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Die beiden Solist*innen stehen in realistischen Kostümen in einem realistischen Bühnenbild.

László Varga (Don Geronimo) und Maria Rüssel (Agnese) bei der Uraufführung von Alberto Franchettis Don Buonaparte. Foto: Ronny Kuttner

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Das Eduard-von-Winterstein-Theater in Annaberg-Buchholz bringt Alberto Franchettis „Don Buonaparte“ aus dem Jahre 1939 jetzt zur Uraufführung!

Vorspann / Teaser

Das Eduard-von-Winterstein-Theater in Annaberg-Buchholz ist ein Musterbeispiel für das Besondere des deutschen Stadttheatersystems. Mit seinem Ensemble und den Angeboten ist es fest in der Region verwurzelt, allein schon, weil es eine kulturelle Grundversorgung für alle, die es wollen, sichert. Überschreibungen bekannter Geschichten oder die großen Experimente stehen da nicht an erster Stelle. 

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Intendant Moritz Gogg hat es allerdings verstanden, eine ganze Serie von Entdeckungen oder Ausgrabungen in den Spielplan zu integrieren, denen überregionale Aufmerksamkeit sicher ist und die zugleich sein Stammpublikum begeistern. Das Musterbeispiel eines solchen (quasi doppelten) Volltreffers war unter anderem Ralf Benatzkys „Der reichste Mann der Welt“ vor zwei Jahren, über den man sich jetzt auch auf DVD amüsieren kann. Neben weiteren, zu den heimischen Ressourcen passenden Entdeckungen gab es mit „Hopfen und Malz“ sogar eine Operettennovität vom komponierenden Tenor Daniel Behle. Jetzt erfüllt das Haus eine quasi historische Bringeschuld gegenüber einem weiteren, vom Rassenwahn der Nazis (bzw. ihrer italienischen Kumpanen) verfemten Komponisten. 

Alberto Franchetti (1860-1942) wurde in seiner Heimat in einem Atemzug mit Puccini, Leoncavallo und Mascagni genannt, bis es nach 1933 auch in Italien immer schwieriger und dann unmöglich wurde, die Werke jüdischer Komponisten aufzuführen. Da nützte es dem in privilegierten Verhältnissen Aufgewachsenen nichts, dass er Wagner-Verehrer war. 

2006 demonstrierte die Deutsche Oper Berlin zwar, dass seine Oper „Germania“ aus dem Jahre 1902 als ziemlicher Schmachtfetzen nicht zu Unrecht in der Versenkung verschwunden ist. Im vorigen Jahr hat dann aber die Oper Bonn in ihrer Reihe Fokus ’33 Franchettis großformatige, auch zwischen Wagnervorliebe und Grand Opéra changierendes, 1888 uraufgeführtes Opernmonstrum „Asrael“ herausgebracht und damit einen starken Eindruck hinterlassen. 

Dass man Werke, der von den Nazis verfemten Komponisten dem Vergessen entreißt, gehört zum Pflichtprogramm; dass man sie auch zu Diskussion stellen kann, zu den Vorzügen, die unser Stadttheatersystem immer noch zu leisten vermag. Wenn sich auch kleine Häuser hier einreihen, dann sichert ihnen solcher Entdeckermut zu Recht einen Aufmerksamkeitsbonus. Ganz gleich, ob dabei ein Kandidat fürs Repertoire zum Vorschein kommt – oder eben auch nicht.

Im Falle der jetzt in Annaberg-Buchholz mit über 80 Jahren Verspätung uraufgeführten musikalischer Komödie „Don Buonaparte“, die es in ihrer Entstehungszeit nicht mehr auf die Bühne schaffte, reichen die Punkte für den Kandidaten nicht ganz.

Es geht um einen Landpfarrer in der Toscana im Jahre 1804 und das, was so im Dorfleben anfällt: Vom verschwundenen Huhn bis zu den Heiratsambitionen von Kirchendiener Maso, dem Entschluss seines Mündels Mattea, doch lieber den Herrn zu heiraten (also Nonne zu werden). Don Gremonio (László Varga legt sich vehement ins Zeug!) gibt hier so eine Art Don Camillo für alle Lebenslagen. Die Idylle wird aufgescheucht, als ein General der französischen Besatzer (kanonendonnerstark: Jinsei Park) auftaucht und dem Landpfarrer eröffnet, dass er der Onkel des mittlerweile zum Kaiser der Franzosen aufgestiegenen Napoleon ist und dieser ihm einen Kardinalspurpur verpassen und bei seiner Krönung dabei haben will. Die Handlung nimmt Fahrt auf, weil sich sofort alle ausmalen, wie sie im Schlepptau des so Erhobenen profitieren könnten. Parallel dazu verliebt sich Mattea (mit Jungmädchen-Trotz: Sophia Keiler) in einen Korporal der Franzosen (Krem Kurk) und heiratet ihn auf die Schnelle, damit er nicht erschossen wird, weil er sich mit ihr eingelassen hat.

Das kommt letztlich alles in einem Parlandostil daher, der die Herkunft aus dem bedeutungsschwangeren Pathos der großen Oper nicht wirklich abstreift, bietet aber ein paar hymnisch auftrumpfende Chor- und Ensembleszenen, um dann wieder ins bodenständig Deklamierende zurückzufallen. Am sich zäh hinziehenden Ende verkündet Don Geronimo, dass er doch lieber nicht Kardinal wird, sondern bleibt, was er ist. Dick aufgetragene Heimatliebe im XL-Format. 

Keine Frage, dass sich das gesamte Protagonistenensemble, der erweiterte und von Daniele Pilato einstudierte Opernchor und natürlich Jens Georg Bachmann am Pult der Erzgebirgischen Philharmonie Aue dieser Uraufführung mit aller gebotenen Sorgfalt und ihrer Kompetenz beim Umgang mit dem Unbekannten annehmen und darstellerisch und vokal für sich genommen überzeugen. 

Bei der szenischen Umsetzung setzt Regisseur und Ausstatter Lev Pugliese bewusst auf ein idyllisches Zeitkolorit zwischen Bauernstuben- und Dorfplatzkulisse, samt entsprechendem Griff in den Kostümfundus. Mit einem sympathischen Augenzwinkern unterläuft lediglich Dominik Kwetkat mit seinen exzellenten Videos immer wieder den idyllischen Overkill. Auf den eingeblendeten Landschaftsbildern bewegen sie die Menschen oder Tiere nämlich unmerklich und stimmen das Publikum behutsam aufs Landleben ein. Er macht optisch Stille hörbar. Diese Imagination von Atmosphäre bleibt im Gedächtnis. Es wäre schön, wenn das für ihn ein Probelauf  für Mehr davon gewesen wäre.

Das Publikum im vollen (!) Haus applaudierte einer alles in allem beachtlichen Kunstanstrengung.

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