischen Klängen in Schwingung versetzt, die das Metall verstärkt ins Freie abstrahlt. Zu Schwebungen, Interferenzen und Hallsituationen der Komposition und Live-Elektronik von Konstantin Heuer mit der Soundtechnik von Sebastian Schottke gibt es Performances des Ensembles MOMENT, namentlich von Kontrabassistin Daniela Petry, die auch die Idee zum Projekt hatte, sowie von Sängerin, Bratschistin, Klarinettist und Tänzer mit Regie und Lichttechnik. Wie einst Hespos’ „seiltanz“ tendiert dieses Projekt zum „szenischen abenteuer“. Und mit der bipolaren Themensetzung Innen–Außen, Rund–Eckig, Fest–Bewegung will das Team ebenfalls raus aus dem gewohnten Konzertbetrieb mit all seinen Attitüden und Erwartungshaltungen, um gezielt andere Publikumskreise auf eine Entdeckungsreise mitzunehmen.
Doch selbstverständlich lassen sich auch angestammte Konzertorte mit ungewohnter neuer Musik bespielen. So bringt das Ensemble Musikfabrik am 3. Juni im Rahmen seines Reihenkonzerts im Großen Sendesaal des WDR Köln zusammen mit Schola Heidelberg und Sopranistin Sarah Maria Sun unter Leitung von Bas Wiegers das Musiktheater „Medea“ von Michael Hirsch auf ein Libretto von Stephanie Fleischmann zur halbszenischen Uraufführung. Und in der Berliner Philharmonie erklingt am 11. Juni erstmalig Peter Michael Hamels sechste Symphonie mit Baritonsolo unter Verwendung der mittelalterlichen Sequenz „in media vita“ sowie von Goethe-Versen und des von Reinhold Niebuhr stammenden „Gelassenheitsgebets“, das sich Gruppen der Anonymen Alkoholiker zu eigen machen.
Weitere Uraufführungen:
- 11.06.: Karl Jenkins, Stravaganza für Saxophon und Deutsches Sinfonieorchester Berlin
- 11.–16.06: gamut inc, Elena Rykova, Harald Banter, neue Werke, Romanischer Sommer Köln
- 14.06.: Manfred Trojahn, En plein jour – Minotauromachie für Schlagzeug und Münchner Philharmoniker
- 18.06.: Zehn neue Stücke von Musikschaffenden aus der Ukraine für Vokalensemble Alter Ratio aus Kiew und Mitglieder des Bonner Kammerchors, Dialograum Sankt Helena Bonn
- 23.06.: Dieter Mack, Joey Tan, neue Werke für ensemble aventure, Elisabeth Schneider Stiftung Freiburg; Helmut Lachenmann, Neufassung von My Melodies für acht Hörner und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, musica viva München
- 24.06.: Jieun Jun, Deok-Vin Lee, Duoni Liu, neue Stücke für ensemble morph, Rufffactory Köln