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Schwarze Bären - Johanna Geißler (Lore Bollmann), Silvana Veit (Zofe), Bastian Heidenreich (Toledo), Elke Wieditz (Die Gräfin). Foto: © Luca Abbiento
Schwarze Bären - Johanna Geißler (Lore Bollmann), Silvana Veit (Zofe), Bastian Heidenreich (Toledo), Elke Wieditz (Die Gräfin). Foto: © Luca Abbiento
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Der letzte Kloß gekocht – Dietrich Eichmann, Kai-Ivo Baulitz und Enrico Stolzenburg geben in Weimar eine „musikalische Wirtshauskomödie“

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„Ausgerechnet Weimar. Darüber ist schon so viel geschrieben worden, dass ich ganz mutlos wurde. Ich hab mir dann heimlich vorgestellt, ich wär in Iserlohn. Dann ging’s wieder.“ Was Autor Kai-Ivo Baulitz von den Hindernissen der Entwicklung eines Stückes verrät, das als „Stück über und für Weimar“ konzipiert wurde, um Weimar „als Ort der Durchreise, als Fluchtpunkt, Wahlheimat, Ausflugsziel und Kreativstätte“ zu beleuchten, spricht Bände.

Schließlich eignet sich eine Klassik-Domäne nur bedingt zum „Transitraum“, ist doch das einstige Zentrum der geistigen Avantgarde (des 18. Jahrhunderts) inzwischen deren Museum, also traditionell eher ein Ort gediegener Denkmalpflege als Heimat von Utopien.

Ausnahme: der 6. Februar 1919. Dort gedachte die Deutsche Nationalversammlung (auf der Flucht von Berlin in die Provinz) im Weimarer Theater die Republik auszurufen und die Geschicke Deutschlands und Europas auf ein demokratisches Fundament zu stellen. Dies war der historische Rahmen von Schwarze Bären oder Die Erfindung der Republik!, die als „musikalische Wirtshauskomödie“ zwar in der gleichnamigen Weimarer Traditionsgaststätte (wo man noch heute Klöße bestellt) beheimatet war, letztlich aber in einem existentiellen Niemandsland stattfand, wo am Vorabend der Republik das Schicksal ein paar verkrachte Existenzen zusammengewürfelt hatte und „nichts mehr ist, wie es war, und keiner weiß, was werden soll.“ Ein fundamental ratloser Seins-Zustand, dem Dietrich Eichmann (Musik), Kai-Ivo Baulitz (Text), Enrico Stolzenburg (Regie) und Oliver Helf (Bühne) hier huldigten und ihre Produktionsform sozusagen auf den Leib geschneidert hatten: beherzte Gruppenimprovisation aller Beteiligten war angesagt, wo im Entstehungsprozess manchmal die eine Hand (z. B. die Musik) nicht wusste, was die andere (zum Beispiel der Text) tat. Das Ergebnis: ein turbulenter Komödienstadel, der zwar nicht in die Geschichte eingehen wird, aber einen ziemlich vergnüglichen Abend bereithielt. Und das ist ja schon was ...

Das Personal hatte es auch in sich: ein abgestürzter Kriegsveteran (Toledo), eine mannstolle Nudistin (Fräulein Lasinger), eine Frauenrechtlerin (Lore Bollmann), eine todessehnsüchtige Gräfin samt Zofe, ein koreanischer Flüchtling (Jaesig), ein Abgeordneter (Schmolke) und ein Wirt (Moustache, mit Moustache) versprachen sozialen Unfrieden und komödiantischen Sprengstoff. Die Bühne verzichtete dabei auf die geläufigen Insignien von Provinz und Kneipen-Mief (kein Hirschgeweih!) und beschränkte sich auf eine nüchtern zusammengezimmerte Mischung aus Motel, Aussichtsplattform und Wachturm, die den neutralen Spielplatz für das umtriebige Häuflein Gestrandeter bildete.

Dass diese irgendwie automatisch politische Veranstaltung am Europa-Wahltag stattfand, war kein Zufall und passte wunderbar ins Bild der aktuellen Absurditäten, wie sie uns wochenlang in Gestalt geistig beschränkter Parteienwerbung entgegenflimmerten – gegen deren unfreiwillige Komik muss man erstmal anstinken.

Regisseur Enrico Stolzenburg griff dazu tief in die Klamauk-Kiste und ließ keine Gelegenheit aus, die egoistischen Schrullen, mit der die einzelnen Akteure ihre Leidensgenossen traktierten, auszukosten und auf den Klischees und Stereotypen, die sie im Gepäck hatten, genüsslich rumzureiten. Hinreißend komisch machte das Tenor Jaesig Lee, der sich praktisch selbst spielte und immer wieder Gelegenheit bekam, ariöses Wortgeklingel romantischer Herkunft zum Besten zu geben. Dass da so mancher Witz mehrfach erzählt wurde und auch verzichtbare Albernheiten an Bord waren (insbesondere was den traumatisierten Piloten betraf) verzieh man diesem Lustspiel mit Gesangseinlagen gern, was sich einem ‚Drehbuch’ verdankte, das Baulitz aus den Workshops der Vorbereitungsphase dann doch überaus gewitzt destilliert hatte.

Wie genial das alles geworden wäre, wenn die Klamotte zwischendurch mal unerwartet Ernst gemacht hätte – nicht auszudenken. Aber das „demokratische Musiktheater“ galoppierte lieber mit wehenden Fahnen in ein immer größeres Chaos hinein. Und nachdem alle Einzelschicksale und Lebensweisheiten ausgetauscht, lasziven Annäherungsversuche über- und unehelichen Kinder gestanden, Wasserrohrbrüche repariert und Wespennester entfernt waren, schießt am Ende der am Krieg verrückt Gewordene Bruchpilot den aufstrebenden Politiker tot (aber der ist natürlich, wie es sich für eine Wirtshauskomödie gehört, nur scheintot). Nach dem Krieg ist vor dem Krieg …

Es war bemerkenswert, dass Dietrich Eichmann die Turbulenzen auf der Bühne nicht wie erwartet mit großem „Tschingderassabum“ begleitete und eben keinen derben Eintopf aus den Wirtshaus- und Militärmusiken dieser Welt zusammengerührt hatte. Stattdessen tischte er eine unprätentiöse Partitur für ein überschaubares Ensemble auf, wo jedem der Darsteller ein charakteristisches Soloinstrument zugeordnet war. Die musikalischen Strukturen dazu generierte er aus den Distanzen und Zeitachsen Weimarer Stadtpläne und Stadtchroniken, mit denen per Zufallsprinzip musikalische Dauern bestimmt wurden. Heraus kam eine Musik, genauso kaputt wie die desaströse Unterkunft und deren Mieter, voller Brüche und Risse, unfertig, schütter, mit stolpernden Loops und mikrotonal angeschrägter Harmonik, durchzogen nur von Spuren des Populären und Volkstümlichen – eine Trümmermusik. Auch die Gesangspartien waren da natürlich ein expressives Als-ob, besonders schön gemacht in der Verzweiflungsarie des Bären-Wirtes. Wie trällert der dort so falsch schön: „Ich kann nicht, will nicht stehen bleiben, auf einer Erde, die sich dreht! Das ewig gleiche wird vergehn’, wer leben will, muss weitersehn’ – mein letzter Kloß ist gekocht. Ab morgen: Makkaroni!“

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