Studierende der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ haben anlässlich des Jubiläumsjahrs zum 200. Geburtstag der Pianistin und Komponistin „Eine Tagung für Clara Schumann" veranstaltet. Unser Autor Roland H. Dippel konstatiert eine bunte fachliche Mischung, mit individuellem Erkenntnisgewinn:
Immer wieder gibt es in der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Tagungen lancierend zu für die Musikstadt Leipzig bedeutenden Jubiläen. Im neben den bekannten Musikeinrichtungen von zahlreichen urbanen Akteuren mitgestalteten Jubiläumsjahr CLARA19 beabsichtigt man die Zielgerade zu einer gender-korrekten Imagebildung für die früher vor allem als Lebensgefährtin Robert Schumanns betrachtete Komponistin, Virtuosin und Klavierpädagogin Clara Wieck (1819-1896): Dieses weite Feld ist in einigen Punkten erstaunlicherweise noch immer in der Definitionsphase, so auch in dieser von Studierenden organisierten Fachtagung am 8. Februar 2019.
Hände sind das verborgene, aber durchgehende Motiv diese Symposiums. Beatrix Borchard, deren zweite Clara-Schumann-Biographie „Neue Quellen – Andere Schreibweisen“ demnächst erscheinen wird, weist bei einem Altersporträt der Pianistin, Pädagogin und Komponistin auf deren noch mehr als das Gesicht im Zentrum stehenden Hände. Lena Jade Müller erklärt mit einem Zitat aus Peter Wickes „Von Mozart bis Madonna“ über Tekla Bądarzewskas unverwüstliche Salon-Pièce „Gebet einer Jungfrau“, dass in den Noten und Melodielinien erotisch-begehrliche Phantasien über die Arm- und Hand-Bewegungen der vortragenden Pianistin herausgefordert werden.
Ohne darüber ein Wort zu verlieren steht aber am Beginn dieser „Tagung für Clara Schumann“ in der Hochschule für Musik und Theater ein Mann: Asen Tanchevs Hände gleiten in den „4 Pièces Fugitives“ op. 15 der in der Veranstaltungsreihe CLARA19 zu ihrem 200. Geburtstag geehrten Leipzigerin über die Tasten. Keine Frau, sondern (unmittelbar vor den Beiträgen zur Genderforschung) ein Mann an dem Instrument, wo höheren Töchtern Heiratsanträge gemacht wurden und das früher eines der wenigen statthaften Broterwerbsmittel für Frauen war. So bekannt sind die Jugendwerke der Künstlerin, deren Mitwirkung am kompositorischen Schaffen Robert Schumanns (etwa beim Liederzyklus „Liebesfrühling“) noch immer Probleme in der kritischen editorischen Praxis bereitet, nicht. Also bleibt die Frage unbeantwortet, ob Asen Tanchev, der die eingangs überwiegenden Legato-Linien gegen Ende des Vortrags immer mehr mit Staccati durchsetzt, eigenen interpretierenden Impulsen folgt oder den Notentext sehr genau nimmt, wenn er 'weiblich' Fließendes mit 'männlich' Markantem durchsetzt. Die Konnotation weiblicher contra männlicher Phänomene des Virtuosentums in der Mitte des 19. Jahrhunderts waren am nächsten Tag Thema in einem Arbeitstreffen „Zur pianistischen Interpretation: Clara Schumann zum 200. Geburtstag“.
Diesen ganzen Tag geht es in dem von Studierenden des Master-Studienganges Musikwissenschaft und der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn-Bartholdy“ vorbereiteten Symposiums um Clara Schumann-Wieck und Genderforschung: Eine bunte fachliche Mischung von Beiträgen betreffend das Leipziger Biedermeier bis zum norwegischen Pop im Jahr 2016. An eine Publikation ist (bisher) noch nicht gedacht, möglicherweise das Themenspektrum dafür auch zu disparat.
Vor allem sind die entstehenden Fragen aus den Beiträgen zwischen den Referaten mindestens ebenso spannend wie diese selbst, der Erkenntnisgewinn dabei natürlich individuell. Wichtig für die Musikstadt Leipzig: Beatrix Borchard, die derzeit den neuen Ausstellungsbereich des Robert-Schumann-Hauses für die Eröffnung im September 2019 konzipiert, hält quasi alle umlaufenden Nennformen von Claras Namen für legitim, selbst wenn diese ihre Nachnamen nie in einer Doppelform gebrauchte. Ihr Résumé über zurückliegende und aktuelle Forschungen lautet: Musik steht in Claras ganzem Leben als durchdringender Strom im Vordergrund, nicht Musik als faktische oder spekulative Funktionalisierung sozialen, ideologischen oder psychischer Teilbereiche.
Das ist eine Stufe der Rezeption, die auch der hier in einer verkürzten Collage gezeigte Dokumentarfilm „Komponistinnen“ (D 2018) von Tim van Beveren und Kyra Steckeweh einfordert und weitaus mehr bedeutet als die Würdigung von Komponistinnen unter politischen, emanzipatorischen oder anderen Implikationen: Deren Werke sollen mit der gleichen Selbstverständlichkeit rezipiert werden wie die Ouevres von Männern. Es geht nicht um Quoten, sondern um den Abbau des Legitimationsdrucks gegenüber dem Schaffen von Frauen generell. Dieser wird aber noch oft durch voreingenommene Wertungen verhindert.Wie nötig diese Forderung ist, zeigt sich indirekt
im Beitrag Mirjam Gerbers aus ihrer Dissertation über „Weibliche Akteure der Musikgeschichte. Salons im Leipzig des 19. Jahrhunderts“: Lacher über Robert Schumanns Attribut „genialische Frau Frege“, die sich für Aufführungen von dessen Werken einsetzte, kamen im bis zum Nachmittag vollbesetzten Saal von allen Geschlechtern. Spannend war auch Florian Heeschs aus Notizen zu einem Konzert entwickelte Vortrag aufgrund einer genauen Darstellung der performativen Bedingungen betreffend die Interpretinnen und hypothetische Zielgruppen. Deutlich wurde dabei allerdings auch, das ein roter Faden aufgrund der Fülle der Parameter in den synthetischen Produktionsformen in der Popmusik kaum möglich ist. Wie von den Geschlechterdiskursen des späten 20. Jahrhunderts in die Genderforschung des 21. Jahrhunderts überführten Themenstränge mehr von sängerischen Individualitäten auch in ihren cyborg-artigen Überformungen bestimmt sind, akzentuierte Gesine Schröder. Bei der von Elisabeth Sasso-Fruth moderierten Podiumsdiskussion vertrat die Dirigentin Eva Meitner die praktische Seite des gerade in Fachmagazinen lebhaft beobachteten Aufholens von Frauen in der Orchesterleitung.