In Halle gab es lange nicht so viel opulente Romantik wie jetzt in der sinnlichen Inszenierung von Veit Güssow. Lyrische Märchen und Analyse psychologischer Abgründe haben sich jedoch nicht ausgeschlossen, meint unser Kritiker Joachim Lange, der eine tolle Ensembleleistung sah und hörte.
Sie wollte die Menschen nicht nur kennen-, sondern auch gleich lieben lernen. Zumindest den Prinzen, in den sie sich verguckt hatte. Auch der jagt einem Traumbild nach, einem weißen Reh. Für Rusalkas Sehnsucht hat Antonín Dvořák (1841-1904) mit dem Lied an den Mond den Hit der Oper schlechthin komponiert.
Aber diese Wassernixe kann aus anatomischen Gründen nicht mal auf ihren Beinen stehen. In Halle begnügt sich Kostümbildner Otto Krause mit einer an den Füßen verbunden Strumpfhose. Die zwingt Anke Berndt als Nixe zum Kriechen. Sie schlägt alle Warnungen des ihr wohlmeinenden Wassermannes (standfest souverän wie immer: Ki-Hyun Park) in den Wind und nervt die Hexe Ježibaba (mit diabolisch auftrumpfendem Mezzo: Marlene Lichtenberg) so lange, bis die ihr sozusagen Beine macht und eine Seele verpasst, damit sie Mensch werden kann. Da aber auch im Wasser- und Geisterreich nichts umsonst ist, muss Rusalka für diese Exkursion ins Menschenreich mit dem Verzicht auf ihre Stimme bezahlen. Hinzu kommt, dass es für sie keine Rückkehr gibt, falls es mit ihr und dem Prinzen nicht funktionieren sollte.
Für den Prinzen ist nicht nur die Sprachlosigkeit seiner unschuldsweiß und blondgelockt schönen Eroberung ein Problem. Sie bleibt auch in Menschengestalt mehr ein fischkaltes Wasserwesen, das sich eben nicht in die glühende Geliebte verwandelt, die er sich von seiner ungewöhnlichen Wahl erhofft hatte. Da hat die attraktive und offensive andere Frau, die fremde Fürstin (die für Ježibaba zur zweiten Gestalt wird), mit ihren Offerten ein leichtes Spiel. Die Romanze zwischen Prinz und Wasserwesen endet ziemlich irdisch, noch bevor sie richtig begonnen hat. Rusalka altert sichtbar und ist zum irrlichternden Dasein verdammt. Der Prinz, der sie wieder zurückgewinnen will, als er erkennt, dass er sie verspielt hat, weiß, dass der Kuss, den er am Ende von ihr bekommt, tödlich ist. Warum können Menschen - sprich Männer - nicht treu sein? Das bleibt als Frage dieser tieftraurigen Geschichte überm See hängen, in dem der Prinz verschwindet. Ein Liebestod der finsteren Art.
Den Platz am Pult der Staatskapelle, den bei so großen Produktionen eigentlich die GMD einnehmen müsste, füllt erneut José Miguel Esandi ganz vorzüglich aus. Mit viel Lust darauf, hinter jedem Baumstamm eine Wagneranspielung zu entdecken und die Sänger mit der traurig schönen Musik zu umhüllen. Anke Berndt verwandelt sich die Rolle vokal an, glänzt in der dramatischen Verzweiflung und mit ihrer charismatischen Art zu spielen. Dass dem Prinzen diesmal ein paar Spitzentöne (wohl nur wetter- und premierenbedingt) fehlten, überschmettert Matthias Koziorowski im Ganzen imponierend. Dazu kommen Ludmila Lokaichuk, Yulia Sokolik und Regina Pätzer, die als erstklassig singende Elfen zum Picknick antreten, als wären es Rheintöchter von heute. Auch die geschmeidige, für die Komische Oper erstellte deutsche Textfassung von Bettina Bartz und Werner Hintze funktioniert. Schon, weil Dvořák nicht Janáček ist, bei dem die Musik direkt mit der Sprachmelodie verbunden ist.
In Halle gab es lange nicht so viel opulente Romantik wie jetzt in der sinnlichen Inszenierung von Veit Güssow. Ein hinreißender Märchenwald mit Gruseleffekt, ein Steg am See mit Absturzgefahr in die Tiefe einer anderen Welt. Darüber faszinierend nächtliches Mondlicht und wallende Nebel. Daniela Kerck (Bühne) und Astrid Steiner (Video) vermeiden idyllischen Kitsch, ziehen aber alle Verführungsregister: vom Rundhorizont über den Einsatz der Drehbühne, einen Baumstamm, der auch mal dampft, und an dem der Jäger (sehr lyrisch: Robert Sellier) und der Küchenjunge (kess: Vanessa Waldhart) - gut gesichert - hinaufklettern. Hier fügt sich auch der Blick durch das Panoramafenster jenes Bungalows ein, in dem sich der Raum für die Gruppentherapie der geschlagenen Seelen (sprich Schwestern Rusalkas) ebenso findet, wie das Schlafzimmer des Prinzen. Diese Bühne changiert zwischen der Welt der Menschen und der der Geister. Samt einer Selbst- und vor allem gegenseitigen Wahrnehmung und dem, was das Unterbewusstsein dazu beizutragen hat. Hier liefern auch die von Paloma Figueroas choreografierten Einlagen der Mitglieder des Ballettstudios und das Herumgeistern des von Johannes Köhler einstudierten Chores ihre Beiträge.
In Halle gibt es „Rusalka“ als lyrisches Märchen und die Verweise auf die psychologischen Abgründe, die hinter der Oberfläche lauern, gleichzeitig. Dafür gab es für alle viel Beifall.