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Hidenori Inoue, Oliver Sewell, Chor des Theaters Bremen. Foto: Jörg Landsberg

Hidenori Inoue, Oliver Sewell, Chor des Theaters Bremen. Foto: Jörg Landsberg

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Die Macht der Milde – Marco Štorman inszeniert am Theater Bremen Mozarts geheimnisvolles Spätwerk „La Clemenza di Tito“

Vorspann / Teaser

Viele große Regisseure haben sich schon daran abgearbeitet, dass es mit der Milde des Titus nicht so einfach ist, wie das Textbuch ursprünglich einmal vermuten ließ: der römische, einst blutrünstige Diktator verzeiht in den Sechzigerjahren nach der Geburt Christi in der 1791 entstandenen Oper „La Clemenza di Tito“ von Wolfgang Amadeus Mozart seinem Attentäter Sesto. Doch die Schichten der Entwicklung sind so komplex, dass es mit einem Happy End über die Milde eines Herrschers keinesfalls getan sein kann. Denn Sesto liebt bis zur Hörigkeit Vitellia, die Kaiserin werden will, worauf sie Anspruch zu haben glaubt, weil Titus ihren Vater ermordet hat. Doch Titus wählt eine andere Frau – Sestos Schwester Servilia -, was Vitellia zur Mordanstachelung von Sesto an Titus treibt. Servilia lehnt den Antrag ab. Vitellia versucht das Attentat zu verhindern, doch zu spät, das Kapitol brennt.

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Der Regisseur Marco Štorman, dem Bremen so viele nachdenkenswerte Inszenierungen verdankt, deckt viele psychische Grundlagen der großartigen Partitur auf. Und er verfolgt die These der Fragwürdigkeit, ja der Verlogenheit der Milde, die nichts anderes ist als Macht, aber genau deswegen die Gier nach Popularität (und damit ein hochaktuelles Thema): alle sterben daran. Sesto ist bereits tot, als er begnadigt wird, Vitellia erhält ihre Totennummer und gesellt sich zu Hunderten von anderen, die im Widerstand gegen den Diktator gestorben sind. Nur das junge Paar Annio und Servilia versuchen die Flucht in die Zukunft und der ach so milde Titus erscheint am Ende in einem weiblichen Abendkleid, eine Anspielung vielleicht an seine homoerotische Neigung zu Sesto oder auch ein Verweis auf Menschliches, allzu Menschliches.

Das setzt Štorman über ein sich drehendes Fantasiebühnenbild mit stilisierten antiken Elementen (Frauke Löffel) und schwarzen Kostümen (Axel Aust) in eine vollkommene Zeitlosigkeit. Darin toben die Emotionen von Vitellia (nuancenreich Sarah-Jane Brandon), Annio (neu im Ensemble: wunderbar Adele Lorenzi), Servilia (ausdrucksstark Elisa Birkenheier) und Titus’ Aufpasser Publio (hinterlistig verschlagen Hidenori Inoue). Oliver Sewell als Titus; der „verführt und manipuliert“ – so der Regisseur – gelang ebenso treffsicher seine verzweifelte menschliche Unsicherheit wie sein überragender Gesang mit blendenden Höhen. Mit Abstand der Star des Abends aber war Ulrike Mayer als Sesto, der eine Sternstunde zwischen klangfarbenreichem Gesang und bewegender seelischer Darstellung bis in die kleinsten Körperfasern gelang.

Sasha Yankevych, der neue erste Kapellmeister, legte die Wunder dieser lange verkannten Partitur bloß – die Musikwissenschaft denkt bis heute darüber nach, wie es denn angehen konnte, dass Mozart sich 1791 noch einmal der veralteten, die Herrscher verherrlichenden „opera seria“ zuwendete –, zauberte mit den Bremer Philharmonikern tumultöse Wildheit und berückende Zärtlichkeit dieser einzigartigen Musik, die schon 1801 in der „Allgemeinen musikalischen Zeitung“ als „namenloser Zauber“ bezeichnet wurde. Und auch der Chor machte wieder einmal einen blendenden Eindruck. Nicht enden wollender Jubel für eine Aufführung, für die wieder einmal eine Reise lohnt. Ach, noch was: der Klarinettist der Sesto-Arie und der Vitellia-Arie gehört nicht nur genannt, sondern auch beim Verbeugen auf die Bühne!

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