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Der Schuh als Zunge. Foto: Markus Zucker
Der Schuh als Zunge. Foto: Markus Zucker
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Die Kunst des Geschwurbels – Solistenensemble Kaleidoskop mit Nussbaumers „Nobodaddy is perfect“ in Berlin

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Was bekommt man heraus, wenn man den Performance-Künstler Georg Nussbaumer zusammen mit dem Solistenensemble Kaleidoskop bringt und diese sich mit Stoffen von Homer (Odyssee) und Bach (Kunst der Fuge) beschäftigen lässt, das Ganze als Theater mit Musik und Video gestaltet und auf ca. 100 Minuten Zeit dehnt? Ein interessantes Gesamtkunstwerk für die einen, ein bedeutungsschwangeres Kuddelmuddel für die anderen. Oder beides?

Es geht Nussbaumer auch im Untertitel um die Kunst des Verschwindens. Und so ist es. Es verschwindet bei dieser Performance so ziemlich alles. Und das, ohne dass irgendetwas so wirklich richtig erschienen wäre. Das ist schon auch eine Kunst, auch wenn vermutet werden darf, dass das vielleicht nicht wirklich beabsichtigt gewesen wäre.

Dieses Stück mit dem vieldeutigen Titel „Nobodaddy is perfect“ besteht aus lauter aneinandergereihten Aktionen: Personen gehen entgegen dem Uhrzeigersinn am Rand der Bühne im Kreis, Muscheln werden um ein Gefäß gelegt, Besteck ebenso, es werden Teller umgekehrt im Kreis gelegt, Sand wird aus einer Geige in verschlungener Linie über den Boden gestreut, eine Person mit Staubsauger folgt der Linie und saugt sie wieder auf, Karten werden auf dem Boden gelegt, es wird selten einen Trommel geschlagen, ebenso zwei Becken gegeneinander geknallt, aus Duschkabinen wird mit telefoniert, Bogenhaare werden auseinandergezupft, eine Bachfuge im Doppelquartett in der Art einer Rudermannschaft gespielt, eine Stimme wird per Mickey-Mousing verfremdet, ein Beleuchter geht am vorderen Bühnenrand mit einem Scheinwerfer auf und ab, auf antik getrimmt beschriftete Tafeln werden wie bei einer Nummernshow im Hintergrund von rechts nach links getragen, es werden von zwei Personen hochhackige (nicht weiße) Schuhe per Hand so umgesetzt, dass man denkt, sie gehen, während in der anderen Hand ein Handfleischwolf aus dem eine Rinder(?)-Zunge(?) lugt anders umgesetzt wird, später mit der Spitze in den Mund genommen und der Kopf dazu horizontale blitzartig ausgelenkt, aus Kännchen werden Flüssigkeiten per Mund aufgenommen und in umstehende Klosetts ausgespuckt, mit Sand gefüllte Badewannen mit Miniaturinstallationen werden umhergefahren, es wird sich umgezogen, es gibt eine Sprachszene zu viert, eine mit einer ledermaskierten Person, auf drei Leinwänden sieht man die Musikerinnen in der Berliner Umgebung in verschiedenen Orten Musikspielen oder am Tisch sitzende Menschen etwas trinken und lachen oder man sieht auf ihnen gestaltete Farbflächen, es werden Fäden abgerollt, es werden die Becken in einen Erdhaufen gedrückt, man sieht die Musikerinnen Schatten auf die Leinwände werfen, man sieht bewegliche Sanitäreinrichtung wie Klosets, Urinal, Waschbecken, Badewannen, Duschkabinen auf beweglichen Podesten, die auch gelegentlich neu gestellt werden, die Instrumente werden gespielt als Musikinstrumente, als abwesende Musikinstrumente, gelegentlich mit Hilfsmitteln auch bestimmte Geräusche erzeugend, die Musikerinnen agieren in weißer Unterwäsche und meistens in Socken, Strümpfen, Füßlingen, der Beleuchter in weißen Stiefeln. Und so weiter.

Die Deutigkeit des Lebens

Das sind ein paar Bestandteile des Tableaus von Aktionen, die in diesen 100 Minuten absolviert werden, nacheinander, gleichzeitig, zeitlich versetzt, es scheint einen Anfang und ein Ende zu geben. Und dazwischen eben viel von wenig, bedeutungsvoll und -leer zugleich. Ist die Windel auf dem Kopf des Beleuchters zufällig da? Soll sie im Zweifel Hirnflüssigkeit aufnehmen? Die beweglichen Sanitärporzellane sollen das Archipel der Inseln der Ägäis repräsentieren (können), wenn man Nussbaumers Hinweis dazu folgen möchte, und man selbst rätselt: sie sind doch Spucknäpfe hier, sie sind doch Sitzmöbel, sie sind doch Verschiebemasse. Sie sind in jedem Fall in dieser Form rechtssicher benutzbar. Bestenfalls sind sie eben ein Gestaltungsmittel zur Verdrängung von Luft oder anderen Gegenständen, die nicht gleichzeitig am gleichen Platz sein können. Ihre Existenz jeweils dort hat das Verschwinden von anderem zur Voraussetzung und zur Folge gleichzeitig.

Man kann es deuten wie man will oder auch gar nicht deuten. Jedenfalls ist zugleich viel und wenig los. Und irgendwo darin, so nach 30 bis vierzig Minuten tönt auch das erste mal Musik im Zusammenhang. Wohl Bach.

To focus or to defocus?

Die schönste Stelle freilich ist die Passage, an der sich die jeweils vier Musikerinnen nur mit ihren Instrumentenbögen gegenüberstehen und mittels durch das Hoch- und Runterreißen der Bögen erzeugte Flitschgeräusch einen kompletten Contrapunctus aus Bachs „Kunst der Fuge“ rhythmisch markieren. Warum fällt das auf? Weil es eine fokussierte Aktion ist, bei der die Umgebung um die Musikerinnen herum stillgestellt ist. Ein Moment, der überhaupt erst deutbar wird, statt sich in der Vieldeutigkeit zum Verschwinden zu bringen. Wo alles alles bedeuten kann, bedeutet alles nichts.

Das ist das so traurige Ergebnis dieser Veranstaltung. Nichts ist hier „perfect“, weder Daddy noch Nobody. Alles ist hier Nichts. Es ist so schade um den getriebenen Aufwand, die Mühe, die in dieser Bedeutungssinnlosigkeit gefangen bleibt ohne dabei wenigstens Vielsinn zu erzeugen. Homer und Bach da als Markierungspunkte zu setzen ist natürlich geschickt und trieft besser als dies mit Hedwig Courths-Mahler und Norbert Schultze (oder DJ Ötzi) der Fall wäre. So bleibt aber die Odyssee wie von den Aktionen verschluckt, und nicht anders ergeht es der Musik von Bach, die aber in zwei Passagen doch sich nicht verschlucken lässt. Der Transformation, die sie dabei durchmacht (tonlos und gerudert) war dabei wunderbar. Man möchte dem Solistenensemble Kaleidoskop allerdings wünschen, sich an ein Ornette Coleman zugeschriebenes Wort zu halten: „Let’s play the music, not the background.“

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