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The Greek Passion © Sandra Then

The Greek Passion

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Christlicher Glaube und Fremdenhass – „The Greek Passion“ von Bohuslav Martinů in der Staatsoper Hannover

Vorspann / Teaser

Am Ende des Leidens und Sterbens Jesu Christi steht am Ostermorgen seine Auferstehung von den Toten. Die Bibel lässt ihn den Frauen am Grab, den Jüngern auf dem Weg nach Emmaus begegnen und er erscheint im Kreise seiner Jünger. Alles deutet auf eine Comeback-Party hin, die dann in seiner Himmelfahrt mündet. – In Bohuslav Martinůs Oper „The Greek Passion“ kommt alles ganz anders. Es sind seine treuen Freunde, die ihn abermals ans Kreuz nageln.

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Gott leidet! Alle Jahre wieder in diesen Wochen vor dem Osterfest gedenken die christlichen Kirchen des Leidens und Sterbens ihres Namensgebers – Passion („Leiden“) nennen Sie diese Zeit. In der Musik hat sich eine Gattung gleichen Namens eingebürgert, die (im Normalfall) die Geschichte vom Verrat durch Judas und der Gefangennahme Jesu über die Verleugnung des Petrus, das Verhör und die Verurteilung durch Pontius Pilatus, Kreuzigung und Tod bis hin zum Begräbnis Jesu erzählt. Zentrum und Hauptprotagonist dieser Passionen ist immer Jesus Christus, der Mensch gewordene Sohn Gottes. Aufgeführt werden die allermeisten Passionen im Gottesdienst.

Eine vollständig andere Art von Passion und Sichtweise auf Passion entwirft Bohuslav Martinů mit seiner „The Greek Passion“, deren 1. Fassung von 1959 gerade in Hannover Premiere gefeiert hat. Sie beruht auf dem Roman „Der wiedergekreuzigte Christus“ (Ο Χριστός ξανασταυρώνεται) von Nikos Kazantzakis. Bereits der Titel „Oper“ rückt das Stück in einen deutlich weltlicheren Zusammenhang. Im Zentrum der (Passions-)Oper steht nicht mehr Christus, sondern Menschen mit ihren Ängsten und Nöten.

Martinů lernte 1954 Kazantzakis kennen. Dieser konnte Martinů überzeugen, statt – wie geplant – eine Oper mit einem tschechischen oder slowakischen Thema zu komponieren, seine „Griechische Passion“ zu vertonen. Das Libretto erstellten Martinů und Kazantzakis hernach gemeinsam. Den größten Teil der Musik schrieb Martinů zwischen Februar 1956 und Januar 1957, machte dann etwa ein Jahr lang Pause und beendete die 1. Fassung am 15. Januar 1959. Obwohl Rafael Kubelík und Herbert von Karajan Interesse an „The Greek Passion“ gezeigt hatten, kam es weder in London noch Berlin zu einer Aufführung. Hauptkritikpunkt war die große Menge des gesprochenen Textes in der Oper.

Zweiter Versuch

Martinů überarbeitete die 1. Fassung der Oper grundlegend und verschenkte die Partitur der Erstfassung in Einzelteilen an Freunde und Bekannte. Die Uraufführung der Neufassung am 9. Juni 1961 im Stadttheater Zürich erlebte Martinů leider nicht mehr. Eine Rekonstruktion der Urfassung durch das Zusammentragen der verstreuten Fragmente gelang schließlich dem Martinů-Forscher Aleš Březina. Sie wurde am 20. Juli 1999 im Rahmen der Bregenzer Festspiele uraufgeführt und gehört seitdem im deutschen, tschechischen und englischen Sprachraum mehr oder weniger zum gängigen Repertoire.

Für die Regisseurin Barbora Horáková, die die 1. Fassung in Hannover auf die Bühne gebracht hat, wirkt diese „ehrlicher als die zweite Fassung, die oratorischer und homogener ist“. Horáková bezeichnet die Musik als „kleinteilig: Es gibt sowohl große Intimität als auch massiven Orchesterklang. Das Storytelling ist an manchen Stellen schon fast verwirrend: Charaktere tauchen auf und verschwinden, dann erscheinen sie plötzlich wieder in einem ganzen anderen Zustand. Genau das Zerstückelte aber ist die Stärke dieser Fassung.“

Die Handlung spielt während des Griechisch-Türkischen Krieges in den 1920er Jahren in dem griechischen Dorf Lykovrisi. Nach dem Ostergottesdienst verteilt Priester Grigoris gemeinsam mit den Dorfältesten die Rollen für die Passionsspiele, die im nächsten Jahr stattfinden sollen. Schnell sind drei Apostel gefunden. Der für die Rolle des Judas ausersehene Mitspieler weigert sich heftig, die Rolle zu übernehmen. Einer jungen Witwe wird die Rolle der Maria Magdalena, Prostituierte und Anhängerin Jesu, zugewiesen. Die Darsteller sollen sich über ein Jahr lang in ihre Rollen und deren Persönlichkeiten einfühlen und hineinleben. Das geschieht unterschiedlich erfolgreich.

Auserwählt

„‚Das schwerste Los ist auf dich gefallen, Manolios‘, sagt der Priester feierlich. ‚Gott hat dich erwählt, mit deinem Körper, deiner Stimme und deinen Tränen die heiligen Worte der Schrift zum Leben zu erwecken. Du sollst die Dornenkrone tragen, du sollst geschunden werden, du sollst das teure Kreuz tragen und gekreuzigt werden. Von heute an soll nur eines in deinen Gedanken leben, Manolios, nur eines -, nämlich würdig zu sein, die furchtbare Schwere des Kreuzes zu tragen.‘ – ‚Ich bin nicht würdig‘, murmelte Manolios und zitterte. – ‚Keiner ist würdig, aber Gott hat dich erwählt.‘“

Plötzlich erscheint in dem wohlhabenden Dorf eine Gruppe Fremder, Christen und Griechen. Ihr Dorf wurde im Krieg niedergebrannt – sie sind auf der Flucht, ausgezehrt und auf der Suche nach einem Zufluchtsort. Grigoris behauptet mit perfidem Sinn, die Ankömmlinge hätten Cholera. Die Passionsdarsteller – in einem ersten persönlichen Begreifen ihrer Rollen – setzen sich für die Bedürftigen ein. Manolios weist ihnen den naheliegenden Berg Sarakina als Stätte für eine neue Siedlung zu. Manolios entfremdet sich in seiner Christus-Rolle seiner Verlobten immer mehr. Diese wendet sich einem anderen Mann zu. Katharina, die Maria-Darstellerin, gesteht Manolios ihre Liebe, sie geben aber beide ihrem körperlichen Verlangen nicht nach.

Manolios beginnt im Dorf zu predigen. Einige Dorfbewohner erkennen ihn ihm einen von Gott Gesandten und erhoffen sich Gutes. Grigorios und die Dorfältesten sind voller Hass und Misstrauen. Während der großangelegten Hochzeit von Manolios ehemaliger Verlobter planen die Geflüchteten und noch immer Hungernden einen Aufstand gegen das Dorf. Manolios unterstützt sie dabei und wird von Grigoris „als Gotteslästerer“ exkommuniziert. Manolios wird von der wütenden Menge des Dorfes gehetzt und getötet. – Weihnachten ziehen die Geflüchteten weiter.

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The Greek Passion: Frank Schneiders - August Zirner. Foto: © Sandra Then

The Greek Passion: Frank Schneiders - August Zirner.

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Misstrauen

„The Greek Passion“ ist ein durch und durch überzeitliches politisches Werk. Die türkische Fremdherrschaft stört das ruhige staatliche Gefüge Griechenlands. Griechen trauen Griechen nicht mehr. Jeder versucht, seine Schäflein ins Trockene zu bringen. Christliche Tugenden werden nur noch von einigen wenigen – gelegentlich auch falsch verstanden – aufrecht erhalten. Die Parallelen zum biblischen Geschehen sind unübersehbar – so wird etwa Manolios von dem Judas-Darsteller getötet. Letztlich aber setzen sich Kleingeistigkeit und Egoismus (und natürlich auch Fremdenhass) durch, darauf verweist der Originaltitel von Kazantzakis: „Der wieder gekreuzigte Christus“.

Martinů verwendet in seiner Partitur griechische Volksweisen und byzantinische Kirchenmusik, türkische Elemente werden fast vollständig vermieden. Dennoch ist die Musik eher dem tschechischen Idiom der 1950er Jahre verhaftet. Horáková, die wie Martinů Tschechin ist, ist mit seiner Musik von Kindesbeinen an vertraut: „Die Musik von Martinů ist mir sehr nahe. Sie wirkt weniger konstruiert, mehr seelisch, als komme sie direkt aus dem Herzen.“ Geprägt ist die Harmonik der Oper von Martinůs diatonischem Spätstil. Modale und tonale Harmonien – gelegentlich auch markante bitonale Klänge – prägen die Klanglichkeit in den Rezitativen. Stephan Zilias, dem musikalischen Leiter, gelingt es die Zerrissenheit dieser 1. Fassung mit den inhaltlich geradezu romantischen Szenen (Hochzeitsszene, Manolios’s Traumszene) überzeugend zu verweben. Gerade diese Gegensätze lassen aber am Ende auch Fragen offen – notwendige Fragen nach dem Umgang mit unseren Mitmenschen, mit unseren wirklichen und vermeintlichen Nächsten!

Weitere Informationen:

  • Die nächsten Termine von „The Greek Passion“ in der Staatsoper Hannover: 22.04.; 25.04., 03.05. und 08.05 jeweils um 19:30 Uhr und am 11.05. um 18:30 Uhr.

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