Jacques Offenbachs Operetten, auch die bekannteren, bleiben eine Herausforderung. Ihr Esprit, ihr Witz, ihre Gesellschaftskritik sind nicht leicht zu übersetzen und zu übertragen. Im Rhein-Main-Gebiet haben sich fast zeitgleich drei Bühnen an eine seiner Operetten gewagt: Das Staatstheater Mainz an die populäre „Schöne Helena“, die Volksbühne Frankfurt an die weniger häufige „Großherzogin von Gerolstein“ und das Staatstheater Wiesbaden an den ganz seltenen „Fantasio“. Die Bilanz ist gemischt.

Die Verschwörer: Baron Pück, Prinz Paul und General Bumm (Detlev Nyga, Michael Quast, Alexande J. Beck). Foto: Andreas Malkmus
„Die schöne Helena“, „Die Großherzogin von Gerolstein“ und „Fantasio“ zwischen Träumerei und Gegenwart – Dreimal Offenbach im Rhein-Main-Gebiet
Musik wirkt politisch. Hätte sonst Herbert Grönemeyer gleich zwei deutschen Spitzenpolitikern die Nutzung seines Liedes „Zeit, dass sich was dreht“ verboten, nämlich erst Friedrich Merz (CDU), dann Robert Habeck (Grüne)? Und was berichtete Karl Doemens am 15.11. aus Washington für die Wiener Tageszeitung „Der Standard“? Donald Trump, verurteilter Straftäter und gewählter Präsident der USA, war aus der Hauptstadt Washington auf sein Anwesen Mar-a-Lago in den Kreis seiner Anhänger zurückgekehrt: „Nach seiner kurzen Rede stimmt er auf der Bühne gemeinsam mit seinem Buddy Musk und einem bezahlten Tenor die Hymne ‚God Bless America‘ an. Am Ende packen sich die drei Männer an den Händen. Machtbesoffen reißen sie ihre Arme hoch in den schwarzen Abendhimmel.“ Die Szene ist Operette pur, möchte man meinen. Braucht es da noch das Theater? Michael Quast, künstlerischer Leiter der Frankfurter Volksbühne, tritt vor Beginn der Vorstellung vor den Vorhang: „Da dachten wir, wir machen was völlig Verrücktes, und dann schlage ich jeden Morgen die Zeitung auf und denke, wir hinken hinterher.“ Markus Müller, der Mainzer Intendant, macht dagegen Hoffnung: „Wer viele Geschichten von Mächtigen und Herrschaftsstrategien auf der Bühne gesehen hat, durchschaut sie in der Wirklichkeit.“
Die schöne Helena (Mainz)
Nicht immer, natürlich, geht es in der Operette um Politik – in Offenbachs „Schöner Helena“ zum Beispiel eher weniger. Hier stehen die Mythentravestie im Vordergrund, die Karikatur einer selbstzufriedenen Gesellschaft, die Doppelmoral und die Sehnsucht nach erotischer Libertinage. Aber auch hier finden wir das gattungstypische Changieren zwischen satirischem Spott und seligem Selbstvergessen, zwischen Verstellung und Selbstoffenbarung, zwischen Selbsttäuschung und Entlarvung. In Cordula Däupers Inszenierung am Staatstheater Mainz steht die Titelheldin im Vordergrund – in der Premiere feinsinnig-differenziert gesungen und gespielt von Maren Schwier. Diese kapriziös-sympathische Helena ist sich ihrer Anziehung und Ausstrahlung bewusst, doch als es ernst wird mit dem schönen Prinzen Paris, überkommen sie die Skrupel. Statt für das erwartete Rendezvous eines der vielen neuen Kleider auszusuchen, läuft sie sicherheitshalber lieber im unförmigen Versandkarton herum. Doch Paris schreckt das nicht ab. Er weiß ja von Venus, dass ihm die schönste Frau der Welt verheißen ist. Benjamin Lee spielt den trojanischen Prinzen mit charmanter Selbstsicherheit. Und Helena überlistet sich selbst, indem sie die Begegnung zum bloßen Traum erklärt – eine Rechtfertigung, die sie dem betrogenen Gatten Menelaos dann auch in voller Überzeugung entgegenhält.

Paris und Helena in Mainz (Benjamin Lee und Maren Schwier). Foto: Andreas Etter
Menelaos, gespielt von Alexander Spemann, ist ein Trottel. Und auch die übrigen griechischen Helden, die zum olympischen Intelligenztest antreten, sind Langweiler und Großmäuler. Wirklich mächtig oder irgendwie gefährlich sind diese griechischen Kleinkönige überhaupt nicht. Wenn man bedenkt, dass sie nach Helenas Entführung den trojanischen Krieg entfesseln, wirken sie hier doch etwas zu harmlos. Auch Kalchas, der korrupte Großaugur des Jupiters, gewinnt als Intrigant keine rechte Statur. (Was allerdings sicher mit daran liegt, dass Tim-Lukas Reuter zur Premiere erkrankt ist und kurzfristig durch ein Ersatzdouble von seitlich postiertem Sänger und spielender Regieassistentin ersetzt werden musste.) Einen aktuellen Akzent setzt die Regie, wenn Orest (Verena Tönjes), im Original eine sogenannte Hosenrolle, sich nun als Frau fühlt, Oresta genannt werden will und sich (im Rahmen ihrer adeligen Priviliegen) auch sonst ein wenig rebellisch gibt. Das Bühnenbild von Pascal Seibicke setzt stark auf aktuelle Szenarien vom Imbissstand mit Gyros über Fernsehshow-Assoziationen bis hin zum modernen Badestrand.
Die weibliche Perspektive auf den Stoff wird in der Mainzer Textfassung verstärkt durch die Aufwertung der Venus. Barbara Behrendt tritt buchstäblich von ihrem Sockel herunter (eine nette szenische Pointe!) und erklärt sich zur Therapeutin in Lebens- und Liebesdingen. Paris, Helena und Menelaos suchen auf der Couch liegend oder sitzend und sogar telefonisch ihren Rat. Der läuft in der Regel ganz zeitgemäß darauf hinaus, die jeweils eigenen Interessen zu erkennen und durchzusetzen. Damit ist Venus in Mainz recht nah an den Göttern der griechischen Mythologie, die auch lieber ihrer Lust und Laune folgten als ihrem Verantwortungsbewusstsein. Die therapeutischen Intermezzi nehmen allerdings ein wenig den Schwung aus dem Geschehen. Bereits in der Ouvertüre gibt es mehrere retardierende Unterbrechungen, in denen die handelnden Personen vorgestellt werden. Die Regie achtet aber hier und auch sonst genau auf das Geschehen im Orchestergraben, wo Kapellmeister Samuel Hogarth mit dem Philharmonischen Staatsorchester Mainz Witz und Sentiment von Offenbachs Partitur passgenau entfaltet. Insofern ist es dann doch die Musik, die den Abend trägt.
Die Großherzogin von Gerolstein (Frankfurt)
Die Frankfurter Volksbühne ist das kleinste und jüngste Theater unter den Dreien. Nach einigen Jahren als „Fliegende Volksbühne“ an wechselnden Orten hat Theaterleiter Michael Quast seit Januar 2020 mit dem historischen Cantate-Saal eine feste Spielstätte. Allerdings ist die Bühne schmal, und es gibt keinen Orchestergraben. Rhodri Britton, musikalischer Leiter und langjähriger Partner Quasts in dessen eigenen Programmen, hat Offenbachs Partitur zur „Großherzogin von Gerolstein“ für ein Sechs-Personen-Kammernsemble arrangiert. Die eigentliche Bühne besteht aus einem mannshohen Kasten mit Sitzbank, dem freien Raum rings umher und einem Offenbach-Bild an der Wand mit einem davor angebrachten Degen. Auch hier bleibt die Ouvertüre nicht unkommentiert. Der geschilderte Kasten wird zur Miniaturbühne, auf der mit Papierfiguren das Personal des Stückes und der Handlungsverlauf angedeutet werden. Die Volksbühne bekennt sich ausdrücklich zur Weiterentwicklung der alten Volkstheater-Tradition in Frankfurt und Südhessen. „Hierbei“, so liest man auf der Homepage, „wird Wert gelegt auf einen kritischen und auf unsere heutigen Verhältnisse bezogenen Umgang mit Stoffen und literarischen Vorlagen und auf eine offensive Komik in der Darbietung.(…). Dabei stehen immer das Stück und die Schauspieler im Vordergrund.“ Quast und seine Co-Regisseurin Sarah Groß halten sich an dieses Programm. Auch wenn sich die Textfassung Freiheiten erlaubt, ist die originale Handlung klar zu erkennen.

Die Verschwörer: Baron Pück, Prinz Paul und General Bumm (Detlev Nyga, Michael Quast, Alexande J. Beck). Foto: Andreas Malkmus
Mit der Großherzogin des fiktiven deutschen Kleinstaats Gerolstein steht wiederum eine Frau im Mittelpunkt. Allerdings ist sie unverheiratet und von mehreren Männern umgeben: General Bumm, Oberbefehlshaber der Armee (dumm, aber gefährlich), Baron Pück, Erster Minister (gerissen und gefährlich), Prinz Paul, seit drei Jahren vergeblich antichambrierender Heiratskandidat (dumm und ungefährlich), Baron Grog, Diplomat und Pauls offizieller Brautwerber (zurückhaltend, aber charmant) sowie der gemeine Soldat Fritz (gewitzt und charmant). Pück und Bumm misstrauen der Großherzogin, die sich neuerdings für die Politik im Lande interessiert, und wollen sie durch einen Krieg mit dem Nachbarstaat ablenken. Bei der fälligen Musterung der Truppen findet sie Gefallen an Fritz – und zwar nicht nur an seinem Äußeren, sondern auch an seinen freimütigen Äußerungen und seiner Kritik am General. Sie befördert Fritz gleich mehrfach und überträgt ihm den Oberbefehl. Fritz gewinnt den Feldzug, indem er die Feinde alkoholisiert und dann in ihrem betrunkenen Zustand ohne Blutvergießen in die Flucht schlägt. Siegreich zurückgekehrt, hofft Fritz, endlich seine Verlobte Wanda heiraten zu dürfen. Die vornehm verklausulierten Annäherungsversuche seiner Fürstin versteht er nicht. In ihrer Enttäuschung schließt sich diese der Verschwörung der adeligen Herrschaften gegen den Emporkömmling an. Man stört Fritz und Wandas Hochzeitsnacht, lockt ihn in eine Falle, lässt ihn zusammenschlagen und degradiert ihn wieder zum einfachen Soldaten. Die Großherzogin ist bereit, den Prinzen zu heiraten, auch wenn sich ihr Traum, Baron Grog parallel als Liebhaber zu gewinnen, nicht erfüllt. Denn: „Was man liebt, das kriegt man nicht. Man liebt das, was man kriegen kann.“
Sam Michelson als Fritz erinnert in Aussehen und Rollengestaltung an Charlie Chaplins Figur des Tramps. General Bumm (Alexander J. Beck), dick und rundlich, wirft in der Textfassung von Michael Quast und Rainer Dachselt mit echten und verfälschten Schiller-Zitaten um sich. Er möchte offensichtlich populär sein und als gebildet gelten, während der hagere Baron Pück (Detlev Nyga) als graue Eminenz das Licht der Öffentlichkeit scheut. Die Großherzogin (Susanne Schäfer) ist nicht mehr die jüngste, und man kann vermuten, dass ihre Liebe zu Männern in Uniform eine Spur Torschlusspanik beinhaltet. (Drahtzieher Pück spricht leicht angewidert vom typisch weiblichen „emotionalen Faktor“.) Auch Prinz Paul ist nicht mehr der Jüngste, auch für ihn wird es Zeit, zumal er nicht den gängigen Männlichkeitsidealen entspricht. Michael Quast spielt selbst diese Rolle und verleiht ihr eine feminine (früher hätte man gesagt: weibische) Note; er spricht und singt oft (gekonnt) im Falsett und wirft sich in seiner antikisierenden Aufmachung gerne in Pose. Baron Grog (Eric Lenke) bleibt vornehm im Hintergrund und wirkt mehr durch sein Schweigen als durch das, was er sagt. Fritz’ Braut Wanda (Isabel Berghout) ist das handfeste Mädchen aus dem Volk. Das virtouse Allrounder-Duo Ulrike Kinbach und Gabriel Spagna verkörpert nicht nur das restliche Personal (Armee, Volk, Geheimdienst, Ballett und Brautjungfern), sondern liefert auch noch kommentierende Sentenzen nach Art der antiken griechischen Tragödie. (General Bumm vermerkt stolz, die Armee sei zwar durch Einsparungen geschrumpft, aber besser qualifiziert als je zuvor – mit Abitur und Graecum als Eintrittsvoraussetzung!)
Dass das gesamte Ensemble aus singenden Schauspielern besteht, führt natürlich zu Abstrichen bei der sängerischen Ausstrahlung. Aber dieses Manko wird mehr als kompensiert durch die beachtlich gute Textverständlichkeit, die fein durchdachten Mini-Choreographien, die kammermusikalische Dichte und das gemeinsame musikdramatische Gespür. Rhodri Britton hat am Flügel die komprimierte Substanz der Partitur zu spielen. Flöte, Klarinette, Trompete und Schlagwerk tragen charakteristische Farben bei. Im Vordergrund fungiert bildet die Cellistin Anna-Lena Perenthaler das sensible Bindeglied zwischen vokaler Leidenschaft und zuverlässigem Bassfundament. Die agogischen Feinheiten sind bemerkenswert; musikalische Nuancen spiegeln oder kommentieren das Bühnengeschehen. Immer wieder wird auch das verbindende Potenzial von Musik beschworen: Alle miteinander stimmen ein in die Gerolsteiner Nationalhymne oder in den patriotischen Gesang vom blutbeschmierten Traditionsdegen. Aber auch die Verschwörer haben eigene Lieder, die ihnen Haltung geben – getreu der schönen Devise des gerade enthüllten FDP-Dossiers zum Koalitionsbruch: „Die Atmosphäre muss ernsthaft, aber nicht getrieben wirken.“ Angela Merkel hätte hier wohl nochmals „Männer!“ stoßgeseufzt.
Fantasio (Wiesbaden)
Auf „Fantasio“, laut Offenbach eigentlich eine „Opéra comique“, durfte man besonders gespannt sein. Kaum jemand kennt das Stück, das in der Originalfassung erstmals 2014 in Karlsruhe wieder auf die Bühne kam, nachdem der Offenbach-Experte Jean-Christophe Keck das letzte fehlende Bruchstück der Partitur wiedergefunden hatte. Auch hier geht es um Kleinstaaterei – wenn man das Königreich Bayern und das italienische Herzogtum Mantua hier einordnen darf. Um den bayerischen Staatsbankrott und einen drohenden Krieg zu vermeiden, soll die Prinzessin Theres den Prinzen von Mantua heiraten. Der Student Fantasio (stimmlich als Sopran wiederum eine Hosenrolle) verliebt sich in die Stimme der verzweifelten Königstochter und nutzt den Tod des alten Hofnarren, um sich als dessen Nachfolger im Schloss einzuführen. Hier macht er den Bräutigam vor versammelten Hofstaat lächerlich und wird dafür ins Gefängnis geworfen. Dort sucht ihn die Prinzessin auf; die beiden kommen sich näher und fliehen miteinander. Unterdessen ist Bayern bankrott. Fantasio, den die Studenten als Narrenkönig hochleben lassen, hält eine Rede gegen den drohenden Krieg und fordert den Prinzen persönlich zum Duell. Der will zunächst seinen Adjutanten vorschicken; nach dessen Weigerung verzichtet er auf alle Ansprüche. Fantasio wird nicht nur begnadigt, sondern auch geadelt und darf sogar den Schlüssel zum Schlossgarten behalten.
Am Staatstheater Wiesbaden erscheint der Berliner Regisseurin Anna Weber die Original-Handlung obsolet. Sie hat ein neues Libretto verfasst und auch die Gesangstexte bearbeitet. Da geht es nun also um die Übernahme eines Theaters durch einen gierigen Investor namens PRINCE (Priceless Investor of Castles Everywhere); der will anstelle des Theaters ein Schloss errichten. Im Vertrag verpflichtet sich der bankrotte Theaterleiter, „König vom Theater“ genannt, zusammen mit dem Gebäude auch seine Tochter, die Sängerin Theres, zu verschachern. Eine Gruppe von studierenden Theaterfans erfährt von den Plänen und ruft Fantasio zur Hilfe. Die Titelfigur wird hier einmal nicht genderfluid interpretiert, sondern gemäß der Stimmlage gleich als Frau gelesen. Sie dringt als Narr ins Theater ein, begegnet Theres, muntert sie auf und bringt den Investor nach vielen Turbulenzen zum Verzicht auf den Vertrag. Das Theater ist gerettet, die Zeit der Narren angebrochen.

Happy End in Wiesbaden: Der Investor (Jack Lee) auf der Abrissbirne. Foto: Thomas Aurin
Selbst wenn die Figur des „Theaterkönigs“ auf Herrscher-Allüren des im Januar abgetretenen Wiesbadner Alt-Intendanten Uwe Laufenberg anspielen sollte – der Handel mit heiratsfähigen Töchtern ist heutzutage in Theaterkreisen noch unüblicher als seinerzeit in Monarchien. Laut langem Programmheft-Interview versteht die Regisseurin ihr Konzept als Protest gegen den (gerade in Berlin besonders rabiaten) Kulturabbau. Doch wäre der prachtvolle Wiesbadener Theaterbau vom Fin de Siècle, Stolz der Stadt und des Landes, im Umkreis wohl der allerletzte Abrisskandidat. Schon eher nachvollziehbar ist, dass das Regieteam im närrischen Monat November ein Hohelied auf Narrentum und Fantasie singen möchte. (Schließlich beginnen am 11.11. im Rheinland Karneval und Fastnacht.) Dafür sprechen die von Sina Manthey gestaltete Bühne und die unzähligen, von Laura Kirst liebevoll konzipierten Kostüme. Die Welt des Theaters, durch einen (künstlichen) Eisernen Vorhang abgetrennt, erscheint dabei als eine Art Fantasieland voller liebenswert skurriler Gestalten, durch das der grobschlächtige Investor (Jack Lee) mit seinem servilen Assistenten (Sascha Zarrabi) stapft wie der Elefant durch den Porzellanladen. Dessen Ähnlichkeiten mit Donald Trump sind nicht zufällig. Einmal ruft der selbstbewusste Käufer den berühmten Satz „You are fired!“, ein ander Mal betrachtet er sich selbstverliebt in der spiegelnden Wand.
Dass die Wiesbadener Inszenierung wirklich danebengeht, liegt an anderen Faktoren. Viele Dialoge werden so nachlässig und undeutlich gesprochen, dass man ihnen kaum folgen kann. Stattdessen wird immer wieder lautsprecherverstärkt über die Musik hinweg gerufen. Was nützt da all die liebevolle Interpreten-Sorgfalt, die das Hessische Staatsorchester unter Kapellmeister Chin-Chao Lin an den Tag legt, und was der Programmheft-Artikel über die musikalischen Feinheiten? Geht es da nicht auch um Sensibilität? Wo wird das romantische Element sichtbar und hörbar, das in Offenbachs „Fantasio“-Musik schon auf „Hoffmanns Erzählungen“ vorausweist? Müsste man es nicht bei den Theaterleuten auf der Bühne wiederfinden? Die werden aber von der Regie fast durchweg genötigt, in überzogener Mimik, Gestik und Sprechweise ein Übermaß an guter Laune zu demonstrieren – wie jene anstrengenden Menschen, die ständig ihren Witz demonstrieren, statt witzig zu sein. Eine angenehme Ausnahme macht ein wunderschönes melancholisches Duett von Fantasio (Camille Sheman) und Theres (Galine Benevich). Aber warum ist Fantasio plötzlich so traurig? Immer wieder gleitet der rote Faden der Regie aus den Händen. Warum ist das zu Anfang versteigerte Theater-Inventar nachher doch wieder da? Warum lässt der Investor das Theater inwendig vermessen, wenn er es ohnehin abreißen will? Wie schaffen Fantasio und seine Mitstreiter es, den Eindringling auf die von ihm beorderte Abrissbirne zu setzen? Und warum gibt dieser einfach auf, anstatt die mitgebrachte Security zu bemühen? Donald Trump, um ihn noch einmal zu bemühen, sitzt nicht friedlich und selig lächelnd auf einem schaukelnden wrecking ball. Dieser Narrentraum ist schlicht naiv. Trump ist selbst die personifizierte Abrissbirne – und voller Pläne und Tatendrang. Gegen ihn und seinesgleichen braucht es neben guter Laune eine Menge Geistesgegenwart.
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