Hauptbild
Eishockey-Oper: Szene aus Martin Smolkas Musiktheater „Nagano“. Foto: Nationaloper Prag
Eishockey-Oper: Szene aus Martin Smolkas Musiktheater „Nagano“. Foto: Nationaloper Prag
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Die besten Geschichten schreibt das Leben

Untertitel
Martin Smolkas Oper „Nagano“ wurde in Prag uraufgeführt
Publikationsdatum
Body

Martin Smolka, Jahrgang 1959, ist heute der international bedeutendste Komponist der mittleren Generation in Tschechien. Seine Musik ist eigenwillig schräg gegen den Strich gebürstet, sie horcht aufs Volk, auf den Klang von Städten oder Landschaften, auf Idiome des Singens, auf das Quietschen oder Klappern von Rädern, auf alles also, was uns umgibt und irgendwie auch bewegt. Ein solcher Ansatz ist keinem präformierten System anzuvertrauen, Smolka beäugt avantgardistische Thesen skeptisch, nicht aber weil er zurück, sondern weil er in freier Luft weiter will. Das gelingt seiner Musik. Es ist eine Musik, die vorher ganz genau zugehört hat, die aus solchen Erfahrungen Mikrotonales erlauscht, einfache Skalen und hochkomplexe Strukturen. Und sie stellt sich nicht arrogant darüber, sondern nimmt Anteil.

Wo sind heute die großen, die Massen ergreifenden Gefühle, denen die Oper schon immer nachspürte und in sich zu versammeln versuchte? Das muss sich auch Smolka auf der Suche nach einem Opernsujet gefragt haben. In Tschechien ist es das Eishockey, das die Nation wohl noch mehr bewegt als bei uns der Fußball. Das kleine Land nimmt die Schläger in die Hand, schwört Zusammenhalt und kämpft mit verbissener Energie mit den Gladiatoren des Eises mit. Zur olympischen Goldmedaille hat es lange dennoch nicht gelangt. Bis zu Nagano, als der Verteidiger Svoboda mit einem Weitschuss im Endspiel gegen die Russen eine ganze Nation erlöste. Svoboda, welch Fügung, bedeutet Freiheit! Alles zwischen Prag und Brünn taumelte vor Freude und Hochgefühl nach diesem Befreiungsschlag des kleinen, doppelschwänzigen Löwen gegen den Bären-Koloss aus Russland.

Die besten Geschichten schreibt das Leben. Und das war eine der allerbesten. Gerade gut für eine Oper, muss Smolka gedacht haben. Wer nun eine heroisch affirmative Nationaloper dahinter vermutet, liegt falsch. Das wäre bloß peinlich. Und Smolka ist viel zu genau in seinen Unter- und Zwischentönen, um dem Sujet protzig freien Lauf zu lassen. Er ist genau in beide Richtungen! Er nimmt das Hohle im „We are the best“-Jubel wahr und stellt sich ebenso gegen die intellektuell gefärbte Ablehnung des „pöbelhaften“ Trubels, die so tut, als stünde sie über den Gefühlen, die ohnehin eine Melange aus Auflehnung von unten, aus Irritations-Witz eines Schwejk, Massensuggestion, aus Sex and Error und vielen, vielen privaten Implikationen sind.
Das knüpft sich gut zusammen. Die Oper, auch hier schon Genauigkeit, ist in drei Drittel und eine Nachspielzeit gegliedert. Erzählt werden die Verwandlung der gutbetuchten Stars in die Hockey-Gladiatoren der Gegenwart, die wie Ritter mit Arm- und Beinschienen, Masken und Helmen gerüstet und mit einem - je dicker desto mächtiger - umwickelten Schläger ausgestattet sind, dann die Abfolge der Endrundenspiele gegen USA, Kanada und schließlich Russland. Im dritten Teil, nach dem Sieg, schließlich implodiert die Spannungskurve. Der Übertorhüter und Siegretter Dominik Hašek soll, so der Fanwille, zum Präsidenten gemacht werden, wogen sich Schwejk-Erfinder Jaroslav Hašek aus dem Grab erstanden verwehrt. Präsident Václav Havel meldet sich auch zu Wort. Die Spieler und Fans singen ihr „Uadada dä, Jadada dýja“, ein Frauenchor (die Verlängerung) verklärt mit Worten des taoistischen Dichters Shin-te über das ewige Leuchten einer Perle durch das trübe Wasser.

Es wurde eine Oper, die Lust machte. Die Tatsache, dass es das Haus war, wo einst Mozarts „Don Giovanni“ aus der Taufe gehoben wurde, also das Prager Ständetheater, mag das noch befördert haben. Sie steht mit beiden Beinen im Heute. Sie ist sprühend witzig, treffsicher und zugleich sensibel hintergründig. Smolka gelang, wovon viele Opernkomponisten, die sich traditionsbescheiden mühen, nur träumen: Es herrschte die Spannung, die Mischung aus Hochgefühl, Fiebrigkeit und Zweifel, des Nagano-Endspiels.

Es war die Musik, der das im Verbund mit an die Pekingoper gemahnender tänzerischer Akrobatik, mit szenischem Witz gelang. Da machte der Puck, ein schwarz gewandetes Mädchen, den Weg zum kanadischen Tor frei, indem er kurz und täuschend die Bluse öffnete. Da waren metallig gekleidete Frauen, die im Aufwärmraum die Trainingsgeräte abgaben, das war die riesig umwickelte Siegeskeule des entscheidenden Torschützen. Das waren Gags, die findig, schön und temporeich von Regisseur Ondrey Havelka zusammengestellt wurden. Was entstanden ist: eine komische Oper der Gegenwart, im Wissen, dass komische Oper immer nahe am Ernst sozialer Aufrisse siedelt. Und dass sie, wieder nahe beim Eishockey, nur im Teamgeist wirklich zu gedeihen vermag. Für den sorgten alle Mitwirkenden, die Regie, Tänzer, Sänger, die Musiker der Nationaloper, der Dirigent Jan Chalupecký. Dass dieser auch selbst Eishockey spielt, gehörte beinahe zur Grundausstattung.

Der Musik aber gelang letztlich der Spagat zwischen einer Verbrüderung von Anfeuerungsrufen, hymnischer Staffage und filigraner Auffächerung. Mozarts Forderung, sowohl dem einfachen Publikum als auch dem Kenner etwas zu liefern, wurde auf verblüffende Art neu belebt. Denn es waren durchaus komplexe und genau differenzierte Strukturen, die zu hören waren. Sie aber kamen mit der Leichtigkeit eines Rossini oder Offenbach daher. Und merkwürdig: Die Musik, die alle Bande zusammenhielt, drängte sich nicht eitel nach vorn. Sie machte mit im realen Geschehen und gab zugleich ihre Kommentare.

Sie freute sich an der Gladiatoren-Verkleidung, an der Spannung der Spiele, am Triumph, machte mit und wusste ebenso zu unterminieren. Ihr gelangen Siegestaumel, beklemmende Leere (zum Beispiel in der Drittelpause nach dem 0:1 gegen die USA), hin zu Puccini zwinkernde Kantilenen des in einen weiblichen japanischen Fan verliebten dritten Torhüters, vor allem aber gelang es ihr, die weiten Dimensionen des Doppelbödigen all dieser Gefühle einzufangen. Hier war Smolka genau wie kaum ein zweiter Komponist heute. Die Musik sieht zu, beobachtet genau, freut sich mit, leidet – vor allem aber zeichnet sie wie in einer Bilderbuch-Montage ein genaues, ironisches und kritisches Parallelogramm der Kräfte.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!