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„Die Frau ohne Schatten“ an der Staatsoper Stuttgart im Oktober 2023. Foto: Matthias Baus

„Die Frau ohne Schatten“ an der Staatsoper Stuttgart im Oktober 2023. Foto: Matthias Baus

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Bruchlandung in der Postapokalypse – „Die Frau ohne Schatten“ an der Staatsoper Stuttgart

Vorspann / Teaser

Cornelius Meister und seine Protagonisten sichern zumindest musikalische die Landung der Exkursion von David Hermann in die Postapokalypse.

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Die jüngste Serie „Die Frau ohne Schatten“-Inszenierungen ist nach Baden-Baden, Köln und Lyon, jetzt in Stuttgart bei der laufenden Nummer vier angekommen. Dresden folgt im März. Da bleibt vor allem die begründete Hoffnung, dass die Sächsische Staatskapelle und der mutmaßlich kundigste Richard-Strauss-Statthalter auf Erden, Christian Thielemann, den Ruf der Semperoper als Strauss-Opernhaus par excellence bestätigen. Was dem Regisseur David Bösch dazu einfallen wird, ist da fast zweitrangig. Ansonsten verführt diese kleine Serie mit kühnen Versuchen am selbst für Strauss und Hofmannsthal außergewöhnlich rätselhaft, großformatigen Opern-Blockbuster dazu, sich eine ideale Aufführung und Besetzung dieses Monstrums aus den verschiedenen Inszenierungen selbst zusammenzufantasieren. 

Der Stuttgarter Kaiser hätte dabei spielend den Spitzenplatz für diese kleine unter den Hauptrollen verdient. Wie Benjamin Bruns hier mit seinem Rollendebüt die imperialen Kollegen andernorts mit seinem mühelos kraftvoll aufstrahlenden Tenor auf die Plätze verwies, das war der atemberaubende vokale Lichtblick in einer angemessen ausgestatteten Besetzung. Evelyn Herlitzius verfügt über so viel Strauss-Erfahrung (u.a. als überragende Wiener Färberin), dass sie jetzt als Amme spielend gelegentliche Brüchigkeiten in den Parlando-Passagen mit ihrer überragenden darstellerischen Präsenz überspielt. Mehr als sie profitiert Iréne Theorin als Färberin von den Übertiteln. Ihr mit durchdringenden Spitzentönen garniertes „Theroinisch“ bleibt Geschmacksache, ist aber bei weitem nicht so textfern wie ihre Bayreuther Brünnhilde unseligen Angedenkens. Simone Schneiders Kaiserin dagegen schlägt auf der Habenseite des Abends ebenso zu Buche wie der in seiner notorischen Gutmütigkeit durchaus etwas grantige Barak von Martin Gantner. Die immer etwas schwierige Aufgabe, den Barakbrüdern Aufmerksamkeit zu verschaffen, nehmen sich Pawel Konik (Der Einäugige), Andrew Bogard (Der Einarmige) und Torsten Hofmann (Der Bucklige) geradezu liebevoll an. Als Geisterbote bewältigt Michael Nagl seine vokalen Ansagen an die Amme genauso souverän wie seinen darstellerischen Nebenjob als Gesandter der Außerirdischen vom Planten Kaikobad, der wie ein ferngesteuerter Android zuckt, sieht und staunt. 

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„Die Frau ohne Schatten“ an der Staatsoper Stuttgart im Oktober 2023. Foto: Matthias Baus

„Die Frau ohne Schatten“ an der Staatsoper Stuttgart im Oktober 2023. Foto: Matthias Baus

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Cornelius Meister und das Staatsorchester Stuttgart setzten zugreifend beherzt auf das geheimnisvoll Dräuende dieser im Ganzen doch ziemlich verführerischen Überwältigungs-Musik. Sie halten tapfer auch da den Strauss-Kurs, wo sich das szenische Opernraumschiff längst in einen ziemlich abwegigen Quadranten des Deutungsuniversums verflogen hat.

Selbst hinter all dem märchenhaft symbolischen Hokuspokus, den sich Hofmannsthal und Strauss hier ausgedacht und ein Jahr nach dem Ende des ersten Weltkriegs der erwartungsfrohen Gemeinde der Rosenkavalier-Fans vorgesetzt haben, geht es um Beziehungsprobleme. Zu denen der ersehnte oder ausbleibende Nachwuchs in Zweierbeziehungen nun mal auch gehört. Dass ein bislang kinderloses Paar in märchenhaft privilegierten und das andere in mehr als prekären Verhältnisse lebt, und, dass Übermächte im Spiel sind, die man als rumorende Obsessionen unter der dünnen Decke zivilisatorischer Sublimierungen betrachten, erhoffen oder verleugnen kann, das macht nicht zuletzt die Relevanz dieses übermächtigen Dreiakters aus. 

… unendlichen Weiten der Postapokalypse …

David Hermann (Regie), Jo Schramm (Bühne, Licht, Video) sowie Claudia Irro und Bettina Werner (Kostüme) interessiert diese Rückkopplung des Opernmärchens ins Allzumenschliche nicht wirklich. Sie starten zu einer Expedition in die bei Opernregisseuren so beliebten unendlichen Weiten der Postapokalypse. Dabei legen sie eine veritable Bruchlandung hin, die für zarte Gemüter sogar eine der modischen Trigger Warnungen gerechtfertigt hätte. Dass am Ende nicht nur die Färberin, sondern auch ihr Mann und der Kaiser plötzlich hochschwanger sind und der Geisterbote Barak einen Alienwurm aus dem gewölbten Leib schneidet, ist (zumindest ästhetisch) genauso irritierend, wie es schon das Herausziehen der glitschigen, essbaren Mitbringsel des Färbers aus dem Riesenwurm war, der die ganze Zeit vor sich hin rotierte. Unter dieser imposant wuchtigen Kuppel könnten man ohne weiteres Robert Harris’ „Vaterland“ spielen – als Färber-Behausung ist sie nicht plausibel. Genauso wenig wie die Bungalow-niedrige Kaiserwelt als denkbar größter (aber dem Sinne nach reziproker) Gegensatz. 

 

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„Die Frau ohne Schatten“ an der Staatsoper Stuttgart im Oktober 2023. Foto: Matthias Baus

„Die Frau ohne Schatten“ an der Staatsoper Stuttgart im Oktober 2023. Foto: Matthias Baus

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Wenn sich am Ende der Alienwurm, den der Geisterbote aus Barak geschnitten hat, ringelt und die Stimmen der ungeborenen erklingen, dann ist das kein intelligentes Unterlaufen einer penetranten Nachwuchssehnsucht, sondern schlicht und einfach irgendwas zwischen eklig und traumatisierend. Wie klug war da die Kölner Variante mit der Hoffnung für die elternlosen Kinder, die schon geboren waren.

Die Zuschauer hielten sich mit ihrem Unisono-Beifall an den musikalische Überwältigungsversuch, von dem sich Cornelius Meister im Graben nicht abbringen ließ und bei dem ihm die Protagonisten folgten. Sie ließen die Bruchlandung der Szene erstmal als Verästlung einer ohnehin schon reichlich rätselhaften Oper durchgehen. Wohl dem Haus, das so ein tolerantes Publikum hat. 

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