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Das Eröffnungskonzert beim Mizmorim Kammermusik Festival. Foto: © Zlatko Mićić

Das Eröffnungskonzert beim Mizmorim Kammermusik Festival. Foto: © Zlatko Mićić

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Das Mizmorim Kammermusik Festival feiert in Basel seine ersten zehn Jahre

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Das Gefühl von Bedrohung schärft bei zu Krisenherden affinen Festivals die Fragen nach „Warum“, „Wie“ „Für wen“. Besonders von Entwicklungen seit dem 7. Oktober 2023 ist das Mizmorim Kammermusik Festival in Basel attackiert und deshalb stark gefordert. Das Programm zum zehnjährigen Jubiläum des wichtigen Festivals jüdischer Musik war Ende September 2023 gerade veröffentlicht worden. Dem Anlass entsprechend mit doppeltem Zeitumfang an zwei statt wie bisher einem langen Wochenende. Dann war auf einmal ganz anders. Das Team um die künstlerische Leiterin Michal Lewkowicz und Präsident Guy Rueff hatten für die zehn Tage vom 24. bis 31. Januar viel erreicht. 

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Das Eröffnungskonzert „Hallelujah“ mit dem Lucerne Festival Contemporary Orchestra im vollbesetzten großen Musiksaal des Casino Basel kam einem Festakt gleich. Zum ersten Mal gibt es mit dem Auftritt des Vokalquintetts Amarcord nach über zweijähriger Vorbereitung ein Mizmorim-Konzert in der Beit Yosef Synagoge der Israelitischen Gemeinde Basel und eine Live-Übertragung von „Mizmorim Jazz“ mit Psalmen-Improvisationen des Vein Trio aus dem SRF Radio Studio. Diese renommierenden Adelsschläge bedingen gerade im Spannungsfeld von Identitätsbewusstsein, Öffnung und angemessener Reaktion auf die Kriegssituation eine intensive Reflexion der programmatischen Ausrichtung des Festivals. In einer Presseerklärung hatte Michal Lewkowicz Ende November nochmals die Einladung zur Begegnung für alle ausgesprochen. „Das Festival-Büro wurde mit ‘Free Palestine’ besprüht und Rabbiner Moshe Baumel wurde angespuckt“, berichtete sie wenige Tage vor Festivalbeginn der Basler Zeitung. Schwierige Zeiten also für ein Festival, welches sich mit wissenschaftlicher Beratung das Motto „Tehillim“ – also „Der Psalter“ – gegeben hatte. Mit diesem spirituellen wie poetischen Motto wollte man auch einen über den jüdischen Kulturkreis hinausweisendem Assoziationsspielraum eröffnen. 

Die Psalmen-Sammlung ist das im Neuen Testament und damit in Liturgien, Lesungen und Predigten aller christlichen Konfessionen meistzitierte Buch des Alten Testaments. Vertonungen und Transformationen von Juden und Nicht Juden finden sich vom Gregorianischen Choral bis zur Popmusik. „Tehillim“ ist auch das erste Motto in der zehnjährigen Geschichte des Mizmorim-Festivals, das sich nicht auf eine historische Konstellation bezieht wie 2023 auf Theodor Herzl und die in Basel stattgefundenen Zionistenkongresse vor Gründung des Staates Israel – oder „Orient und Okzident“ (2018) und die „Tour Da Ponte“ (2020) um Mozarts jüdischstämmigen Librettisten. 

„Tehillim“, die Psalmen, sollten aber nicht enzyklopädisch vorgestellt werden, sondern als variables Text- Material und Impulsgeber zu subjektiven Nachschöpfungen. So in Peter Eötvös’ Solostück „Psalm 151. In memoriam Frank Zappa“ (1993) mit dem energetisch gefassten und sich dabei brillant verausgabende Schlagzeuger Christian Dierstein im Gare du Nord. Eötvös befreite sich mit seinem Titel aus dem Kanon der 150 Psalmen und setzte sein Lamento auf eine säkulare Ebene. An den ersten fünf Tagen ragten nur drei „Biblische Lieder“ Antonín Dvořáks (eindrucksvoll mit der Sopranistin Elionor Martínez Lara und der Pianistin Alice Burla) und die beim Late Night im Teufelhof von Benedek Horváth mit pastos ausladendem Aplomb dargebotene b-Moll-Klaviersonate Rachmaninoffs in die Spätromantik, György Kurtágs Bach-Choräle für Klavier zu vier Händen (Alice Burla und Benedek Horváth), ins 18. Jahrhunderte. Sonst war alles aus dem 20. und 21. Jahrhundert: Die Uraufführung des auf den 130. Psalm bezogenen Auftragswerks „Mimma’amaqim für Stimmen und Ensemble“ (2023) der in der Schweiz lebenden Katalanin Helga Arias (geb. 1984) im von Tito Ceccherini mit empathischer Umsicht für den erkrankten Baldur Brönnimann dirigierten Eröffnungskonzert zum Beispiel. Oder das mit genau gesetzter Raserei und Virtuosität vom Turicum Quartett genommene „Rough Surfaces für Streichquartett“ (2022) von Victor Alexandru Colțea (geb. 1984), Preisträger des Mizmorim Kompositionswettbewerbs 2022. Mit Titeln Leonard Bernsteins und dem rasant anspruchsvollen „Tehillim“ von Steve Reich, der für hohe Stimmen gnadenlos unbequem schreiben konnte), erklangen Publikumsmagneten des späten 20. Jahrhunderts. Alle Konzerte, auch in den größeren Sälen, waren bisher gut bis sehr gut gefüllt – sogar die Matinée „Psalm geheim“ im Zunfthaus am Schmiedenhof an einem normalen Werktag. Der Geiger Ilya Gringolts ist an insgesamt sechs Konzerten in verschiedenen Formationen beteiligt. 

Eine besondere Anknüpfung ergibt sich zum 100. Geburtstag von György Ligeti und der vom Musikmuseum Basel gezeigten Ausstellung „Ligeti-Labyrinth“. Die Kuratorin Heidy Zimmermann – auch sie ist eine dem Mizmorim Festival seit Gründung eng verbundene Beraterin – erklärt bei der Führung, dass Ligeti seine jüdische Herkunft immer als Privatsache, nicht als künstlerisch wesentliches Thema betrachtete, obwohl sein Vater und Bruder in Konzentrationslagern ums Leben kamen. Etwas von Ligetis überbordender Vielseitigkeit scheint über dem „Tehillim“-Zyklus zu schweben, vor allem Ligetis Offenheit gegenüber allen Strömungen der neueren Musik. Die Psalmen erweisen sich im Angebot zu Diskurs und Offenheit als schließlich nicht nur als offener, sondern angesichts der Polarisierungen in jüngere Zeit auch sehr diskursfähiger Schwerpunkt. Aus meist kürzeren Werken ergibt sich ein buntes wie kurzweiliges Panoptikum von Arnold Schönberg bis zur jungen Gegenwart mit der Uraufführung des Auftragswerk „Lichtungen für Violine und Ensemble“ von Lukas Stamm (geb. 1994). In dem noch jungen Festival, in dessen ersten Jahren viel von Mendelssohn, Goldmark und Ullmann auf dem Programm stand, wird das Durchschnittsalter der dargebotenen Stücke jedes Jahr jünger. Das Mizmorim Kammermusik Festival präsentiert sich inzwischen fast zur Gänze als zeitgenössisches Festival mit sichtbar guter Verankerung in der Basler Bürgerschaft. Auch das ist in nur zehn Jahren eine starke Leistung.

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