Bereits vor drei Jahren hatte Max Renne eine Serie von „R. Hot bzw. Die Hitze“ in der Werkstatt der Deutschen Staatsoper Berlin geleitet. Damals wurden die raumchoreografischen Elemente der Partitur in den Vordergrund gestellt. Jetzt – in der für Kammeroper akustisch hervorragend geeigneten Spielstätte semper2 (Junge Szene) – fokussierte das Produktionsteam in Dresden Zeitebenen, -kreuzungen und Strukturen des komplexen Werks.
„R. Hot bzw. Die Hitze“, das einzige Bühnenwerk von Friedrich Goldmann (1941-2009) wurde 1977 in der Deutschen Staatsoper Berlin uraufgeführt, zur gleichen Zeit komponierte Wolfgang Rihm im Westen seinen „Jakob Lenz“. Diese Kammeropern sind komplementäre Musiktheater-Manifestationen zu Aufbruch, Selbstbehauptung und Krise des Individuums nach 1968 im Westen und den ersten Krisen der Ära Honecker im Osten. Die Analogien gehen weiter, als dass Jakob Michael Reinhold Lenz der Autor des Quellentextes für „R. Hot“ ist – und auch der Protagonist in Rihms Oper. Beide Werke haben Rebellen als Titelfiguren gegen das gesellschaftliche Zwangskorsett, wobei es für „R. Hot“ nur nach einer entscheidenden Veränderung des Textdichters Thomas Körner gerade noch gut ausgehen kann:
Robert Hot bringt sich am Ende von Lenz‘ „Der Engländer“ (1777) um, in der Oper spielt er den Selbstmord und geht dann mit der Prinzessin von Carignan auf und davon. Nach 80 Minuten spannenden Musiktheaters, das die Fluchtversuche Robert Hots aus dem vorbestimmten Lebensweg in vielen Schattierungen und Brechungen thematisiert. Robert flieht anfangs nach Italien, verliebt sich dort, wird von seinem Vater nach England zurückgeholt.
Diese „Phantasey“ – so Lenz‘ Untertitel – ist auch bei klarer Inszenierung komplex. Regisseur Manfred Weiß‘ klare Personenführung pendelt mit zeitlosen Kostümen zwischen Goethezeit und DDR-Entstehungszeit. Timo Dentler und Okarina Peter haben ihm dafür einen großen begehbaren Rahmen mit Spiegelfließen oben, unten, links und rechts gebaut. Klar, es geht bei Lenz und in den „über 100 dramatischen, komischen, fantastischen Posen“ der Partitur um Selbstwahrnehmung, Maximen und Reflexionen. Diese Posen sind lebhaft kontrastierende musikalische Satzgebilde mit abrupten Zäsuren dazwischen, ihre im besten Sinne dramatischen Klanggesten fordern zu einer diffizilen Menschengestaltung heraus. Hinter Spielfläche und Rahmen wechseln Projektionen, zeigen gesichtslose Plattenbau-Fronten auf körnigen Fotokopien und Fensterblicke auf verzweifelt begrünte Höfe. Am Ende zitiert ein Foto FDJ-Idyllik und verweist damit auf die von Goldmann mit Körner verklausulierte Botschaft des Endes: Dieses lässt sich als subversive Fluchtattacke deuten, oder DDR-systemkonform als Aufbruch aus der überlebten Klassengesellschaft in die sozialistische Utopie.
Goldmanns Oper schillert wie der Titelheld zwischen Affirmation und Opposition, ein Zuspielband und Rockimprovisationen stehen als Klangnischen für real erfühltes Revoluzzertum, an anderer Stelle dröhnt Material aus sozialistischen Marschliedern. Auf Lenz‘ berühmten Text über die unvermeidliche Banalität des Lebens aus seinen Anmerkungen „Über Götz“ erhält R. Hot eine melodische und kabarettistisch-verschrobene Einlage-„Arie“.
Insgesamt hat es die Charaktertenor-Rolle des R. Hot mit viel Deklamation, Intervallsprüngen, expressiven Kantilenen in sich. Martin Koch bewältigt das hochrangig, emphatisch und leidenschaftlich, mit guter Diktion und vollen Tönen in allen Lagen. Peter Lobert als sein Vater Lord Hot und Tom Martinsen als Lord Nelson zeigten sich für ihre rhythmisch anspruchsvollen Partien bereits in der Premiere eindrucksvoll sicher. Menna Cazel nimmt die Aufschwünge und Linien als Prinzessin mit konditionierten Linienbögen und legt in ihrem Kurzauftritt als „Buhlerin“ absichtlich charakterisierende Schärfen.
Für das siebenköpfige Instrumentalensemble mit Holzbläsern, Horn, Kontrabass und Elektroorgel ist die Partitur eine virtuose Herausforderung. Neben Intonationssicherheit werden besondere Tonerzeugungen abverlangt – vom Summen bis zu spezifischen „Reibungsmomenten“ auf den Instrumenten. Parallel zur stellenweise überaus kantablen Vokalführung ist der Gestus des Kammerensembles durchgängig expressiv. Max Renne hielt das in dramatischer Balance und ermöglichte den Solisten die subtile Ausformung ihrer Partien.
Für diese substanzreiche Kammeroper gibt es noch viele weitere Lesarten. Die gilt es noch zu entdecken – und warum nicht einmal in einem größeren Theaterraum…
- Nächste Termine: 16., 20. Dezember 2016 – 12., 14., 17. Januar 2017